„Nicht-Tempo 30“ vor Kitas nach Landrecht

Wie die Stadt weiterhin vor Tempo 30 zum Schutz der Kinder kuscht

Titelbild
Foto: Zwischen den Gehwegen liegen acht Meter und jede Menge Verkehr bei Tempo 50 und gerne mehr.

Wieder einmal steht der Wunsch nach Tempo 30 vor einem Kindergarten [1] auf der Tagesordnung des Verkehrsausschusses (4. Februar). Wieder einmal auf die hinterletzten Plätze der Tagesordnung verlegt, betont der Verkehrsausschuß erneut, wie (un)wichtig ihm Anregungen von Verkehrsteilnehmern sind oder diese ihm an dieser Stelle vorbeigehen.

Auch die Verwaltung betet in ihrer Drucksache VO/0002/25 zunächst gewohnt die Voraussetzungen für die Anordnung von Tempolimits aus straßenverkehrsrechtlichen Gründen herunter, die freilich hier gar nicht das Problem sind. Denn der Gesetzgeber hat die Gefährdung der oftmals unvorhersehbar agierenden Kinder erkannt und schreibt daher als (vorbeugende) Maßnahme zur Sicherheit im Verkehr die Anordnung von Tempo 30 als Regelfall in den nachfolgenden Fällen verbindlich vor.

Verbindliche Vorgaben für Tempo 30 vor Kindergärten und Schulen

Zusammenfassend ist auf längstens 300 Meter Tempo 30 vor einer schützenswerten Einrichtung an Straßen anzuordnen, zu denen

(a) ein direkter Zugang besteht oder

(b) im Nahbereich der Einrichtung viele der Kinder diese Straße queren, bei Elterntaxis oder an der Bushaltestelle ein- und aussteigen.

Die konkreten Vorschriften finden sich in der Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO) [2], wann „in der Regel“ eine Tempo 30-Strecke vor schützenswerten Einrichtungen [3] anzuordnen ist, wann davon Ausnahmen gemacht und das ganze mit anderen Faktoren abgewogen werden kann. Dazu hat Amt 104 eine Auflistung zu erstellen und ihre Erwägungen nachvollziehbar zu dokumentieren. Die erste und letzte Übersicht stammt aus dem Jahr 2020. [4] Schon damals mußte Oberbürgermeister Mucke der Fachverwaltung erklären, daß die Junior-Uni eine schützenswerte Einrichtung ist (daher die „Neufassung“).

Kinder sollen sich gefälligst in Luft auflösen statt den Verkehr zu behindern

Leider fehlt in eingangs erwähntem Fall bereits die Angabe, wo überhaupt der Eingang des Kindergartens liegt. Vielmehr sollen sich – wie üblich in den von Amt 104 abgelehnten Fällen – die Kinder am Ausgang gefälligst in Luft auflösen. Oder bis zu IKEA hochlatschen, dort drei Mal bis zum Fußgängergrün um den Ampelmast tanzen und die Strecke auf der anderen Straßenseite wieder herunterlatschen.

Bild B
Foto: Dank vorschriftswidriger Markierungen und Tempo 50 ist an der Lüttringhauser Straße zusätzlich ein Lotsendienst durch Eltern der naheliegenden Grundschule Kratzkopfstraße erforderlich.

Oft fällt bei der „Abwägung“ zu Tempo 30 vor Schulen und Kindergärten der Teil (b) komplett unter den Tisch. Davon können jeden Morgen insbesondere die 70 bis 80 Kinder der Grundschule Kratzkopfstraße ein Lied singen, die die Lüttringhauser Straße „an den Friedhöfen“ queren müssen. [5] Nicht einmal die Entfernung der Markierungen der Fußgängerampel, die angeblich das „gefahrlose Queren“ der Lüttringhauser ermöglicht, entspricht den Vorschriften, weshalb gerne bei Rot durchgebrettert wird und die Ampel zusätzlich durch einen elternorganisierten Lotsendienst gesichert werden muß. Auch eine Querungshilfe an der 25 Meter breiten Einmündung der Nibelungenstraße wurde bereits abgelehnt.

Bild C
Foto: Alles was mit seinem Fahrzeuggewicht das Landrecht durchsetzen kann, darf bei Rot durchfahren. Die westlich der Fußgängerfurt gelegene Haltelinie ist quasi in die Furt reingemalt, damit einbiegende Fahrzeuge aus den Friedhöfen da drüber- und nicht drumherumfahren. Die Haltelinie von Osten befindet sich 10 Meter von der Furt entfernt, jenseits der Einmündung Kratzkopfstraße. Dies gilt als offizielle Einladung durchzubrettern an alle Fahrzeuge innert des Zehnmeterbereiches. Nach RiLSA beträgt der Abstand zwischen Haltelinie und Fußgängerfurt einen Meter.

