Radinfrastruktur nach „Geier-Prinzip“ aus Dschungelbuch

Motto: Schlag du was vor. Mmh, mir fällt nix ein, schlag du was vor.

Der zweite Beitrag zur AußerRandundBand-Stadt führt uns in den Wuppertaler Westen zum Westring, Abschnitt zwischen Haeseler Straße und B 224.

Die Fahrt beginnt relativ zivilisiert auf der Fahrbahn. Grund dafür ist eine halbwegs breite Fahrspur und vor allem ein fest installierte Radarfalle.

Bildbeschreibung im nächsten Absatz.

Kaum 400 Meter geradelt, dürfen Radfahrer an der Stackenbergstraße (Foto links oben) sich als „die anderen Fußgänger“ betätigen und mangels angesenktem Gehweg die Reifen kaputtfahren – oder gleich zu Fuß gehen. Das gleiche Schicksal erleiden Radfahrer an der Brucher Straße (Foto rechts oben) – nur um dann 50 Meter weiter auf einen schmalen „Schutzstreifen“ auf der Fahrbahn geleitet zu werden. Der wiederum 180 Meter weiter an einem Zebrastreifen (Fußgängerüberweg) endet. Und anschließend wieder anfängt.

Der ganze Murks erinnert an die Szene mit den Geiern im Zeichentrickfilm „Dschungelbuch“: Keiner hat eine anständige Idee und sagt dann zum anderen: „Schlag du was vor!“ – Genau so kommt einem die „Radinfrastrukturplanung“ am Westring vor in VO/0078/12 [2] vor: Nein, nein, für ein richtigen Radweg ist leider kein Platz, weil das hieße ja absolutes Parkverbot. Deshalb brauchen wir unbedingt einen Parkstreifen. Tja, dann bleibt leider nur noch ein Mobbingstreifen im Türbereich parkender Fahrzeuge, bei gerade noch zulässiger Minimalbreite für den übrigen Verkehr. Der Mobbingstreifen ist also keine Altlast verblendeter Kommunalpolitik aus den 80er-Jahren, sondern wurde erst 2012/3 aufgepinselt.

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Und da sind wir schon bei einem weiteren Problem: Dieser Mobbingstreifen ist eine offizielle Anleitung für Autofahrer zum zwanghaften Überholen und Gefährdung von Radfahrern – sofern der Verkehr überhaupt läuft. Was wir hier sehen, ist allerdings kurz vor vier ein über 300 Meter langer ampelbedingter Rückstau mit recht freizügiger Definition von „bedarfsweiser Mitbenutzung des Schutzstreifens.“ [1]

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Das eigentliche Stauproblem ist eine allzeit intelligent zeitgesteuerte und damit verkehrsunabhängig geschaltete Ampel. Diese technische Meisterleistung schaltet bei Eintreffen zu Sekunde 17 (A) den von links kommenden Fahrzeugen Grün, die nicht vorhanden sind. Elf Sekunden später (B) kriegt dann endlich ein einsamer Linksabbieger Grün. Weitere 14 Sekunden (C) vergehen, damit der entgegenkommende Verkehr endlich fahren darf. Nur: Linksabbieger, die unsere Geradeausspur kreuzen, sind gar nicht vorhanden.

Bis der Geradeausverkehr, der sich da auf über 300 Meter staut, freundlicherweise bei Sekunde 59 (D) endlich fahren darf, hat in 42 Sekunden der Rotphase, die wir von der ganzen Ampelphase mitbekommen haben, lediglich ein Fahrzeug den Weg gekreuzt. Was zum Teufel ist an diesem ganzen Ampelsystem verkehrsgesteuert?

Anmerkungen

[1] Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V., Band 86, Rechtsgutachten zu markierten Radverkehrsführungen.
https://www.udv.de/resource/blob/79404/b72b1b4bac76afabacecb6a3c647084a/86-rechtsgutachten-zu-markierten-radverkehrsfuehrung-data.pdf

Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „bei Bedarf“: Im Einklang mit dem Willen des Verordnungsgebers, dem Grundprinzip der Verkehrssicherheit als oberster Auslegungsmaxime sämtlicher Verhaltensvorschriften der StVO und nach sämtlichen juristischen Auslegungsmethoden besteht ein Bedarf zum Überfahren eines auf der Fahrbahn durch Leitlinien markierten Schutzstreifens für den Radverkehr ausschließlich bei der Begegnung mit Fahrzeugen im Gegenverkehr.

Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „Ausreichender Seitenabstand“ (§ 5 Abs. 4 Satz 2 StVO) beim Überholen/Vorbeifahren von/an Radfahrern: Im Einklang mit der bislang einschlägig ergangenen Rechtsprechung sowie dem Grundprinzip der Verkehrssicherheit als oberster Auslegungsmaxime sämtlicher Verhaltensvorschriften der StVO bedarf es bei Überholvorgängen sowie Vorgängen des Vorbeifahrens an Radfahrern unabhängig von der angeordneten Art der Radverkehrsführung eines Mindestseitenabstandes von 1,5 Metern. Kann dieser nicht eingehalten werden, besteht für Fahrzeugführer gem. § 5 Abs. 4 Satz 2 StVO ein so genanntes „faktisches Überholverbot“.

[2] Westring – Neumarkierung und Bau von Radverkehrsanlagen im Zuge eines Straßendeckenüberzuges, VO/0078/12
https://ris.wuppertal.de/vo0050.asp?__kvonr=13374
Zitat: „Die alleinige Einrichtung beidseitiger Radfahrstreifen oder Schutzstreifen hätte aufgrund des Platzbedarfs (s.u.) im behandelten Abschnitt auf der Straße Westring ein vollständiges Parkverbot zur Konsequenz. Da aber dort der Bedarf für Parkraum vorhanden ist, kann somit keine beidseitige Einrichtung von Radverkehrsanlagen vorgenommen werden.
Ein einseitiger Radfahrstreifen benötigt gemäß den Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA 2010) bereits 1,85 m des Straßenquerschnittes, daher kommt die Anlage von Radfahrstreifen – auch einseitig –, bei der vorliegenden Straßenbreite unter Berücksichtigung der Anlage von Parkmöglichkeiten, nicht in Betracht. […]
Die Planung sieht bergaufwärts (Nordseite) die Anlage eines 2,00 m breiten Parkstreifens und eines davorliegenden 1,50 m breiten Schutzstreifens vor. Die bergaufwärts führende Fahrspur ist zwischen dem Schutzstreifen und der bergabwärts (Südseite) führenden Fahrspur ca. 2,25 m breit.“

Definition Schutzstreifen, Schmutzstreifen, Mobbingstreifen: Ist eine aufgepinselte gestrichelte Linie auf der Fahrspur und eigentlich Teil derselben, die den Eindruck erweckt, es handele sich bei dem rechten Teil um einen abgetrennten Radweg. Wird in Wuppertal meist – wie auch am Westring – in absoluten Mindestmaßen ausgeführt: 1,25  m für den Radverkehr, plus lächerhafte 25 cm Abstand zum Seitenrand, sowie 2,25 m für den fließenden Kraftverkehr („Restbreite“). Oft so dämlich angelegt, daß ein seitlicher Überholabstand von mindestens 1,50 m innerorts zum Radfahrer natürlich nicht eingehalten werden kann.

Einerseits wird also dem Autofahrer durch diese Trennung amtlich ein Grundrecht (a) zum Überholen und (b) Radfahrer zu belehren bescheinigt, wenn diese es wagen ihren „Radweg“ nach links zu verlassen. Der Seitenabstand von 1,50 m zum Radfahrer fällt damit natürlich auch flach. Andererseits fahren Radfahrer damit zwangsweise in der Türzone parkender Fahrzeuge und müssen sich damit der Gefahr aussetzen, so eine Tür in die Fresse zu bekommen (PDF.-Mitteilung des UDV, s. oben).

Daher kommt auch der Begriff Mobbingstreifen: Der Radfahrer hat nach Ansicht des schnelleren Kraftfahrers bei Vorhandensein eines „Radwegs“ gefälligst auf „seinem“ Teil der Straße zu bleiben, damit er – der Kraftfahrer – schneller bis zur nächsten roten Ampel kommt.

