29.11.2024N. Bernhardt
Tempo 30 behindert den Busverkehr‼‼1elf‼
Nach vier Runden Lärmaktionsplan fällt einigen Parteien auf, daß Tempo 30 zwecks Lärmschutz ja die durchschnittliche Geschwindigkeit von A nach B senkt. Aktuell sehen einige Rot, wenn es um den Linienverkehr der Stadtwerke geht, speziell in Heckinghausen. Auf den soll doch bitte „Rücksicht“ genommen werden.
Tempo 30 wird nicht aus Jux und Dollerei angeordnet, sondern weil Lärmschutz eine menschliche (A) wie gesetzliche (B) Verpflichtung ist und dabei wesentlich teurere Maßnahmen wie „Flüsterasphalt“, OPA etc. pp. bei niedrigen Geschwindigkeiten im in der Stadt im Vergleich zur Autobahn wesentlich weniger Lärm reduzieren können (C).
(A) Lärm macht krank
Lärm führt nachweislich zu Schlafstörungen und Aufwachreaktionen, Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Krankheiten, Störung der Konzentration und des Leistungsvermögens bis hin zu Depressionen. Lärm ist nicht anfaßbar und jeder hat seine persönliche Grenze, bis zu der er Lärm ertragen kann – sowohl von der Dauer, als auch vom Geräuschpegel und der -art her. [1][2] Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, daß jährlich in Westeuropa 654.000 Lebensjahre aufgrund von Lärmbelastungsreaktionen verloren gehen. [3] Die konkreten Kosten zum Beispiel für das Gesundheitswesen und die Wirtschaft lassen sich nur schwer kalkulieren. In einer älteren Studie [4] sind die medizinischen Kosten pro Jahr für jede über 65 dB(A) exponierte Person mit 130 € angegeben.
(B) Gesetzliche Grundlagen
Die EU-Kommission hat 2002 die Umgebungslärmrichtlinie erlassen, die der bundesdeutsche Gesetzgeber 2005 mit Einfügen der §§ 47a bis 47f in das Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) in nationales Recht umgesetzt hat. [5] Ziel ist die Errechnung von Lärmkarten anhand der jährlichen Mittelung unter Ausschluß von sich ändernden Faktoren wie Wind, Wetter oder unterschiedliches Verkehrsaufkommen jeweils für den Flug-, Bahn- und Straßenverkehr. Die Kommunen sind dann zur Erstellung von Lärmaktionsplänen verpflichtet; der ursprüngliche Stichtag war am 18. Juli 2008. [6]
Während Baden-Württemberg vor rund 10 Jahren bereits Lärmaktionspläne erstellt und alle erforderlichen Maßnahmen –oftmals als Tempolimit– umgesetzt hat, haben sich viele Kommunen in Nordrhein-Westfalen schlafen gelegt. Weil entsprechende Pläne bis zu einem Stichtag fehlten oder unvollständig waren, hat die EU-Kommission 2016 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet. [6]
Lärmpegel ab 70 dB(A) tags und 60 dB(A) nachts überschreiten die Lärmbelastung die grundrechtliche Schwelle zur Gesundheitsgefährdung (BVerwG 9 A 16.16, Beschluss vom 25. April 2018, Rn. 86f). Straßen, deren ermittelter Lärmpegel diese Grenzwerte überschreiten, sind vordringlich im Lärmaktionsplan zu behandeln. Bereiche mit Lärmbelastungen ab 65 dB(A) LDEN und 55 dB(A) LNight [7] bei einer qualifizierten Lärmaktionsplanung auf jeden Fall zu berücksichtigen. [8]
(C) Mögliche Lärmschutzmaßnahmen
Beschränken wir uns auf die Maßnahmen, die auf innerstädtischen Straßen infragekommen:
– Einbau von offenporigem Asphalt (OPA, „Flüsterasphalt“),
– Anordnung von zeitlich begrenzten (LKW-) Fahrverboten,
– Anordnung von (zeitlich begrenzten) Tempolimits,
– Verstetigung des Verkehrsflusses und „Grüne Welle“.
