Ruhe finden im stressigen Advent

Advent, Advent - und alles rennt? Jedes Jahr nehmen sich viele von uns vor, es mal langsamer und "besinnlich" angehen zu lassen. Was es dazu braucht, erklärt Pfarrer Joachim Hall.


Advent, Advent – und alles rennt? Jedes Jahr nehmen sich viele von uns vor, es mal langsamer und „besinnlich“ angehen zu lassen. Was es dazu braucht, erklärt Pfarrer Joachim Hall.

„Besinnlichkeit“ ist ein beliebtes Schlagwort im Advent. Aber was ist damit eigentlich gemeint?

Joachim Hall: Im Wortsinn bedeutet Besinnlichkeit: „Zu Sinn kommen“. Es geht also darum, sich auf die Suche danach zu machen, was für mich eine Bedeutung hat und Sinn ergibt. Das kann ganz unterschiedlich sein. Es gibt Menschen, die suchen geistliche Impulse in Texten, die sie stärken und ihnen in dieser dunklen Jahreszeit Mut machen. Dafür brauchen sie Ruhepunkte im Alltag, die sie sich schaffen müssen. Andere erfahren diese stärkenden Impulse in der Musik. Für sie sind deshalb Advents- und Weihnachtskonzerte wichtig. Wieder andere lieben Weihnachtsmärkte, auf denen sie schöne Dinge entdecken und sich mit anderen zum Glühwein verabreden können. Jeder und jede sollte also danach schauen, was für ihn oder sie Sinn ergibt.

Diese „Sinnsuche“ ist gerade bei vielen Menschen von Sorgen überschattet. Was bewegt die Menschen, mit denen Sie als Pfarrer zu tun haben?

Joachim Hall: Das hängt ganz davon ab, mit wem ich spreche. Gerade in der Adventszeit sind diejenigen besonders bedrückt, die in jüngerer Vergangenheit jemanden verloren haben. Einsamkeit ist ein großes Thema, übrigens nicht nur in der älteren Generation. Viele machen sich Sorgen um den Zusammenhalt in unserem Land, in dem viele es wieder für salonfähig halten, eine extremistische Partei zu wählen, die eben „nicht versöhnt, sondern spaltet“, um es mit Johannes Rau zu sagen. Und die Frage nach Frieden treibt uns eigentlich alle um, wenn wir auf Russland blicken, den Nahostkonflikt oder die Lage im Sudan.

Als Christen haben wir die beste Mutmacherbotschaft der Welt.

Keine Frage, es sind gerade sehr herausfordernde Zeiten. Doch als Christen haben wir die beste Mutmacher-Botschaft der Welt! Wir leben nicht im Dunkeln. Gott hat Licht in diese Welt gebracht. Es geht weiter, es gibt Perspektiven und Hoffnung.

Aber können die Menschen heute mit dieser Botschaft noch etwas anfangen?

Joachim Hall: Das denke ich schon. Gerade in der Advents- und Weihnachtszeit erlebe ich viele Menschen, die sich auf „Sinnsuche“ begeben und dafür die verschiedenen Angebote der Kirchen nutzen. Die sind ja reichhaltig und verschieden, so dass für jeden und jede etwas dabei ist. Neben klassischer Musik gibt es Weihnachtspopkonzerte, begehbare Krippenspiele, Taizé-Gottesdienste oder auch Adventsaktionen wie unseren lebendigen Adventskalender. Jeden Tag öffnet sich in einem anderen Haus in unserem Stadtteil ein Fenster. Mitglieder unserer Gemeinde laden davor zu einem geistlichen Impuls mit Andacht, Liedern, gemeinsamem Zusammensein ein.

Ruheort im Weihnachtstrubel: Die CityKirche Elberfeld.

Die Kirchen werden meist nur für Veranstaltungen geöffnet. Wäre es nicht sinnvoll, sie im Advent auch als Orte der Besinnung anzubieten?

Joachim Hall: Absolut, das wäre sicher für viele ein Gewinn. Ein Tipp für alle in den Innenstädten: Die Citykirchen in Barmen am Alten Markt und am Kirchplatz in Elberfeld bieten wunderbare Oasen für alle, die einmal Luft holen, ein Gebet sprechen oder eine Kerze anzünden wollen. Beide Kirchen sind immer zugänglich, wenn auch das Café Komma in Barmen oder das Weltcafé in Elberfeld geöffnet sind.

Sicher werden Sie als Pfarrer auch manchmal gefragt, wie man in dieser herausfordernden Zeit zur Ruhe kommen kann. Was raten Sie?

Joachim Hall: Eine große deutsche Krankenkasse hat gerade einen „Stressreport“ veröffentlicht, nach der zwei Drittel aller Deutschen sich gestresst fühlt. Das kann ich aus meinen Begegnungen leider bestätigen. In der Seelsorge erlebe ich viele Menschen, die mit sehr hohen Ansprüchen an sich selbst und ihre Mitmenschen durchs Leben gehen. Alles soll möglichst perfekt sein: die Paarbeziehung, die Wohnsituation, der Beruf, die Leistungen der Kinder in der Schule…. Aber das Leben und diese Welt sind nicht perfekt! Daher rate ich erstens dazu, die Ansprüche herunterzuschrauben. Es darf auch Jahre geben, in denen keine Adventsstimmung aufkommt.

Betreiben Sie weniger Aufwand. Im Kleinen liegt die Freude.

Zweitens empfehle ich, weniger Aufwand für Dekoration, Gebäck, Feiern und Geschenke zu betreiben. Oft reichen einfache Mittel – wie das Anzünden einer Kerze, das Lesen einer Geschichte, Hören einer Andacht – aus, um zur Ruhe zu kommen. Oft liegt im Kleinen die Freude. Gottes Zeit auf dieser Welt hat auch nicht perfekt begonnen. Das kann uns doch Mut machen, in dieser Adventszeit mal einen Gang zurückzuschalten und – wie ich eingangs schon sagte – zu schauen, was wirklich Sinn für uns macht.

Das Interview führte Sabine Damaschke.
Foto: privat/KK-Archiv

Aktuelle Studie zum Thema Stress

Die aktuelle Studie der Techniker Krankenkasse zeigt, dass sich 66 Prozent der Deutschen im Alltag oder Berufsleben häufig oder manchmal gestresst fühlen. Mehr als die Hälfte der rund 1.400 Befragten empfindet das Leben heute als belastender als vor 15 bis 20 Jahren. Frauen berichten deutlich häufiger von Stress als Männer, und vor allem jüngere Erwachsene zwischen 18 und 39 Jahren sind besonders betroffen. Als wichtigste Stressfaktoren nennen die Befragten hohe Ansprüche an sich selbst, gefolgt von Belastungen durch Schule, Studium oder Beruf sowie politischen und gesellschaftlichen Problemen.

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