Der Begriff Schmutzstreifen rührt daher, daß am Straßenrand eher rutschiges Laub, Glasscherben etc. liegenbleiben und ein Winterdienst oftmals suboptimal bis gar nicht stattfindet. Ebenso mit erhöhter Gefahr für den Radfahrer, auf die Fresse zu fallen und einen Platten zu kriegen.

In der ausgeführten Variante ist der Westring-Mobbingstreifen genau das: Auf das Restfahrstreifchen passen gerade mal schmale Pkw, während der Autofahrer natürlich davon ausgeht, überholen zu dürfen. Gleichzeitig wird der Schutzstreifen im Stau gerne mitbenutzt – man möchte sich ja nicht im Gegenverkehr den Außenspiegel abfahren.

Warum ausgerechnet hier Pkw nicht halb auf dem Gehweg parken dürfen – für einen „Gehweg, Radfahrer frei“ sind schließlich breitere Wege erforderlich als für einen reinen Gehweg – erschließt sich hier nicht. Sonst argumentiert das Amt 104 stets mit einer Restbreite von einem Meter bis 1,50 m für die Fußgänger, wenn es (halbseidenes) Gehwegparken durchdrücken will, vgl. Hainstraße am Friedhof, Uellendahler Straße oberhalb der Autobahn, noch engeres Parken vor Autohaus Schultz an der Uellendahler Straße nach mysteriösem Verschwinden der vorher begrenzenden Parklängsmarkierung, westlicher Hohenstein mit „Duldung“ des halbseitigen Gehwegparkens ohne Not (Einbahnstraße) etc. pp.

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Kommentare

  1. Susanne Zweig sagt:

    Der Schutzstreifen am Westring wurde im Sommer 2012 aufgemalt und ist der erste in Wuppertal.
    Er macht einen der Geburtsfehler der Schutzstreifen-Idee schon deutlich: Solche Streifen dürfen nur auf Fahrspuren mit 3,50 m Mindestbreite aufgebracht sein. Am Zebrastreifen ist wegen der Mittelinsel die Fahrbahn enger und der Schutzstreifen fällt kurz weg.
    Schutz für Radfahrer gibt es damit nur dort, wo er nicht gebraucht wird.
    Schutzstreifen werden von vielen Pkw-Fahrern mittlerweile permanent mitbenutzt. Das geht natürlich, weil es niemand kontrolliert. Gleichzeitig ist schwer einzusehen, warum man auf 3,50 m Spurbreite permanent Platz für nicht vorhandene Radfahrer vorhalten soll.
    Das Kontraproduktive daran ist, dass seitdem auch Radfahrstreifen (durchgezogene Linie) immer selbstverständlicher mitbenutzt werden. Daher gehört die Schutzstreifen-Idee grundsätzlich reformiert.

    1. N. Bernhardt sagt:

      Der Radweg am Hardtufer ist aber erheblich älter als der am Westring. Mit denselben Mindestmaßen.

      Nichtsdestotrotz bleibt der Schutzstreifen die Resterverwertung der Radinfrastruktur. Selbst in Berlin und Frankfurt(!) hat man inzwischen kapiert, daß wenn die Fahrbahnbreite das reguläre Überholen von Radfahrern auf Radfahr- und Schutzstreifen nicht hergibt, läßt man’s halt und fürht den Radverkehr sicher(!) auf der Fahrbahn. Alles andere sind „Fätz mit Krigge“ – Fürze auf Krücken.

      1. Susanne Zweig sagt:

        Anstelle der aufdringlich kurz gestrichelten Schutzstreifen würden dünne (5 cm), überlang gestrichelte Orientierungslinien in Blau oder Grün und mit 1,75 Meter Abstand zum Fahrbahnrand völlig ausreichen. Gerne mit Fahrradpiktogramm.

        Mindestfahrbahnbreite: keine.

        Verkehrsrechtliche Bedeutung: keine, außer einer: wer beim Überholen von Radfahrern die Linie überfährt, riskiert Bußgeld und Flensburgpunkt, wegen zu geringem Überholabstand nach § 5 (4) StVO.
        Am Westring-Zebrastreifen könnte jeder sofort sehen, dass die Breite nicht zum Überholen reicht.

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