Ein Zelt der Begegnung

Von der Zeltkirche zur Inklusionsidee: Die Philippuskirche in Wuppertal bleibt auch nach ihrer Entwidmung ein Symbol für gelebte Gemeinschaft. Sie ist unsere Kirche des Monats November.


Von der Zeltkirche zur Inklusionsidee: Die Philippuskirche in Wuppertal bleibt auch nach ihrer Entwidmung ein Symbol für gelebte Gemeinschaft. Sie ist unsere Kirche des Monats November.

Als die Philippuskirche im November 1969 im Wuppertaler Neubaugebiet Uellendahl eingeweiht wurde, kannte kaum jemand den Begriff der Inklusion. Aber schon damals war klar: Hier sollten nicht nur hörende, sondern auch gehörlose Menschen eine geistliche Heimat finden. Mit ihren 120 Sitzplätzen war die in Fertigbauweise errichtete, hölzerne Kirche mit ihrem markanten Zeltdach schnell zu klein, so dass 1980 ein Anbau, dann auch ein Pfarrhaus hinzukamen.

Bis September 2024 feierte die Gehörlosengemeinde mit ihren rund 200 Mitgliedern aus den Kirchenkreisen Wuppertal, Niederberg und Düsseldorf-Mettmann hier ihre Gottesdienste, Taufen und Hochzeiten. Heute entsteht auf dem Grundstück der entwidmeten und verkauften Kirche ein Wohnprojekt für Menschen mit Behinderung. Die Gehörlosengemeinde ist nur ein paar Meter weitergezogen: in das komplett barrierefrei umgebaute Gemeindezentrum Am Röttgen, das mit modernster Technik ausgestattet ist.

Barrierefreies Provisorium

Inklusionsschleifen am Boden, eine „taktile Wegführung“, WLAN im ganzen Haus – all das gab es in der kleinen Philippuskirche nicht. Aber mit ihren schlichten, blendfreien Wänden und später eingebauten Schallschutzdecken war auch sie auf die Bedürfnisse der Gehörlosengemeinde ausgerichtet. „Dabei ist sie eher als ein Provisorium errichtet worden, weil die lutherische Kreuzkirchengemeinde, zu der sie damals gehörte, mit ihrer kleinen Kapelle an der Kohlstraße aus allen Nähten platzte“, erzählt Anke Westermann vom Archiv des Kirchenkreises Wuppertal.

Die Zeltkirche stammte aus einer preiswerten Baureihe für Gotteshäuser der Rheinischen Landeskirche. Sie waren für junge Gemeinden in Stadtrandsiedlungen und Neubau-Gebieten gedacht und konnten zunächst als Notkirche in zwei verschiedenen Varianten ausgeliehen werden.

Eine Kirche „von der Stange“

„Aber die Fertigbaukirchen waren in der damaligen Zeit derart erfolgreich, dass weitere Baureihen entwickelt wurden, die die Gemeinden kaufen konnten“, sagt Anke Westermann. Das tat die Kreuzkirchengemeinde: Mit der Philippuskirche erwarb sie den sogenannten Bautyp A der Architekten Helmut Duncker und Martin Körbing, eine Zeltdach- bzw. „Nurdach“-Kirche in Holzkonstruktion.

Blick in die schlichte Zeltkirche mit historischer Orgel von 1750

Das nach Osten ausgerichtete Kirchenschiff war fünfzehn Meter lang, acht Meter breit und erinnerte in seiner Ausführung an ein Zelt. Deshalb bezeichnete die Gemeinde ihre Philippuskirche gerne auch als „Zelt der Begegnung“. Tatsächlich lud der schlichte, funktionale, aber stimmungsvolle Raum dazu ein, sich hier wohlzufühlen und miteinander ins Gespräch zu kommen. Weiße Wände, frei sichtbare Holzbalken, terracottafarbene Fliesen und helle Stühle schufen einen modernen Kirchraum, ergänzt durch viel Tageslicht durch das Dachfenster.

Gebrauchte Orgel und Glocken

In einer Ecke stand die kleine, historische Teschemacher-Orgel (um 1750), die aus der alten Kapelle an der Kohlstraße in die Philippuskirche gebracht worden war. Auch der freistehende Glockenturm war zur neuen Kirche transferiert worden.

Lange habe die Philippuskirche Gemeindefusionen und Sparzwängen getrotzt, berichtet Anke Westermann. Doch 2021 gab das Presbyterium der Gemeinde Uellendahl-Ostersbaum schließlich bekannt, dass die Kirche aufgegeben wird, aber dafür ein neuer barrierefreier Ort entsteht. „Mit der Entwidmung und dem Verkauf des Gebäudes wurde Wuppertals letzte Zeltdachkirche einer anderen Bestimmung übergeben,“ weiß Anke Westermann.

Letzte Zeltkirche in Wuppertal

Es gab davon immerhin vier Modelle in der Stadt: Die Dorpkirche wurde 1982 am Hacklandweg abgetragen und an die Evangelische Gemeinde Fürstenberg-Wünnenberg in Ostwestfalen verschenkt. Die Erlöserkirche am Westfalenweg brannte 1994 ab, und die Stephanuskirche an der Kyffhäuserstraße wurde 1997 abgerissen.

Karin Weber, die knapp 40 Jahre Pfarrerin der Gehörlosengemeinde war, ist stolz darauf, dass die Philippuskirche so viele Jahre Heimat für die Gehörlosengemeinde sein konnte: „Lange, bevor es das Bundesteilhabegesetz gab, wurden bei uns die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass Menschen mit und ohne Beeinträchtigung sich begegnen und Vorurteile abbauen konnten.“

Text: Anke Westermann/Sabine Damaschke
Fotos: Timo Platte/Sabine Damaschke

Anmelden

Kommentare

Neuen Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert