Landrecht bricht Bundesrecht: Wer sich eine Grube gräbt…

… läßt andere hineinfallen. Das sinnverdrehte Weistum „Wer anderen eine Grube gräbt“ paßt hier sehr gut auf die bequeme und „lästige“ Absicherung von Baustellen.

Eine Baustelle ist in der Theorie eine nach RSA [1] abgesicherte und durch Absicherungen „umfriedete“ (eingezäunte) Arbeitsstelle. Das hat den Hintergrund, daß außerhalb der Arbeitsstelle die Verkehrsvorschriften der Straßenverkehrs-Ordnung gelten und innerhalb die Sicherheitsvorschriften der Bauberufsgenossenschaft.

Eine offene Baugrube. So barrierefrei sind nur wenige Gehwege erreichbar.

Faulheit, Bequemlichkeit oder Unvermögen?

Die Neufassung der RSA ’21 berücksichtigt nicht nur zwischenzeitliche Aktualisierungen der Straßenverkehrs-Ordnung, sondern vor allem die gleichberechtigte Teilnahme aller Menschen am Verkehr. Allerdings werden die Vorschriften der RSA häufig aus Bequemlichkeit, Faulheit oder einfach Inkompetenz nicht oder völlig unzureichend umgesetzt. Dies betrifft regelmäßig die Absperrungen der Baustellenbereiche oder wenigstens der Gruben, vgl. Foto oben.

Insbesondere WSW- und städtische Baustellen stechen in einem besonders krassen Mißverhältnis zwischen den sicherheitstechnischen Vorschriften der RSA und deren Mißachtung heraus. Obwohl, oder sollen wir sagen: weil die Einhaltung gesetzlichen Bestimmungen vertraglich festgelegt ist [2][3], kann man als Behörde bei den Kontrollen ja mal ein wenig „nachsichtig“ sein. Sprich: Der Bauunternehmer erhält freie Hand „nach Landrecht“, die Behörden brauchen weniger (bis gar nicht) zu kontrollieren – weil wegen Personalnot, oder so. Und sollte mal etwas passieren, dann ist der kleine Bau- oder Vorarbeiter fällig.

Das System: „Für alles gibt es eine Vorschrift“ aber die Einhaltung kontrolliert dann keiner

Das System „für alles gibt es eine Vorschrift“ hat schon beim Schwebebahnneubau bis zum Absturz von Wagen 4 am 12. April 1999 [4] funktioniert: In den zwei Jahren Bauzeit dazwischen ist niemandem aufgefallen, daß drei vorgesehene unabhängige Kontrollinstanzen sich stattdessen bei einer Kontrolle gegenseitig unterstützt haben. Anders: Die Einhaltung des „Sicherheitskonzeptes“ und dessen Vorschriften hat nie jemanden gejuckt. Die WSW-Führung geht strafrechtlich unbelastet aus dem Gerichtssaal für ihr „Konzept, das das Papier nicht wert ist, auf dem es steht“ (Richter Keiluweit). Manche Hinterbliebene wurden noch über den Tisch gezogen. [5]

Konzept Bequem&Billig: Der öffentliche Verkehrsraum _ist_ die Baustelle

Dank fehlender Kontrollen können sich Auftragnehmer ungestört auf dem Gehweg breitmachen. Für Fußgänger ein Spießrutenlauf.

Baustelle ist da, wo der „Sandkasten für große Jungs“ ist. Die Fahrbahn als Buddelloch, der Gehweg als Lager für Bauzeugs. Vorgeschriebene Absperrungen und Rampen fehlen, notfalls wird der Fußgänger angeplärrt („siehste nicht, datt dat hier ‚ne Baustelle ist?“). Sicherheit wird dadurch gewährleistet, daß der Blinde oder Rollstuhlfahrer (Rampen) den Baustellenbereich meidet: praktizierte Exklusion, nicht Inklusion.

Fußgänger kommen bei der Baustellenplanung bestenfalls am Rande vor

80 cm: Die Reste einer Haltestelle. Das meiste wurde barrierefrei für den Kraftverkehr asphaltiert und markiert.

