22.06.2025N. Bernhardt
Radeln Richtung Randerscheinung
Diagramm: Mit dem Rad zurückgelegte Wege. Quellen: [1]
Einige Leute sagen, Utrechter werden mit dem Fiets in der Wiege geboren, Wuppertaler mit einem Krampf im rechten Fuß, das sich als Autofahrer später oft als als Morbus Gibgasus entpuppt („Radfahrer müssen immer und überholt werden“). Doch das einzige, was Wuppertal und Utrecht ungefähr gemeinsam haben, ist die Anzahl der Bewohner. Zwei gravierende Unterschiede trennen jedoch die beiden Städte scharf voneinander.
Utrecht: Radparkhaus mit 12.500 Stellplätzen mit Parkleitsystem
Der erste Unterschied ist das Fahrradnetz, das überwiegend getrennt von den Autos verläuft. Fast niemand fährt mit Helm, die Menschen fühlen sich sicher. Entlang der ausgebauten Radwege stehen elektronische Anzeigen mit freien Stellplätzen für die 16 Fahrradgaragen der Innenstadt mit rund 22.500 Stellplätzen. Das größte davon ist am Hauptbahnhof CS mit 12.500 Stellplätzen auf drei Etagen. Es ist gleichzeitig das größte in Europa. [2]
In Utrecht werden 56 Prozent der Wege mit dem Rad zurückgelegt, in Wuppertal lächerliche acht Prozent. Dafür hat Utrecht 30 Jahre gebraucht von der autofreundlichen zur fahrradfreundlichen Stadt. Wuppertal hingegen hat sich sechs Jahre Zeit und das Prädikat „Fahrradstadt“ selbst vergeben mit oft krampfhaft angelegten Insellösungen oder Fahrradstraßen ohne Sinn und Mehrwert für den Radverkehr.
Wuppertal: Insellösungen, Altlösungen, unzumutbare oder gar keine Lösungen
Während Wuppertal mit den Nachbarstädten über Radschnellwege diskutiert mit jetzt links abbiegen, dann rechts und nochmal untendurch, dann kilometerlang an der stinkenden Autobahn entlang, die vielleicht irgendwann im nächsten Jahrzehnt fertig werden, richtet Utrecht kurzerhand eine 20 km lange Radvorrangroute nach Amersfoort ein. Und das bedeutet wirklich: Radfahrer haben stets Vorrang oder werden kreuzungsfrei geführt und nicht: Die Korkenziehertrasse endet auf einem gemeinsamen „Geh- und die anderen Fußgänger-Weg [3]“ auf dem vielbefahrenen Westring.
In Utrecht sind auf den Fahrradstraßen Autos Gäste, damit Häuser erreichbar bleiben, und keine umetikettierten Tempo-30-Zonen. Utrecht zieht Verkehrsplaner wie aus Tübingen an, die von der Atmosphäre richtig „begeischtert“ sind [2]: Das ist Radeln Richtung Verkehrswende. Das Rad steht im Mittelpunkt und nicht hinten- oder nebenan.
Die Klima- und Mobilitätswende in Wuppertal vollzieht sich hingegen überwiegend in den Werbeprospekten der Stadt. Aber in der Realität kein Radhaus, kein Quartiersparkhaus mit Ladesäulen, keine Radvorrangrouten, nicht mal ein umgesetztes Schwammstadtkonzept. ■
Fußnoten
[1] Quellen Diagramm:
– Mobilitätsbefragung: Wuppertal entdeckt das Fahrrad. In: Wuppertaler Rundschau. 23. April 2021, https://www.wuppertaler-rundschau.de/lokales/wuppertal-entdeckt-das-fahrrad_aid-57518093
– Bundesministerium für Digitales und Verkehr aus [2]
– Utrecht in Cijfers: https://utrecht.incijfers.nl/mosaic//thema/mobiliteit
[2] TV-Sendung: Re: Radeln Richtung Verkehrswende, arte, Sendung vom 17. Mai 2024, 31 Minuten, https://www.arte.tv/de/videos/111747-015-A/re-radeln-richtung-verkehrswende/
[3] Radfahrer sind auf einem „gemeinsamen Geh- und Radweg“ (Zeichen 240 StVO) grundsätzlich „die anderen Fußgänger“, da sie stets bremsbereit sein und ihr Tempo gefälligst an den Fußverkehr anpassen müssen.
Weiter mit:
Jetzt Wuppertal in die Schablone NL hineinzupressen wird nicht gehen. Man Verkrampft nur.
Radfahrer sollten nicht warten, bis wir hier das Fahrradparadies haben. Sondern erstal das nutzen was da ist und Sichtbarkeit erzeugen.
Ungenutzte Radwege und -anlagen frustrieren nur die Leute, denen man den Platz weggenommen hat.
Die fehlende Akzeptanz der STVO erzeugt nur Unmut. Das Ignorieren der Bedürfnisse von schwächeren Verkehrsteilnehmern, wie Kinder und eingeschränkte Personen auf Gehwegen vergiftet das Klima nur.
Apropos Klima, Klima- und Naturschutz werden wir so schnell mit Radfahrern nicht erreichen. Das glaube ich, wird mit ÖPNV und zwingend dazu Fußverkehr schnell und besser hinzu bekommen sein. Autofahrer werden eher in den Bus als aufs Rad steigen. Sind halt keine Holländer.
Wenn wir mal das Klima weglassen, das uns früher oder später sowieso einholt, bleibt die Sicherheit im Verkehr. Wenn wir nicht Holländer sind, dann schauen wir uns doch bitte mal von denen ab, wie man Infrastruktur schafft, auf denen sich Radfahrer sicher fühlen. Das ist ja kein Luxus, sondern Prinzip der StVO („Vision zero“).
Hier in W kann ich meinen Jungen leider nicht auf die Straße lassen. Selbst in meiner Kindheit gab es weder Gegenverkehr auf 3 Metern Fahrbahn(rest)breite, noch Inselradwegelchen, die erst neben geparkten Auto verlaufen und dann unvermittelt enden und damit den Radfahrer zwingen, sich wieder und wieder in den Verkehr einzuordnen.
Das mit dem ruhig Blut und gegenseitiger Rücksicht geht solange gut, bis die Straßenverkehrsbehörde Radfahrer ohne eigene Ampel an einer sonst beampelten Kreuzung Briller/Luisenstraße den Autofahrern vor den Kühler schmeißt, oder Radfahrer dank des mitten auf der 3 m breiten Friedrichstraße plötzlich endenden Radwegs mit entgegenkommenden Bussen „wer ist der Stärkere“ spielen müssen. In der Praxis ist nun mal der Seitenstreifen zugeparkt und steht der Benutzung durch den Radverkehr nicht zur Verfügung. Und überhaupt, wenn man wirklich gewollt hätte, dann ist auch ein durchgehender abgetrennter Radweg bis zum Neumarkt drin.
Die Straßenverkehrsbehörde erhöht die Akzeptanz der StVO unter den Verkehrsteilnehmern nicht, wenn sie selbst auf deren Vorgaben (wie die Mindestbreite von 3,5 m bei Busverkehr und gegenläufigem Radverkehr) scheíßt.
„Ungenutzte Radwege und -anlagen frustrieren nur die Leute, denen man den Platz weggenommen hat.“
Ich benutze Radwege, wenn sie mir einen Sicherheits- oder Zeitvorteil bieten. Andernfalls haben sie ihren Zweck verfehlt. Ich fahre Rad, um von A nach B zu kommen. Nicht, um Verkehrsplanern eine Freude zu machen.