Bei Heino und Hannelore

„Cut-up“ ist die Kurzformel für eine Montagetechnik, die William S. Burroughs in die Literatur eingeführt hat. Angewendet hat sie aber auch der Wuppertaler Musiker und Schriftsteller Reinhard Giebel: Unser Buch des Monats August.

Genau genommen war es Brion Gysin, ein Freund Burroughs’, der die Technik erstmalig entwickelt hat: beispielsweise eine Zeitungsseite zerschneiden und die Streifen neu zusammenlegen. Dabei erlebte er „einen eigenartigen Effekt: Es kamen durchaus vollständige Sätze zustande, die teils erheiternden, teils aber auch einen geheimnisvoll verschlüsselten Sinn zu haben schienen“ (www.moellenhoff.de/academy23/burroughs/cutups.htm). Burroughs griff Gysins Art der Montage auf und begann seinerseits zu experimentieren, schuf gemeinsam mit Anthony Balch 1965 drei Filme (Towers Open Fire, Cut-ups und Bill an Tony) und schrieb mehrere Bücher (Minutes To Go, den verfilmten Roman Nakes Lunch und The Third Man). Eine Variante seiner Technik bilden ständige Abwandlungen eines Themas, Satzes oder Bildes, wie man sie auch in Raymond Queneaus „Stilübungen“ findet oder – wer gerne hört – in der momentan im WDR ausgestrahlten Folgen der Serie „Taxi Knosowski“ von Uli Winters.

giebel-aufregung

Reinhard Giebel nun hat über Jahre Ankündigungen von TV-Filmen gesammelt, die in der Programmzeitschrift „TV Spielfilm“ erschienen sind (es hätte auch jedes andere Journal sein können) und sie neu gemischt. Dabei kommen urkomische Texte zustande, die ganze zwei oder an die 30 Zeilen umfassen:

„Wieviel Zähne hat der Schäferhund?
Rätselauflösung in der Sendung
‚Schäferhunde nach Maß’
am 12. September.“

Oder:

„Wo wird Silvester gefeiert? Bei Heino und
Hannelore, die mit Stimmungsliedern
vorfeiern. Zum Mitsummen und
Mitklatschen bietet sich reichlich
Gelegenheit. Filmstar Til Schweiger albert
kräftig mit.“

Noch eine Kostprobe:

„Auf einer Party lernt David die künftige Frau
seines Vaters kennen und ist schockiert.
Durch einen Zufall erfährt er, dass dieser
früher als Söldner für eine afrikanische
Republik gekämpft hat.
Nun werden auch die beiden
Astronauten gezwungen, beim
Fischfang mitzumachen.“

Giebel ist ein Fan von Heinz Erhardt. Einen Spruch von ihm setzte er seiner Sammlung vorweg: „Große Schatten werfen ihre Ereignisse hinter sich“. Gewidmet ist das Buch Balduin, Bodo, Mizzie und Wilma, vier Katzen, die zum Haushalt der Giebels gehören beziehungsweise gehörten.

Absurdes Theater eben. Letztes Zitat:

„Kette rauchen und viel Alkohol trinken. Geht
nicht? Geht doch! Wer Wulf Schnetter bei
einer seiner Kneipentouren trifft, kann sich
das kaum vorstellen.“

Cut-up war gestern, formulierte ein Kritiker: Was Giebel jetzt geschaffen hat, sei die „virtuelle Fernbedienung“. Zu folgendem Zweck: Giebel konstruiere (vielleicht: rekonstruiere) „mit spielerischer Leichtigkeit die schöne neue Welt der Unterhaltung“.

MATTHIAS DOHMEN

 

Reinhard Giebel, Aufregung in Kassel. TV-Collagen, Wuppertal: Nordpark 2011 (= Die besonderen Hefte), ISBN 978-3-935421-50-8, Euro 6,50, www.nordpark-verlag.de.

 

 

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