In der Baustellentheorie gibt es zwar gemäß RSA sog. Regelpläne. Die finden „in der Regel“ in der Praxis keine Berücksichtigung, weil – unzumutbar!, siehe oben. In der Praxis nach Landrecht braucht und bekommt zuerst die Baustelle Platz. Der Fahrzeugverkehr benötigt gedrungenderweise auch irgendwie fünf bis sechs Meter in der Breite. Dann ist für den Fußverkehr nur noch „am Rande“ Platz. Wenn nicht, stellen wir einfach ein Schild hin: „Fußgänger gegenüberliegenden Gehweg benutzen“. Wie die dort hinkommen – ist ja nicht unser Bier.

Beispiel: WSW-„Baustelle“ Uellendahler Straße (neues Baulos ab 7/24)

Bild „offen. barrierefrei“: ungesicherte Baugrube mit angrenzendem Gehweg. Sieht jeder, daß man hier nicht reinfallen kaaaaaaaah! (Frei nach Willem – Tarzan ist wieder da, mit der Fallgrube.)

Bild „der gemeinsame Geh- und Bauweg: Links wieder eine ungesicherte Baugrube, und der Gehweg als Abenteuerspielplatz und Baulager zum Spießrutenlaufen.

Bild „Reste einer Baustelle“: Hier sollen sich Fußgänger und wartende Fahrgäste auf 80 cm Breite begegnen können, während Busse LKW ohne Seitenabstand links der gelben Linie vorbeidüsen.

Zur Erinnerung: „Auf Gehwegen beträgt die Mindestbreite 1,30m, an kurzen Engstellen 1,0m, wobei die Befahrbarkeit mit Rollstühlen gewährleistet sein muß“ [1] In Wuppertal fahren Bauarbeiter und der Amtsschimmel mit dem Auto, sonst käme nicht so ein Schrott heraus.

Stadteinwärts ist der Gehweg so bescheuert eingezäunt, daß er wegen des in den Gehweg hineinragenden Grünbewuchses unbenutzbar ist.

Bild „ein Gehweg unter Grünem“: Über die Hälfte des Gehwegs auf der westlichen Straßenseite wurde für die Fahrspur stadteinwärts barrierefrei(!) aufasphaltiert, während ein lächerhafter Rest für Fußgänger eingezäunt wurde. Die nutzbare Restbreite für einen großen Erwachsenen beträgt stellenweise 0 cm, weil der Bereich größtenteils mit Grünzeug überwachsen ist. Merjke: Das Grünzeug war vor der Baustelle da.

Die Straßenseite wechseln geht wegen der Einzäunung auch nicht. Einzige Möglichkeit: Auf einem Skateboard sitzend unter dem Grünzeug bergab rollen. Hier wurde offenbar die wenig vorhandene Intelligenz mit eingezäunt, damit sie nicht abhanden kommt.

Ebenfalls eingezäunt wurden einige Bewohner, die dank des Zauns weder beliefert werden können, noch kann die Müllabfuhr die Tonnen leeren.

Bild „müllvermeidend“: Die festen Absperrungen gehen bis hinunter zum Jahnplatz, wo die Mülltonnen zum Leeren entweder über den Zaun fliegen (Bild links) – wie sollen die sonst geleert werden? Oder es ist eine neue Art der Müllvermeidung in der Hoffnung, die Anwohner werden schon keinen Müll produzieren, solange die WSW mit ihrer „Baustelle“ fertig sind. Das kann bekanntlich ewig dauern.

Weiter stadteinwärts wird der Restgehweg dann mitten durch die teils abgebaggerten Vorgärten geführt. Den Ausflug ins Grüne stellt man sich aber anders vor (Foto rechts).

Kunst am Bau: ist das Gehweg, oder kann der weg?

An anderer Stelle wird der Gehweg gleich ganz weggebaggert und die „Baustelle“ unzureichend abgesperrt.

