14.04.2024N. Bernhardt
Landrecht bricht Bundesrecht, Teil 1: StVO
Separate Radverkehrsanlagen [1] sollen nach den anerkannten Regeln und Richtlinien der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) für mehr Sicherheit des Radverkehrs sorgen. Logischerweise ist dies nur dann der Fall, wenn andere Verkehrsarten den Radweg oder Radfahrstreifen nicht mitbenutzen (müssen/können) und genügend Verkehrsraum vorhanden für dessen Einrichtung ist. Dies schließt erfahrungsgemäß ausreichend Raum zum Überholen (Seitenabstand) sowie Erkennbarkeit der Verkehrsteilnehmer untereinander (Sichtbeziehungen) ein.
In Wuppertal werden aber Radverkehrsanlagen und Einbahnfreigaben nicht nur dann angeordnet, wenn genau die gegenteiligen Bedingungen vorliegen. Vielmehr werden erst recht Maßnahmen angeordnet, die Verkehrsteilnehmer gefährden. Dann heißt es: Radfahrer müssen auf ihre Rechte faktisch verzichten mit dem Resultat: Wuppertaler Landrecht bricht faktisch Bundesrecht (StVO).
Letztlich kommt es im Falle eines Unfalls auf § 1 StVO zurück. Der Bundesgerichtshof [2] formuliert das Rücksichtnahmegebot im bei der Vorfahrt so: „Ein Vorfahrtsberechtigter, der davon ausgehen muss, dass sein Vorfahrtrecht von anderen Verkehrsteilnehmern aufgrund der örtlichen Gegebenheiten möglicherweise nicht erkannt wird, ist zu besonderer Vorsicht und Rücksichtnahme verpflichtet; er muss damit rechnen, dass sein Vorfahrtrecht missachtet wird und muss seine Fahrweise darauf einstellen. Derartige Situationen sind angesichts der für die Verkehrsteilnehmer nicht immer eindeutigen Verkehrslage nicht auszuschließen und können deshalb Bedeutung für die haftungsrechtliche Abwägung gewinnen.“
Zusammengefasst bedeutet dies: Wenn auf einer der tollen Wuppertaler Radverkehrsanlagen ständig Fußgänger laufen, Busse herumfahren und Autos parken, muss ein Radfahrer neben Rücksicht auf andere Verkehrsteilnehmer notfalls auch auf seine eigenen Grundrechte (Artikel 2 (2), Recht auf körperliche Unversehrtheit) und die Straßenverkehrsbehörde Rücksicht nehmen. Denn die darf nach den Buchstaben der StVO offenbar alles anordnen, was nicht ausdrücklich verboten ist.
Die Regel der Rücksichtnahme bedeutet auch: in Engstellen muss derjenige weichen, der dies am einfachsten kann. Bei (angeordneten) Konflikten zwischen Rad- und Kraftfahrer ist dies regelmäßig der Radfahrer, der „mal eben“ auf den Gehweg ausweichen kann.
Das Landrecht definiert sich in der Praxis als das Recht des Stärkeren. Beispiele:
Anordnung eines Schutzstreifens/Radfahrstreifens auf dem Wall
Foto 1 (oben) und 2 (unten): Das Überfahren linksseitiger Radwege und „Schutzstreifen“ ist Kraftfahrzeugen nach StVO verboten, weil grundsätzlich rechts zu fahren ist und daher kein Bedarf an der Mitbenutzung linksseitiger Radverkehrsanlagen besteht. Nach Landrecht soll der Radverkehr doch gefälligst mal auf den Gehweg ausweichen, wenn ihm 19 Tonnen Schwerlast-ÖPNV entgegenkommt. Notfalls werden dabei auch Radfahrer gefährdet (Bild unten, Ausschnitt rechts).
Foto 3: Der Wall teilt seit Jahrzehnten die Fußgängerzone Elberfeld in zwei Teile. Dies bedingt zum einen einen erheblichen Fußgänger-Querverkehr.
Zum Umbau des Döppersbergs und Umgestaltung des Walls als Zweirichtungs-Busautobahn musste man dem westlichen Gehweg unbedingt rund zwei Meter Breite klauen. Das ist dort, wo heute die Gullis gegen alle Planungsregeln mitten auf dem Radweg verlaufen (roter Pfeil Bildausschnitt unten rechts). Da die noch vorhandene Gehwegbreite ebenso gegen die Planungsrichtlinien verstößt (RASt 06: Stadtstraße mit Schaufenster: fünf Meter Mindestbreite) und der Gehweg das Fußgängeraufkommen nicht bewältigen kann, muss ebenso mit Fußgängern längs des aufgemalten Radfahrstreifens gerechnet werden.
Foto 4: Regelmäßiger Lieferverkehr mit dem Resultat: 40-Tonner blockiert Radweg. Dies ist den Behörden bekannt,.Das Nichteinschreiten macht aus dem Radfahrstreifen faktisch einen Multifunktions- oder Teilzeitradfahrstreifen.