Das Umweltbundesamt hat eine Fibel [9] mit technischen Lärmschutzmaßnahmen und deren Wirksamkeit herausgegeben. Zitat: „Offenporige Asphalte“ (OPA) sind „aufgrund ihrer Bauweise … in der Regel innerorts nicht umsetzbar.“ Die Haltbarkeit ist im Vergleich zu Standardasphalt auf sieben bis acht Jahre beschränkt. [10]
Der Einsatz von lärmminderndem Gußasphalt kann den Lärmpegel um rund 2,5 dB(A) senken. Die Kosten für Splitmastixasphalt, einer Art von Gußasphalt, betrugen auf 800 Meter (~8.500 m²) Nevigeser Straße um 2016 rund 950.000 Euro. [11] Für die Heckinghauser Straße ist für die Strecke zwischen Am Clef und Bockmühle in VO/0668/13 eine Fläche von 22.620 Euro angegeben. [14] Bei 120 Euro pro Quadratmeter 2016 und einer angenommenen Inflation von 4 Prozent p.a. ergibt sich damit für diesen Streckenabschnitt eine Investitionssumme von 3,8 Millionen Euro.
Setzen die WSW hingegen wegen des bestehenden Tempo 30 auf der Heckinghauser Straße einen Bus mehr ein, muß die Stadt Wuppertal für diesen einen Bruchteil davon ohnehin als Zuschuß für die Verluste der Verkehrssparte zuschießen. (Den entsprechenden Gewinnanteil der WSW-Versorgungssparte zieht bekanntlich ENGIE Deutschland GmbH als „Synergieeffekt“ ab. [12])
Tempo 30 hat eine Minderungswirkung von 2,0 dB(A) bzw. 3,9 dB(A) (nur Pkw) und kostet ebenso nur ein Bruchteil einer Fahrbahnerneuerung. Zudem läßt sich diese Maßnahme mit einer „Grünen Welle“ kombinieren und mindert den Lärmpegel dann noch einmal bis zu 4 dB(A), ist dann also wirkungsvoller als ein lärmmindernder Straßenbelag.
(D) Stadtrat torpediert 4. Runde Lärmaktionsplan mit „Prüfungsauftrag“
Der Rat der Stadt hat in seiner Sitzung vom 16. September 24 die Verwaltung beauftragt „zu prüfen“, „dass anstelle von Tempo-30-Regelungen offenporiger und lärmmindernder Asphalt (OPA) als Straßenbelag aufgebracht wird.“ [13] – Das Ergebnis steht faktisch fest, siehe oben.
Quellen, Hinweise, Verweise
[1] https://www.tagesschau.de/wissen/gesundheit/tag-gegen-laerm-gesundheit-folgen-100.html
[2] https://www.tagesschau.de/ausland/studie-laerm-101.html
[3] https://www.aerzteblatt.de/archiv/206499/Auswirkungen-von-Laerm-auf-das-Herz-Kreislauf-System
[4] Umweltbundesamt: Lärmwirkungen, Dosis-Wirkungsrelationen. Dr. Kerstin Giering, März 2010.
https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/laermwirkungen
[5] https://www.umweltbundesamt.de/themen/laerm/umgebungslaermrichtlinie
[6] Siehe dazu auch: Umgebungslärm, Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Umgebungsl%C3%A4rm
[7] LDEN: Day, Evening, Night. Ist ein gewichteter Mittelwert über den Tag (Day=12 Stunden), den Abend (Evening=4 Stunden) und die Nacht (Night=8 Stunden). In der Formel wird die Nacht mit +10 dB und der Abend mit +5 dB gewichtet. Der Tag wird nicht beaufschlagt. Die verschiedenen Zeiträume werden anteilig mit der Anzahl der Stunden berücksichtigt.
LNight wird zwischen 22 Uhr und 6 Uhr morgens ermittelt und ist ein Maß für Schlafstörungen.