Bild „geh-weg-los“: Im Bereich der Häuser 269 bis 281 fehlt jeder offizielle Hinweis auf eine Umleitung. Also latscht man an der je nach Sichtweise kunstvoll oder hingeklatschten „Absperrung“ vorbei (merke: nur eine Absperrung mit möglichst wenig Fußplatten ist eine gute Absperrung!) und plötzlich ist der Gehweg weg. Die parallellaufende Straße ist natürlich nicht barrierefrei hergerichtet.

Neumodisch-kranke Ausschilderung von Halteverboten mit foliertem Büropapier aus dem Heimdrucker.

Eine kranke Angewohnheit ist die „Beschilderung“ mit folierten Büropapier aus dem Heimdrucker. Es ist natürlich viel zu unbequem und daher unzumutbar, die vorgeschriebenen reflektierenden Verkehrs- und Zusatzzeichen zu verwenden. Das geilste ist noch, wenn zum Beispiel Umzugsunternehmen für solche „Verkehrszeichen“ den vollen Preis für diesen Murks berechnen.

Dunkel war’s, das Hirn brennt helle…

Sparsame Verwendung von Warnlampen, und davon funktioniert auch nur ein Teil. Na, wer sieht den Durchgang für Fußgänger?

Bild „nicht ganz helle“: Sparsame Verwendung von Warnlampen, und davon funktioniert auch nur ein Teil. Na, wer sieht den Durchgang für Fußgänger?

Ungesicherte Baustelle lädt zum Parken ein. Ungesicherte Baugrube lädt zum Hineinfallen ein. Und ungesicherter Bauzaun lädt zum Dagegenlaufen ein, weil dieser von manchen Menschen erst gesehen werden, wenn sie direkt davorstehen. Wenn man nicht bereits vorher in die Baugrube geknallt ist. Daher soll ein Bauzaun mit rot-weißen Absperrschranken ausgestattet werden.

Bild „ungesichert“: Ungesicherte Baustelle lädt zum Parken ein. Ungesicherte Baugrube lädt zum Hineinfallen ein. Und ungesicherter Bauzaun lädt zum Dagegenlaufen ein, weil dieser von manchen Menschen erst gesehen werden, wenn sie direkt davorstehen. Wenn man nicht bereits vorher in die Baugrube geknallt ist. Daher soll ein Bauzaun mit rot-weißen Absperrschranken ausgestattet werden.

Die Absperrungen auf der nördlichen Seite sind gleich komplett unbeleuchtet.

Bild „stromsparend“: Die Absperrungen auf der nördlichen Seite sind gleich komplett unbeleuchtet.

Quellen und Verweise

[1] Richtlinien zur verkehrsrechtlichen Sicherung von Arbeitsstellen an Straßen – RSA 2021,
http://rsa-online.com/RSA-2021/RSA-21_kompakt.htm

[2] Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen VOB, insbesondere Teil C: Allgemeine Technische Vertragsbedingungen für Bauleistungen (ATV). Hierunter fallen zum Beispiel:
– ATV DIN 18330: Mauerarbeiten
– ATV DIN 18340: Trockenbauarbeiten
– ATV DIN 18355: Tischlerarbeiten
https://de.wikipedia.org/wiki/Vergabe-_und_Vertragsordnung_f%C3%BCr_Bauleistungen

[3] Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen werden ergänzend zur VOB/C u. a. im Bauwesen verwendet. Im Straßenwesen gibt es zum Beispiel:
– ZTV-SA: Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für Sicherungsarbeiten an Arbeitsstellen an Straßen
– ZTV-BaustB: Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für Baustelleneinrichtungen
https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_technischen_Regelwerke_f%C3%BCr_das_Stra%C3%9Fenwesen_in_Deutschland#Zus%C3%A4tzliche_Technische_Vertragsbedingungen_ZTV

[4] Schwebebahnunfall in Wuppertal 1999, Wikipedia,
https://de.wikipedia.org/wiki/Schwebebahnunfall_in_Wuppertal_1999

[5] »Man kann doch nicht alles selbst machen«, DER SPIEGEL 38/2000, Stichwort „Abfindungserklärung“,
https://www.spiegel.de/politik/man-kann-doch-nicht-alles-selbst-machen-a-5b2e499a-0002-0001-0000-000017375716

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