Die Alltäglichkeit von Gewalt

Der Sozialpädagoge Fabian Kessl hat an der ForuM-Studie zu sexualisierter Gewalt in Kirche und Diakonie mitgewirkt. Am Montag (02.06.) berichtet er darüber.


Der Schock war groß, als die ForuM-Studie Anfang 2024 das Ausmaß sexualisierter Gewalt in Kirche und Diakonie darlegte. Der Wuppertaler Sozialpädagoge Fabian Kessl hat an der Studie mitgewirkt und berichtet daüber am Montag (02.06.) in einem Vortrag.

Mit der ForuM-Studie wurde im Januar 2024 erstmals für die evangelische Kirche und die Diakonie eine unabhängige Forschungsarbeit über Ursachen und Häufigkeit von sexualisierter Gewalt und anderen Missbrauchsformen veröffentlicht. Knapp 1.300 Beschuldigte, darunter 511 Pfarrpersonen, und über 2.000 Betroffene, dazu eine hohe Dunkelziffer: Die Ergebnisse erschütterten viele Menschen.

Fabian Kessl, Professor für Sozialpädagogik an der Universität Wuppertal, beschäftigt sich schon lange mit dem Thema der sexualisierten Gewalt und gehörte zum Expertenteam der 2020 von der EKD in Auftrag gegebenen ForuM-Studie. Im Rahmen der „Offenen Abende“ in der Johanneskirche der Gemeinde Elberfeld-Südstadt berichtet er am Montag (02.06.) über seine wissenschaftlichen Untersuchungen zu Machtverhältnissen, Glaubenssystemen und institutionellen Schutzmechanismen, die Missbrauch begünstigen oder sogar vertuschen.

Missbrauch in der Kirche

Vortrag von Prof. Dr. Fabian Kessl
Montag, 2. Juni, 19.30 Uhr
Johanneskirche
Am Friedenshain, Altenberger Straße 25
Der Eintritt ist frei.

„Ein zentrales Ergebnis dieser Studie ist sicherlich die Alltäglichkeit von Gewalt“, erklärt Kessl in einem Interview der Bergischen Universität Wuppertal. „Wir müssen verstehen, dass sexualisierte Gewalt etwas ist, was uns gewissermaßen überall begegnen kann.“

Sexualisierte Gewalt in allen Bereichen

Statistisch sitzen laut Kessl in jeder Schulklasse ein oder zwei betroffene Kinder. Daher sei für ihn von vornherein klar gewesen, dass es auch in der Evangelischen Kirche viele Betroffene gibt. Und das gilt, so hat er gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern in der ForuM-Studie deutlich gemacht, nicht nur für bestimmte evangelische Bereiche wie etwa das Pfarrhaus oder eine Jugendeinrichtung. „Wir fanden Berichte über Gewalt in allen Bereichen: in der Kita, im Konfirmandenunterricht, in der Jugendarbeit, im Pfarrhaus, zwischen Erwachsenen und zwischen Kindern“, betont der Wissenschaftler. „Ergebnis ist also: Es gibt keine spezifische evangelische Konstellation für Gewalt und Übergriffe.“

Klar ist für ihn aber, dass gewisse Strukturen und Machtverhältnisse die Gewalt begünstigten. So sei es häufig und schnell zu einem Abwehrverhalten gekommen, wenn Kirchenvertreter:innen mit Hinweisen oder Anzeigen konfrontiert wurden – insbesondere, wenn die Staatsanwaltschaft kein Verfahren eröffnen konnte. „Hier spielt die Tatsache eine Rolle, dass Menschen oft erst viele Jahre später überhaupt fähig sind, über ihre Gewalterfahrungen zu sprechen und das macht es oft schwierig, die Dinge strafrechtlich aufzuklären oder so zu klären, dass sie kriminalistisch eindeutig sind.“ Das heiße aber noch lange nicht, dass es nicht etwas aufzuarbeiten gäbe.

Betroffene und ihr Leid ernstnehmen

Die Beteiligung von Betroffenen an der Studie bezeichnete Kessl als eine große Hilfe, weil sie immer ihre Perspektive, Expertise und Kompetenz einbringen konnten. „Sie haben uns bei der Fallauswahl beraten, aber auch bei der Interpretation und den Ergebnissen, die wir immer wieder haben kommentieren lassen.“

In seinem Vortrag stellt der Sozialpädagoge die Frage, wie die Kirche als Institution mit ihrem eigenen Machtanspruch und dem Vertrauen der Gläubigen umgeht, während gleichzeitig das Leid der Opfer oft nicht genügend Beachtung findet. Er fordert einen tiefgreifenden Veränderungsprozess in der Kirchenstruktur und transparente Mechanismen für Opfer.

„Ich möchte, dass die Gesellschaft aufgeklärt wird über die Logiken von solchen Gewaltkonstellationen“, betont er. „Ich tue das auch, weil ich glaube, Wissenschaft kann zu Veränderung beitragen.“

Zur Person:

Prof. Dr. Fabian Kessl studierte Erziehungs- und Politikwissenschaft in Heidelberg und promovierte 2004 an der Universität Bielefeld. Seit 2018 lehrt er Sozialpädagogik mit dem Schwerpunkt sozialpolitische Grundlagen an der Bergischen Universität in Wuppertal.

Text: Gemeinde Elberfeld-Südstadt und Bergische Uni Wuppertal
Redaktion: Sabine Damaschke
Foto: UniService Transfer

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