10.03.2025N. Bernhardt
Eine Behörde und ihre Gänseblümchentaktik am Beispiel „Zebrastreifen“
Bereits durch die Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO) sind die Straßenverkehrsbehörden aufgefordert, regelmäßig und mindestens im Zweijahresturnus Verkehrsschauen [1] durchzuführen. Einerseits soll als Aufgabe der ordnungsgemäßen Verwaltung sichergestellt werden, daß daß Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen den aktuellen gesetzlichen Vorgaben entsprechen. Andererseits müssen die straßenverkehrsrechtlichen Anordnungen zur Gewährleistung der Verkehrssicherheit von jedem Verkehrsteilnehmer verstanden werden (können), damit diese sich im Verkehr sicher bewegen können, ohne einander über die Füße und Karossen zu fallen.
Zumindest ist dies nach Straßenverkehrs-Ordnung so vorgesehen. Wir haben ja in dutzenden Beiträgen erfahren dürfen, daß es in einer Stadt mit ihrem Landrecht durchaus anders aussieht.
Heute geht es um die Anordnung von Fußgängerüberwegen [2], landläufig als „Zebrastreifen“ bekannt. Auch wenn etliche Verkehrsteilnehmer der Ansicht sind, das blaue Schild Nr. 350 mit dem Zebrastreifen und dem querenden Fußgänger würde den Zebrastreifen anordnen, so ist dies tatsächlich die „Straßenmalerei“ auf der Fahrbahn mit den in Fahrtrichtung verlaufenden weißen Strichen als Zeichen 293. Dies ist insbesondere für die Fälle interessant, wo das blaue Schild ausgerechnet an den Stellen fehlt, an der die Straßenmalerei schlecht einsehbar ist.
Für die Anordnung von Zebrastreifen/Fußgängerüberwegen gelten – theoretisch – für Amt 104 die Richtlinie R-FGÜ [3], daß die Sichtbarkeit zwischen Fußgänger und Fahrzeugführer auf rund 100 Meter vorhanden sein und Zeichen 350 (das obengenannte Blaue) angeordnet werden muß und bei welchen Verkehrsaufkommen Zebrastreifen angeordnet werden können.
Hier einige Beispiele aus Wuppertal:
Fall 1: FGÜ Alsenstraße→Bundesallee
Am südlichen Ende der Alsenstraße befindet sich am Rechtsabbieger zur Bundesallee ein Zebrastreifen, an dem sich Fußgänger und Autofahrer erst auf rund 16 Meter Entfernung erkennen können. Merken wir uns dies für Fall 4.
Fall 2: FGÜ Tannenbergstraße→Bundesallee
Am südlichen Ende der Tannenbergstraße befindet sich am Rechtsabbieger zur Bundesallee ein Zebrastreifen, an dem sich Fußgänger und Autofahrer erst auf rund 15 Meter Entfernung erkennen können. Merken wir uns dies für Fall 4.
Fall 3: FGÜ Hofkamp, Zufahrt Kreisel Neuenteich von Westen
„Der Kreisverkehr Hofkamp / Neuenteich wird seit mehr als drei Jahren regelmäßig von der Polizei als Unfallhäufungsstelle identifiziert. Hierbei kommt es vermehrt zu Unfällen der nichtmotorisierten Verkehrsteilnehmer, hauptsächlich an den Fußgängerüberwegen, bzw. Radfahrerfurten. Besonders deutlich ist dies für die westliche Zufahrt Hofkamp dokumentiert.“
– Zitat aus VO/0226/16 [4]
Seitdem wurden Placebomaßnahmen umgesetzt, die aber den Unfallschwerpunkt nicht beseitigt haben: Der Unfallatlas [5] weist für den Kreisverkehr zwischen 2019 und 2023 22 Unfälle mit Personenschaden aus. Die zusätzlichen Unfälle mit Sachschäden, bei denen andauernd die rot-weißen Leitborde beschädigt werden, sind in dieser Unfallstatistik gar nicht aufgeführt.
Entgegen der verwaltungsinternen Vorschriften werden Reparaturen an den Leitborden offenkundig auf „Sonstiges“ gebucht, so daß unter anderem das Rechnungsprüfungsamt nur ja nicht auf Knopfdruck die Unsummen abrufen kann, die für diesen Schrott ausgegeben werden, sondern aufwendig jede einzelne Rechnung manuell sichten müßte. Wie sonst ist es zu erklären, daß alleine die Auskunft für die Reparaturaufwendungen der letzten Jahre im Rahmen des Informationsfreiheitsgesetzes über 200 Euro alleine berechnet werden sollen? Auch das Rechnungsprüfungsamt kritisiert (allgemein) die Praxis, daß beim Verbuchen der Aufwendungen oft nicht die konkrete Maßnahme angegeben wird.
Durch eine Kuppe in der westlichen Zufahrt Hofkamp ist der dortige Zebrastreifen entgegen der Richtlinie R-FGÜ in weit weniger als den vorgeschriebenen 100 Metern wahrnehmbar. Auf eine Beschilderung mit Zeichen 350 wird absichtlich verzichtet [6], denn das sei ja nicht vorgeschrieben und könnte die Verkehrssicherheit erhöhen.
Tatsache ist, daß an den Einmündungen zum Kreisverkehr häufig zu schnell gefahren wird. Eine regelkonforme Herstellung desselben ist bisher nicht erfolgt, vielmehr befindet sich der ganze Haufen in einem „temporären Zustand“. Die R-FGÜ empfiehlt beispielsweise versetzte Spuren an den Zufahrten, um die Geschwindigkeit der Fahrzeuge zu reduzieren.