Anordnung eines Linksabbiegers vor dem eigentlich (wahrgenommenen) Kreuzungsbereich mitten auf der Gegenfahrbahn
Foto 5: Der aufgemalte Radfahrstreifen und Linksabbieger auf der Isländer Brücke (Fahrtrichtung Süden) ist nichts wert, wenn der Abbieger mitten in die Gegenspur aufgemalt und deshalb regelmäßig [3] von Kraftfahrern im Gegenverkehr überfahren wird (linker Ausschnitt).
Außerdem biegt der Radfahrer nicht in der Kreuzung, sondern scheinbar davor links ab. Da nützt ihm seine Vorfahrt (Verkehrszeichen 301) auch nichts, wenn der eigentlich wartepflichtige Verkehr einbiegt und dann der Radfahrer warten muss – von wegen „wer links abbiegt, muss den entgegenkommenden Verkehr passieren lassen“ (rechter Bildausschnitt).
Anordnung eines Radaufstellstreifens als praktische Fahrbahnverbreiterung an der Friedrichstraße
Foto 6: Die illegale Freigabe der 3,0 m breiten Einbahn Friedrichstraße in Gegenrichtung für den Radverkehr wurde an anderer Stelle ausführlich besprochen. [4] Das Landrecht des Linienverkehrs, nach dem sich Radfahrer gefälligst auf den Gehweg zu verkrümeln haben, erstreckt sich entgegen § 9 (3) Satz 3 StVO [5] beim Linksabbiegen vom Neumarkt in die Friedrichstraße auch auf die Wartepflicht der Fußgänger am Neumarkt.
Die Anordnung eines Radaufstellstreifen mitten im Schleppkurvenbereich als „Radfahrer-Überfahrstreifen“ ist – insbesondere im Lichte der stetigen Weigerung der Verwaltung, diesen baulich gegenüber dem abbiegenden Verkehr abzusichern – eine angeordnete Verkehrsgefährdung.
Anordnung einer Fahrradstraße in einer faktischen Fußgängerzone (Luise)
Foto 7: Der als Fahrradstraße ausgewiesene Teil der Luisenstraße ist gleich in mehrfacher Hinsicht Negativbeispiel für die denkbar ungeeignetste Stelle dafür. Einmal erfüllt das Kneipenviertel Luise in Wuppertal die Funktion der Flinger Straße in Düsseldorf. Die ganze Straße erfüllt in der Praxis die Funktion eines Fußgängerbereichs mit Aufenthaltsfunktion (Außengastronomie). Die Bürgerbeteiligung, hierzu auch in Wuppertal eine praxisgerechte Verkehrsberuhigung vorzunehmen, wurde von Stadt und Politik (2019?) mal eben weg-bürgerbeteiligt.
Foto 8: Selbst wenn die Teilzeitfahrradstraße einmal fußgängerfrei ist, ist diese wegen der angeordneten Breite von 3,0 m nicht als Fahrradstraße nutzbar. Seit Einführung der Fahrradstraße dürfen Radfahrer nach StVO nebeneinander fahren. In Wuppertals Fahrradstraßen ist auf 3,0 m Breite, insbesondere bei Gegenverkehr, gar nicht möglich. In der Regel muss der Radfahrer auf den Gehweg ausweichen, weil er ja am einfachsten „verduften“ kann. Klar hätte der Kraftfahrer nie in die Engstelle einfahren dürfen, in der sich bereits der Radfahrer befand – aber egal.
Diese Situation ist nicht nur auf die seit langem als Fahrradstraße ausgewiesene faktische Fußgängerzone Luise beschränkt, sondern in bezug auf die Fahrbahnbreite auch in der brandneuen als „Fahrradstraße“ ausgewiesenen faktischen Tempo-30-Zone (Neue) Friedrichstraße anzutreffen.
Musterlösungen und Leitfäden zum Thema Fahrradstraße, die lediglich den rechtlichen Stand zusammenfassen, sehen bei einer Fahrradstraße Fahrgassen von mindestens vier oder fünf Metern (mit Kfz-Freigabe) vor.
Fazit: Nach Landrecht angeordnete Radverkehrsanlagen wie die oben aufgeführten Beispiele sind für Radverkehr ungeeignet. Eine Straßenbau- und verkehrsbehörde, die Radverkehrsanlagen an offensichtlich ungeeigneten Stellen anordnet, muss sich fragen lassen, ob die Behörde selbst als solche noch geeignet ist, über Maßnahmen zum Schutz der Radfahrer entscheiden zu können.
Wenn nicht einmal die Sicherheit der Radfahrer gewährleistet werden kann, ist an die zweite Grundregel „Leichtigkeit des Verkehrs“ erst recht nicht zu denken. Dies würde ja bedeuten, dass Radfahrer tatsächlich schneller vorankommen.
Fußnoten und weiterführende Verweise
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Radverkehrsanlage
[2] BGH (Urteil vom 20.11.2007 – VI ZR 8/07),
https://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Text=VI%2520ZR%25208%2F07
[3] Eine Auswertung mit der dort aufgestellten Webcam hat ergeben, dass der Pseudolinksabbieger während Büroueiten mehrere hundert Male alleine von Fahrzeugen der Stadtwerke überfahren wird.
[4] Legal, illegal, Friedrichstraße?
[5] § 9 (3) STVO: „Wer abbiegen will, muss entgegenkommende Fahrzeuge durchfahren lassen. […] ³ Auf zu Fuß Gehende ist besondere Rücksicht zu nehmen; wenn nötig, ist zu warten.
Weiter mit:
Zur „Bündelung“ von Fußgängern habe ich schon im vorletzten njuuz-Artikel was geschrieben. Der Wall liegt immer noch mitten in der Elberfelder Fußgängerzone. Fußgänger sind klar in der Mehrheit.
Da finde ich eine Tempo-20-Straße mit Carrerabahn-Markierung schon paradox. Ich fürchte, Leitborde machen das nicht besser.
DIe Bündelung der Fußgänger ist eine objektive Maßnahme zur Verkehrsleitung und -sicherung.
M.E. ist der Radfahrstreifen am Wall wegen der kreuzenden Verkehrsströme (Fußgänger) absolut ungeeignet, ein Alibi-Radweg.
Wo Sie das Tempo-20-Limit ansprechen: bis Tempo 30 bezeichnet die Verwaltung in anderen Fällen Radfahrstreifen als „entbehrlich“. Die Hünefeldstraße ist ein Beispiel. Obwohl die wohl für einen Radfahrstreifen zu schmal ist.
Wer aus dem P&C oder Müller rauskommt und auf die andere Seite will, sucht nicht nach der nächsten „Bündelung“. Über diese objektive Maßnahme werden sich die Leute voraussichtlich stolpernd aber sehr subjektiv hinwegsetzen.
Wenn dem Wall etwas fehlt, dann eine Straßengestaltung, die zum Tempolimit von 20 km/h passt. Pflasterstreifen quer zur Fahrbahn wären ein Anfang. Ein Blitzer vielleicht. Ein beidseitiges Temposchild wäre auch konsequent. (Aktuell ist auf dem Radweg theoretisch Tempo 100 erlaubt.)
Ich komme wieder auf das Gleiche hinaus: Man muss die Verbindung NBT – City auf der gesamten Länge entweder ganz wollen oder ganz ablehnen. Wer den Teil am Wall in Frage stellt („Alibiradweg“, „ungeeignet“), torpediert immer die gesamte Anbindung.
„Das Überfahren linksseitiger Radwege und Schutzstreifen ist Kraftfahrzeugen nach StVO verboten, weil grundsätzlich rechts zu fahren ist.“
Ich würde sagen: Das Befahren aller Radwege (durchgezogene Linie) ist Kraftfahrzeugen verboten – egal, ob links- oder rechtsseitig und unabhängig vom Rechtsfahrgebot. §41 StVO, Vz 237 besagt schlicht: „Der Radverkehr (…) muss den Radweg benutzen. Anderer Verkehr darf ihn nicht benutzen.“
Am Wall ist es für manche Busse wohl angenehmer, Kurven zu schneiden (Foto 6) oder weiter als nötig auszuholen und die Radwegflächen dabei mitzubenutzen, obwohl genug Platz vorhanden ist (Foto 2). Über den nassen, radverkehrsarmen Winter mag sich daraus ein Gewohnheitsrecht etabliert haben.
Im Frühjahr müssen Radfahrer vielerorts ihre Rechte wieder in Erinnerung rufen, nicht nur am Wall. Wer sich dabei zu früh demütig „auf den Gehweg verkrümelt“, ist selber schuld und kann sich nicht mehr beschweren. Denn auch da gilt: „Anderer Verkehr darf ihn nicht benutzen.“
Klar ist die Benutzung der Radwege durch andere Fahrzeugarten nach StVO verboten. Als Radfahrer kann ich mir dafür aber nichts kaufen, wenn sich die Verwaltung beharrlich weigert, dem regelmäßigen Mißbrauch durch bauliche Absicherung ein Ende zu setzen.
Radwege werden nicht nur am Wall missbraucht. Weil in Wuppertal Schutz- und Radfahrstreifen bunt gemischt werden, ist die Hemmschwelle, sie mitzubenutzen, nochmal gesunken.
Man kann aber nicht jeden Radfahrstreifen mit Pollern absichern, und Poller stellen selbst wieder eine Unfallgefahr dar.
Mein Abrüstungsvorschlag: Einfach öfter darauf fahren.
Die Anlage von Radfahrstreifen wie am Wall ist ja auch eine Abwägungssache. Wenn man meint dort unbedingt die Radroute zur Nordbahntrasse durchführen zu müssen, bieten sich Leitborde an, die einmal das Überfahren mit Kfz verhindern und Fußgänger-Querverkehr auf der anderen Seite an den Übergangsstellen zur Schwanenstraße, Herzogstraße, Calvinstraße etc. bündeln. Mehr als eine weiße Linie, die einen Radfahrstreifen abgrenzen soll, sieht man auf dem Wall aber nicht. Und an Vorschlägen und Anregungen mangelt es wahrhaftig nicht.