Elterntaxis provoziert und produziert

Da hat offenbar jemand immer noch nicht die oberste Maxime der Straßenverkehrs-Ordnung zur Sicherheit und Flüssigkeit des Verkehrs verstanden und ordnet – ganz im Sinne von Zero Vision statt Vision Zero [6] – die Flüssigkeit des Landrecht-Verkehrs der Sicherheit der gefährdete Verkehrsteilnehmer wie unsere Jüngsten unter. Da muß im wahrsten Sinne ein zweiter Ben [7] auf dem Autoaltar geopfert werden, bevor das Amt 104 nicht mehr vorbeugende Maßnahmen für mehr Sicherheit mit 0 Unfalltoten wegstatistisken kann, oder sich gar die Unfallkommission mit den angeordneten Gefahrenlagen wie Am Diek oder Oberbarmen (B 7) beschäftigen muß.

Vielleicht sollte sich das Amt 104 überlegen, ob sie mit der Weigerung, Tempo 30 vor bestimmten Schulen und Kindergärten anzuordnen, nicht erst jede Menge Verkehr durch Elterntaxis provoziert und produziert. Weil es insbesondere für Kinder zu Fuß in diesem Kaff viel zu gefährlich ist.

Quellen und Anmerkungen

[1] Tempo 30 Wittener Straße – Anregung nach § 24 Gemeindeordnung, VO/0002/25
https://ris.wuppertal.de/vo0050.asp?__kvonr=32853

[2] Zitat Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung , Abschnitt Zu Zeichen 274 Zulässige Höchstgeschwindigkeit in Rnr. 13:

»Innerhalb geschlossener Ortschaften ist die Geschwindigkeit im unmittelbaren Bereich von an Straßen gelegenen Kindergärten, -tagesstätten, -krippen, -horten, allgemeinbildenden Schulen, Förderschulen für geistig oder körperlich behinderte Menschen, Alten- und Pflegeheimen oder Krankenhäusern in der Regel auf Tempo 30 km/h zu beschränken, soweit

[a] die Einrichtungen über einen direkten Zugang zur Straße verfügen oder

[b] im Nahbereich der Einrichtungen starker Ziel- und Quellverkehr mit all seinen kritischen Begleiterscheinungen (z. B. Bring- und Abholverkehr mit vielfachem Ein- und Aussteigen, erhöhter Parkraumsuchverkehr, häufige Fahrbahnquerungen durch Fußgänger, Pulkbildung von Radfahrern und Fußgängern) vorhanden ist.

Dies gilt insbesondere auch auf klassifizierten Straßen (Bundes-, Landes- und Kreisstraßen) sowie auf weiteren Vorfahrtstraßen (Zeichen 306 ). Im Ausnahmefall kann auf die Absenkung der Geschwindigkeit verzichtet werden, soweit etwaige negative Auswirkungen auf den ÖPNV (z. B. Taktfahrplan) oder eine drohende Verkehrsverlagerung auf die Wohnnebenstraßen zu befürchten ist. In die Gesamtabwägung sind dann die Größe der Einrichtung und Sicherheitsgewinne durch Sicherheitseinrichtungen und Querungshilfen (z. B. Fußgängerüberwege, Lichtzeichenanlagen, Sperrgitter) einzubeziehen. Die streckenbezogene Anordnung ist auf den unmittelbaren Bereich der Einrichtung und insgesamt auf höchstens 300 m Länge zu begrenzen. Die beiden Fahrtrichtungen müssen dabei nicht gleich behandelt werden. Die Anordnungen sind, soweit Öffnungszeiten (einschließlich Nach- und Nebennutzungen) festgelegt wurden, auf diese zu beschränken.«
.

[3] Schützenswerte Einrichtungen sind: Kindergärten, -tagesstätten, -krippen, -horte, allgemeinbildende Schulen, Förderschulen für geistig oder körperlich behinderte Menschen, Alten- und Pflegeheime und Krankenhäuser.

[4] Einrichtung von Tempo 30-Strecken vor schützenswerten Einrichtungen, VO/0034/20/1-Neuf.,
https://ris.wuppertal.de/vo0050.asp?__kvonr=23727

[5] Einrichtung einer Tempo 30-Strecke auf der Lüttringhauser Straße sowie Versetzung einer Lichtsignal-Anlage, VO/0718/22-Neuf.,
https://ris.wuppertal.de/vo0050.asp?__kvonr=27464

[6] https://www.njuuz.de/schlagwort/zero-vision/

[7] Heidelberg-Altstadt – Nach dem tödlichen Unfall in der Theaterstraße treffen sich Angehörige des Jungen (9), Mitschüler und Eltern vor der Friedrich-Ebert-Grundschule zur ‚Mahnwache‘.
https://www.heidelberg24.de/heidelberg/fotos-heidelberg-nach-unfall-tod-von-ben-9-halten-familie-eltern-mahnwache-vor-grundschule-6047342.html
Ben schaut uns als Engel zu, weil ihn ein @!!%%/&$&%/Raser in einem verkehrsberuhigten Bereich über den Haufen gefahren hat. Und weil die Stadt Heidelberg es seit Jahrzehnten nicht auf die Reihe kriegt, (1) diese Bereiche baulich entsprechend zu gestalten (keine getrennte Gehwege/Fahrbahn) und (2) die Einhaltung der Schrittgeschwindigkeit wirksam zu kontrollieren.

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