Fall 4: Angedachter FGÜ Schützenstraße/Leimbacher Straße
Wer als Autofahrer von den WSW kommend von der Schützenstraße in die Leimbacher Straße abbiegt, findet einen schönen breiten Rechtsabbieger vor. Alle anderen Zufahrten dieser Kreuzung sind ampelgeregelt. Fußgänger können hier – natürlich! – dem Verlauf der Schützenstraße in derselben Richtung nicht geradlinig folgen, sondern müssen quer über den Rechtsabbieger rüber.
Nach Straßenverkehrs-Ordnung hat der Fußgänger aus § 9 (3) Vorrang vor dem Rechtsabbieger. Dank der bescheuerten baulichen Anlage wird jedoch genau das Gegenteil suggeriert: Der Fußgänger quert ja den Rechtsabbieger, also muß der auch warten !!1!
Letzten November hatte die Bezirksvertretung (BV) Barmen freundlich bei Amt 104 angefragt, ob ein Zebrastreifen an besagter Stelle angelegt werden kann. Nach Gänseblümchentaktik beruft man sich plötzlich auf vorgeblich „nicht gegebene Sichtbeziehungen“ [7] von nur 20 Meter.
Ah so: Fall 1, 16 Meter Sicht – egal, Fall 4 20 Meter Sicht – FGÜ nicht egal, Fall 2 15 Meter Sicht – egal.
Typisch für die Antwort der Verwaltung ist die fehlende Gesamtschau auf den Rechtsabbieger: Welche Alternativen wurden angedacht? Welche warum verworfen? Wie läßt sich die Sicherheit der Fußgänger durch welche konkrete Maßnahme in welchem Umfang erhöhen?
Da diese Infos fehlen, darf die BV demnächst eine neue Anfrage stellen, ob man vielleicht nicht den Abbieger aufpflastern könne oder eine Ampel hinstellt, oder, oder. Erst wenn ein Fußgänger an der Stelle überfahren wird, würde es plötzlich ganz schnell gehen. Wetten?
Denn: Natürlich ist es grundsätzlich möglich, an einem Rechtsabbieger mit eingeschränkter Sicht einen Fußgängerüberweg (FGÜ) oder Zebrastreifen anzuordnen, um den Vorrang der Fußgänger gemäß § 9 Abs. 3 StVO zu verdeutlichen. Dies kann insbesondere dann gerechtfertigt sein, wenn die Sicherheit der Fußgänger gefährdet ist. Wäre das nicht der Fall, hätte die BV wohl keine Anfrage gestellt. Könnte ein FGÜ bei eingeschränkter Sicht nicht angeordnet werden, würde an keinem Rechtsabbieger einer angeordnet sein, vgl. Fälle 1 und 2.
Quellen, Verweise und Hinweise
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Verkehrsschau
Einzelheiten regelt das Merkblatt für die Durchführung von Verkehrsschauen MDV R2 (FGSV-Nr. 389).
https://media.frag-den-staat.de/files/foi/470749/_MerkblattfrdieDurchfhrungvonVerkehrsschauen.pdf
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Fußgängerüberweg
[3] Richtlinien für die Anlage und Ausstattung von Fuûgängerüberwegen (R-FGÜ 2001), Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen;
https://www.fgsv-verlag.de/pub/media/pdf/252.v.pdf
[4] Kreisverkehr Hofkamp / Neuenteich – Beseitigung einer Unfallhäufungsstelle, VO/0226/16
https://ris.wuppertal.de/vo0050.asp?__kvonr=17919
[5] Unfallatlas:
2019: 4 Unfälle, 2020: 7 Unfälle, 2021: 3 Unfälle, 2022: 4 Unfälle, 2023: 4 Unfälle, jeweils mit Personenschaden.
https://unfallatlas.statistikportal.de
[6] Beschilderung des Kreisverkehrs Neuenteich, VO/0156/17,
https://ris.wuppertal.de/vo0050.asp?__kvonr=18968
„Eine Kombination aus Markierung und Beschilderung mit Zeichen 350 … ist im vorliegenden Fall am Neuenteich nicht erforderlich.“
[7] Zur BV-Sitzung am 11.03.25, TOP 21: Prüfung eines FGÜ (Zebrastreifens) an der Kreuzung Leimbacher Str. /Schützenstr., VO/0194/25,
https://ris.wuppertal.de/vo0050.asp?__kvonr=33074
Weiter mit:
Die 100 Meter Mindestentfernung aus der Richtlinie der FGSV ist auf freier Strecke nachvollziehbar.
Bei Kreisverkehren ist eine Ausstattung mit Zebrastreifen aber eigentlich üblich. Und natürlich kann ein Fahrzeugführer, der in den Kreisverkehr einbiegt, noch nicht den Zebrastreifen der gegenüberliegenden Kreisverkehrsausfahrt sehen, obwohl der weniger als 100 Meter entfernt ist. Er fährt trotzdem keine 50 km/h.
Der Zebrastreifen Schützenstraße soll an einer Einmündung entstehen, an der der Fahrzeugverkehr sowieso Vorfahrt achten also ggf. anhalten muss. Die Argumentation des Amtes „… Durch die schlechte Sichtbeziehung sind abrupte Haltevorgänge zu erwarten, die Auffahrunfälle provozieren …“ wirkt daher etwas befremdlich: Anhalten zum Vorfahrtgewähren ist kein Problem. Anhalten am Zebrastreifen 5 Meter davor provoziert Auffahrunfälle. Hhm.
Richtlinien kann man als Richtlinien oder auch als wunderbare Ausredensammlung verstehen.
Ist das nicht der Linienweg der 628? Ich tippe mal, dass das der passende Grund zur Ausrede ist.