Die Wedel

Dem als soziale Gruppe untergegangenen ostelbischen Adel setzt der Autor ein faszinierendes Denkmal. Am Beispiel einer Familiengeschichte. Fotos und Dokumente runden das sehr widersprüchliche Bild ab. Unser Buch des Monats.

Geschichte, die es verdient, nicht verdrängt, sondern aufgearbeitet zu werden: Dr. Wolf Christian von Wedel Parlow, der seinen Conze und seinen Malinowski, Francis L. Carsten und Shelley Baranowski gelesen hat, entwirft das sehr widersprüchliche Bild einer Adelsfamilie, die zu großen Teilen die NSDAP bereits vor 1933 unterstützte und für die „die Ausrufung der Republik 1918 und die Verabschiedung der Weimarer Verfassung im Jahr darauf“ einen „Schock“ darstellte (Seite 19), aus der aber auch ein Emil Graf von Wedel stammte, der zu den 33 Persönlichkeiten gehörte (neben Albert Einstein, Erich Kästner, Käthe Kollwitz und Heinrich Mann), die den „dringenden Appell“ des Internationalen Sozialistischen Kampfbundes zur taktischen Kooperation von SPD und KPD bei der Reichstagswahl 1932 unterschrieben (S. 139). Vergeblich, wie man nicht erst seit heute weiß.

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Die Wedel standen, wie der Adel überhaupt, gewohnheitsmäßig rechts, wählten deutschnational und waren „selbstverständlich gegen das ‚System’, wie die Weimarer Republik in den rechten Kreisen hieß“ (S. 17). Dazu gehörte eine klare „antibolschewistische“ und nicht minder antisemitische Einstellung, die knapp drei Jahre nach der „Machtergreifung“ die Verankerung der „Blutsreinheit“ in der Familiensatzung zur Folge hatte – und viele Wedel zuvor schon in die Arme der Freikorps führte, aus denen der Stahlhelm und die SA hervorgingen. Eine soziale Gruppe im unumkehrbaren Abstieg, hatte doch der Kaiser schmählich versagt: „Was blieb dann noch übrig? Auswanderung, Fremdenlegion, Schmarotzertum, Glücksspiel standen nicht selten am Ende der vergeblichen Suche nach einem bürgerlichen Beruf“ (S. 23). Entsprechendes galt für ehemalige Hofdamen und Hofbeamte (ebda.).

Unnachsichtig beschäftigt sich der Verfasser, der auch als Lyriker, Erzähler und Romancier hervorgetreten ist, mit den geschichtlichen Erzählungen, deren Ziel es ist, sich über den Umweg beispielsweise der „sauberen Wehrmacht“ hinter der großen Masse der Deutschen zu verstecken und die eigenen Verbrechen kleinzuschreiben, wofür Namen stehen wie Hasso von Wedel („Die Propagandatruppen der Deutschen Wehrmacht“, 1962), Erhard Graf von Wedel („Rasse und Adel“, 1934) oder Ottmar von Wedel Parlow („Die überragende Geisteskraft wahrhafter Volksführer wird in ihren Werken der Mannschaft offenbar. Sie hören vom Opfertod eines … Schlageter, eines Horst Wessel“, 1939) – die beiden letztzitierten Texte befinden sich im Anhang, der ebenso instruktiv ist wie die insgesamt 17 Abbildungen. In diesem Zusammenhang soll nicht unerwähnt bleiben, dass in dem besprochenen Band auch Anmerkungen die Lektüre lohnen, weil sie die Argumentation oder jeweilige Beweisführung fortsetzen.

Man erfährt so nebenbei viel über den Reichsnährstand und „alte Kameraden“, Familienmatrikel und „Vettern“, wie sich die männlichen Nachkommen anreden, oder das Ostpreußenprogramm von 1926 und das Osthilfegesetz der Regierung Brüning von 1930. Doch die „Junker“ wollten mehr vom Reichspräsidenten, dem man ein Gut schenkte (Fußnote auf S. 28) und der schließlich Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannte, der letztendlich daran gehen sollte, die verbliebenen Privilegien des Adels abzuschaffen. Es ist und bleibt eine Tatsache, „dass der grundbesitzende ostelbische Adel Hitler zur Macht verholfen hat“ (S. 30).

Es ist dem gelernten Ökonomen gelungen, seine Familie im Kontext der generationellen Prägung „in die Geschichte“ zu stellen und „sich autobiographisch zu verorten“, wie der Herausgeber Jürgen Reulecke im Vorwort betont, der im Übrigen mit Wolf von Wedels selbstverständlich ein Quellen- und Literaturverzeichnis, Bildnachweise und ein Personenregister enthaltendem Werk den 64. Band der Reihe „Formen der Erinnerung“ vorlegt.

Dem Autor wäre es zu gönnen, dass die Familie sein Werk würdigt, das schließlich auch an Erhard Graf von Wedel-Gödens und einen weiteren „Vetter“ erinnert, die trotz Zugehörigkeit zur NSDAP „einem Halbjuden Land verpachteten“. Dann hing eines braunen Tages „quer über die Dorfstraße ein Plakat: ‚Hier wohnen Judenfreunde’“ (S. 92). Wedelsche Judenfreunde.

MATTHIAS DOHMEN

 

Wolf Christian von Wedel Parlow, Ostelbischer Adel im Nationalsozialismus. Familienerinnerungen am Beispiel der Wedel, Göttingen: V&R unipress 2017 (= Formen der Erinnerung, 64), ISBN 978-3-8471-0758-3, 199 S., Euro 35,00, www.v-r.de/de/vr-unipress.

 

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