28.06.2025N. Bernhardt
Ab 28. Juni 25: Barrierefreiheitsstärkungsgesetz inkraft
Am 28. Juni tritt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) inkaft und verpflichtet alle privaten Unternehmen mit (a) einem digitalen Angebot (b) über zwei Millionen Euro Jahresumsatz oder (c) mehr als zehn Mitarbeitern zur digitalen Barrierefreiheit. Barrierefrei heißt: Jeder Mensch muß ein digitales Angebot oder Gerät ohne fremde Hilfe bedienen können.
Mit dem neuen Gesetz werden vor allem die Kriterien aus der Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV) auf zusätzliche digitale Angebote und Produkte wie Produkte wie Smartphones, Bankautomaten oder E-Book-Reader erweitert, teilweise mit 15-jähriger Übergangsfrist. Im Gegensatz zu staatlichen Stellen sieht das Gesetz Bußgelder bis 100.000 Euro vor und in letzter Konsequenz die Abschaltung des digitalen Dienstes.
Zwar ist die die gleichberechtigte digitale Teilhabe ein Menschenrecht und bereits durch die 2008 inkraftgetretene UN-Behindertenrechtskonvention festgeschrieben. Bisher ist über das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) nur der Staat seit 2021 zur digitalen Barrierefreiheit verpflichtet, mangels Sanktionsmöglichkeit, ist die Barrierefreiheit praktisch nicht existent.
In Deutschland sind rund 1,2 Millionen Menschen sehbehindert. Insgesamt leben hier 7,9 Millionen Schwerbehinderte, darunter auch Gehörlose oder Menschen mit kognitiven Schwächen, für die barrierefreie Strukturen im Netz unverzichtbar sind. Ein großer Teil davon, 91 Prozent, erwirbt Beeinträchtigung(en) erst im Laufe seines Lebens, also wenn die Person schlechter hört oder sieht, oder die Bewegungsfähigkeit nachläßt. Für sie ist Barrierefreiheit zumindest hilfreich.
Menschen mit Behinderungen nutzen nach einer Studie von Aktion Mensch zwar überdurchschnittlich das Angebot in Onlineshops. Ein aktueller Test von 2.446 deutschen Onlineshops durch „Buzzmatic“ und „DataPulse Research“ zeigt aber, daß lediglich 28 Shops (entsprechend ein Prozent) die Anforderungen des neuen Gesetzes (BFSG) vollständig erfüllen. Häufigste Mängel sind fehlende Seitenstrukturen, fehlender Textkontrast, mangelhaft oder gar nicht beschriftete Links und Schaltflächen.
Negativbeispiel Reisebuchung Deutsche Bahn: In der Auflistung verfügbarer Verbindungen gibt es ein Kontextmenü: Reise merken, Reise teilen – nur buchen läßt sich das Ding einfach nicht. Denn die Schaltflächen sind unklar ausgewiesen, der Interaktionspfad verwirrend. Die kundenrelevanten Informationen wie Preis, Fahrplan und Bezahlvorgang sind nicht gesammelt auslesbar. – Wobei das oftmals auch Normalkunden betrifft, weil der Anbieter komische „Schutzmechanismen“ implementiert, damit Konkurrenten ja den aktuellen Preis nicht erfahren.
Nicht eine staatliche Website innert drei Jahren vollständig barrierefrei
Im neuesten Prüfbericht der Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit und Informationstechnik an die Europäische Kommission vom März 2025 war keine der überprüften staatlichen Websites oder Digitalanwendungen im dreijährigen Berichtszeitraum vollständig barrierefrei.
Warum ist das so? Und wie lautet denn der Auftrag an den Dienstleister, der das ganze Drumherum um eine neue Website zur Verfügung stellen beziehungsweise programmieren soll? Oft ist es erfahrungsgemäß so, daß alles schnell-schnell online gehen soll. Und auf jeden Fall alles in die Cloud, englisch Wolke, das ist so schön fluffig. Erst später werden (Zitat) „besondere Sicherheitsanforderungen für die neue Cloudanwendung berücksichtigt“, und vielleicht dann irgendwann einmal die Belange der Barrierefreiheit.
“Zu aufwendig“ – „Zu kompliziert“ – dickes Fragezeichen.
Was machen diese Leute eigentlich beruflich? Im realen Leben würde niemand ein Auto ohne Bremsen verkaufen – die Bremsen kommen irgendwann später. Oder ein Haus ohne Fenster und Türen bauen, letzteres kommt dann halt später. Daher ist es absolut sinnfrei, mit der Erstellung einer Website zu beginnen, ohne sämtliche Belange wie Sicherheit, Bedienbarkeit (für die Redakteure) und Barrierefreiheit von Anfang an berücksichtigt zu haben.
Resourcen für Webdesigner
Web Content Accessibility Guidelines (WCAG; englisch für „Richtlinien für barrierefreie Webinhalte“): internationaler Standard zur barrierefreien Gestaltung von Internetangeboten, World Wide Web Consortium, 29. Oktober 2009,
https://www.w3.org/Translations/WCAG20-de/
DLF Hintergrund: Digitale Barrierefreiheit – Warum sie für Unternehmen Pflicht wird
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Es ist ein wenig Aufwand. Fuss e.V. hat es mit Aktion Mensch geschafft.
Versucht es mal.
fuss-ev.de/wuppertal