„Fahrradstraßen“, Mini-Mobbingstreifen und der Seitenabstand

Ist es ausreichend, wenn der Radler beim Überholtwerden oder Begegnung nicht umfällt?

Laut einer Studie der Unfallforscher der Versicherer wird jeder fünfte Unfall mit Verletzten in der Stadt durch parkende Autos verursacht. Bereits in den 1950er-Jahren hat der Bundesgerichtshof festgelegt, daß an abgestellten Fahrzeugen stets mit mindestens 0,5 Metern seitlichem Sicherheitsabstand vorbeizufahren ist, damit dessen Fahrer die Tür einen Spalt öffnen kann, um sich vor dem Aussteigen nach hinten abzusichern. [1] Den mit zu geringem Abstand an einem haltenden Fahrzeug vorbeifahrenden (Rad-) Fahrer trifft in der Regel ein Mitverschulden, wenn es zu einem Zusammenstoß mit einer Fahrzeugtür kommt, die ein Insasse unvorsichtig aufsperrt. [2]

Grundsätzlich ist auch bei der Begegnung zweier Fahrzeuge ein Seitenabstand von mindestens 1,0 Metern einzuhalten [3]. – Auch wenn dies von der Stadt Wuppertal beim „Schutzstreifen“ am Wall schon (mehrfach) geleugnet wurde. [4] Denn dann müßten nämlich Bus und Rad soweit bis zum Stillstand abbremsen und mit äußerster Vorsicht passieren, weil den Verkehrsplanern nichts anderes als ein winziger Mobbingstreifen eingefallen ist. [5]

So finden diese rechtlichen Grundsätze zum Seitenabstand bei der Planung von Radinfrastruktur in Wuppertal in der Regel null Beachtung, insbesondere bei „Fahrradstraßen“ wie der (Neuen) Friedrichstraße. Wenn die Infrastruktur es nicht hergibt, wie sollen sich dann die Verkehrsteilnehmer an die Regeln halten?

Bild 1: Die „Fahrradstraße“ mußte ja unbedingt wieder durch ein Gründerzeitviertel angeordnet werden. Vorher parkten in derselben Straße aka „Tempo-30-Zone“ Autos, ebenso aktuell in der „Fahrradstraße“. Da interessiert es kein Schwein, daß die gekennzeichneten Stellplätze auf die gesamte Straßenlänge ausgedehnt wird. Es bleiben immer nur die minimalst zulässige Fahrbahnbreite von 3 Meter übrig.

Wie wir sehen, reicht diese üppige Restbreite gerade zur Begegnung zweier Radfahrer aus, die beide nicht einmal den Mindestabstand zum Gehweg respektive parkenden Fahrzeugen einhalten. Die Fahrbahn ist sogar so schmal, daß bei den markierten Parkständen (vorne links im Bild) ganz sinnfrei auf die breite gestrichelte Linie verzichtet wird. Der Sinn dieser Linie mit Abstand von 50 Zentimetern zum jeweiligen Rand ist ja gerade, daß Radfahrer mehr zur Fahrbahnmitte hin fahren und damit einen größeren Seitenabstand insbesondere zu abgestellten Fahrzeugen halten.

Bild 2: Hier hält der Radfahrer vor uns halbwegs Abstand zu den Autos. Und wir sehen: ein entgegenkommendes Auto kommt hier nicht mehr durch. Das bedeutet also immer: schön bremsbereit sein, bei entgegenkommenden Autos herunterbremsen, Platz machen. Denn nach Landrecht hat immer derjenige in der Engstelle Vorfahrt, der in der „richtigen“ (Einbahn-) Richtung unterwegs ist, und dies ist stets der Autofahrer. (So jedenfalls die nicht seltene Meinung.)

Das ist auch der Grund, weshalb Schrumpfradstraßen wie die Luise, die (Neue) Friedrichstraße und so weiter Radfahrer so ankotzen. Niemand mutet Busfahrern zu, ständig abzubremsen, rechts heranzufahren, den Gegenverkehr passieren zu lassen. Niemand duldet Fußgänger und Radfahrer auf Autobahnen. Aber Autos in der Pseudo-Fahrradstraße und Fußgängerzone sind das selbstverständlichste der Welt.

Die per Zusatzzeichen erlaubte Freigabe der Radstraße für alles andere bedingt erst den Schilderwald der Fahrradstraße: Einbahn? Gilt nur für Kfz. Verbot der Einfahrt (rote Spardose)? Gilt nur für Kfz. Parkverbotszone und eingezeichnete Stellplätze? Ist nur für Kfz.

Bild 3: Da haben wir genau die zuvor besprochene Situation in der Neuen Friedrichstraße: Der Radler befindet sich fast in der Engstelle, da kommt von oben der Raser um die Ecke geschossen, quetscht sich noch vor dem Radfahrer durch die Engstelle und zwingt letzteren zum Ausweichen nach gaaanz rechts.

Ist es bei solchen Aktionen und Anordnungen ausreichend, wenn der Radfahrer dabei nicht umfällt oder halbwegs lebendig aus der Sache herauskommt?

Fußnoten

[1] https://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Text=VI%20ZR%2059%2F55
BGH, Urteil vom 03.07.1956 – VI ZR 59/55

https://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Gericht=BGH&Datum=23.09.1960&Aktenzeichen=VI%20ZR%202/60
BGH, Urteil vom 23.09.1960 – VI ZR 2/60

[2] https://www.verkehrslexikon.de/Texte/RadFahrer03.php
BGH DAR 1981, 148 ff. (Urteil vom 24.02.1981 – VI ZR 297/79)

[3] https://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Text=10%2520U%25207512%2F20
OLG München, Endurteil vom 02.06.2021 – 10 U 7512/20

[4] Zitat aus VO/1013/20: „Der angeführte Abstand von 1,5 m betrifft nur den Fall Überholen oder Vorbeifahren. Im Falle einer Begegnung ist dieser Abstand nicht erforderlich.“ – Wie ein Radfahrer mit 1,0 m Breite und einem Seitenabstand von 0,5 m zum Gehweg auf einem 1,5 m breiten „Schutzstreifen“ zu einem entgegenkommenden Linienbus 1,0 m Seitenabstand halten soll, wenn der Bus meist auf der gestrichelten Linie des „Schutzstreifens“ fährt, erklärt die Drucksache natürlich nicht.
VO1013/20: https://ris.wuppertal.de/vo0050.asp?__kvonr=24634
Zum selben Thema:
VO/0769/21: https://ris.wuppertal.de/vo0050.asp?__kvonr=25492
VO/0959/21: https://ris.wuppertal.de/vo0050.asp?__kvonr=25704
VO/1286/23: https://ris.wuppertal.de/vo0050.asp?__kvonr=31070

[5] https://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Text=9%2520U%252059%2F14
OLG Hamm, Urt. v. 07.06.2016, Az. 9 U 59/14

Weiterführende Verweise:

https://verkehrslexikon.de/Module/Seitenabstand.php

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