[8] https://vm.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/m-mvi/intern/Dateien/PDF/230208_Kooperationserlass-LAP-BW.pdf
[9] Lärmaktionsplanung – Lärmminderungseffekte von Maßnahmen Methode zur Abschätzung von
Lärmminderungspotenzialen
https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/laermaktionsplanung-laermminderungseffekte-von
[10] Arbeitsgemeinschaft Autobahngeschichte, Zitat: „Heutiger – Geräusche mindernder – offenporiger Asphalt (OPA), hat hierbei eine Haltbarkeit von etwa 7 bis 8 Jahren, meist übliche Asphaltsorten halten etwa 12 bis 15 Jahre und bei Betondecken erhofft man eine Lebenserwartung von 30 bis 40 Jahren.“
[11] Landtag NRW, Vorlage 16/4408, PDF-Seite 37,
Erneuerung von ca. 8.300 qm Deck-, Binder- und Tragschicht der Nevigeser Str. (von Egenstr. bis Westfalenweg) mit einem geräuschmindernden Fahrbahnbelag zur Verminderung von Lärmbelastungen einschI. erforderlicher Straßenrandeinfassungs- und Markierungsarbeiten. 5treckenlänge ca. 800 m, gewähltes Material: lärmoptimierter Splittmastixasphalt, SMA 8 SLA
Die Maßnahme ist Bestandteil des kommunalen Lärmaktionsplans v. 03.11.2013
950.000 € Investitionsvolumen
Hinweis: Der verwendete Splitmastixasphalt ist weniger lärmmindernd als technisch möglich.
https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMV16-4408.pdf
[12] ENGIE Deutschland GmbH, Wikipedia, s. unter Unternehmensprofil
https://de.wikipedia.org/wiki/Engie_Deutschland#Unternehmensprofil
[13] VO/0946/24 : Änderungsantrag zur Fortschreibung des Lärmaktionsplanes für den Ballungsraum Wuppertal – Lärmkartierung und Lärmaktionsplanung der Runde 4,
Antrag der Fraktionen von SPD, CDU und FDP vom 11.09.2024
https://ris.wuppertal.de/vo0050.asp?__kvonr=32351
[14] VO/0668/13, Anlage 9: Lärmaktionsplan, Anlage 9 zum Endbericht,
https://ris.wuppertal.de/getfile.asp?id=158480&type=do
Lärmkarte für NRW:
https://www.umgebungslaerm.nrw.de/
Interaktive Lärmkarte auf der Seite des Umweltbundesamtes:
https://gis.uba.de/maps/resources/apps/laermkartierung/index.html?lang=de
Weiter mit:
Man kann auch offenporigen Asphalt mit einer Grünen Welle kombinieren.
Was mich an der Kehrtwende in Heckinghausen fasziniert, ist ihre konsequente Gemeinwohlorientierung. Tempo 30 ist ja ein Nachteil für alle Fahrzeuge – auch, wenn das Argument nicht gern genannt wird:
Privat-Pkw, Taxis, Paketboten, Pflegedienste, Kuriere, Lieferdienste, Handwerker, Speditionen, Reisebusse, … sie alle verlieren ein paar Sekunden oder Minuten auf den Lärmschutz-Abschnitten und die meisten davon sind Wuppertaler. Egal. Lächerlich. Peanuts. Anwohnerschutz hat Vorrang!
Linienbusse auch? Linienbusse auch. Ups, das betrifft die WSW! Na, jetzt hört der Spaß aber auf…
Wie hält man eine Verkehrsausschusssitzung eigentlich ohne Popcorn durch?
Popcorn? Man schläft doch vorher ein, weil außer den „mündlichen Berichten“, die natürlich nicht im Protokoll der Sitzung auftauchen, eigentlich nichts interessantes passiert.
Und damit auch ja kein Petent von seinem Rederecht Gebrauch macht, erscheinen die Anregungen am Ende der Tagesordnung. Ob diese TOPs also um 16.30 Uhr oder erst um 20.00 Uhr aufgerufen werden, kann niemand nicht sagen.
Die Anregung, diese Praxis zu ändern, verschwindet in der Schublade.