Landrecht bricht Bundesrecht, Teil Ⅱ

Über eine Straßenverkehrsbehörde die meint, von der Anwendung der Straßenverkehrsordnung absehen und völlig sinnlose Radverkehrsanlagen anordnen zu können. Heute: die Hainstraße.

Foto der Hainstraße mit Bus auf Sch(m)utzstreifen und rechtswidrig angeordnetem Gehwegparken.

NRW-Verkehrsminister Krischer sagte jüngst bei der Urkundenübergabe des neuesten Wuppertaler Förderprojektes: „Um sicher und bequem zur Arbeit, in die Schule oder zum Einkaufen zu gehen, brauchen wir fußgängerfreundlich gestaltete Wege und Plätze.“ [1] Der „Fußverkehrs-Check“ wird von einem externen Planungsbüro begleitet, wo Bürger ihre Vorschläge für einen sicheren Fußgängerverkehr einbringen sollen.

Offenbar geht es der Straßenverkehrsbehörde unter der Leitung des Dezernenten Frank Meyer mehr um Publicity als um Verkehrssicherheit, bekommt er doch zuhauf kostenfreie Anregungen und Hinweise in Form von § 24 Gemeindeordnung und Leserbriefen. So muß denn auch ein externes Planungsbüro im Rahmen eines „Mobilitätskonzeptes“ [5] feststellen, daß Gehwegparken verkehrswidrig ist und zudem die Rettungswege blockiert. Einmal muß die Stadt nicht selbst feststellen, daß sie ressortübergreifend das Gehwegparken über Jahrzehnte – je nach Gesichtspunkt mit oder ohne Ermessen – verpennt hat [10]. Dann fragt man sich, wieso ausgerechnet eine Firma den Auftrag für das Konzept erhält, wo ein ehemaliger Mitarbeiter des Ressorts Verkehr arbeitet.

Über Fahrbahnbenutzung, Gefährdung und unzumutbare Behinderung und Belästigung

Bereits die Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) von 1956 [2] enthielt in § 8 die Regel, daß Fahrzeuge die Fahrbahn zu benutzen haben und dort rechts fahren müssen. Die aktuelle Version [3] enthält neben dieser Regel in § 2 die Ergänzung, daß Seitenstreifen nicht der Teil der Fahrbahn sind. Dies impliziert, daß Gehwege für Fahrzeuge grundsätzlich tabu sind, egal ob diese dort fahren, halten oder parken.

Die StVO 1956 stellt verständlich formuliert jedes Verhalten unter Strafe, „durch das der Verkehr gefährdet oder ein Anderer geschädigt oder mehr, als unvermeidbar, behindert oder belästigt wird“. Dies betrifft zum einen das Gehwegparken. Erst recht gilt dies für behördlich angeordnetes Gehwegparken (A) und Aufmalen neuer Radwege und „Schutzstreifen“ (B) nach Wuppertaler Landrecht, wenn Richtlinien und Gesetze scheinbar nach Belieben beiseitegeschoben werden.

Zusammensetzung eines nach dem Stand der Technik und Richtlinien vorgegebenen Gehwegs.

(A) Unter Beachtung der geltenden Richtlinien für die Planung und den Bau von Gehwegen [4] gelten die obenstehenden Regelmaße in einer Wohnstraße. Eine verständliche Übersicht findet sich in der Präsentation unter [6] ab Folie 15. Neben der Fußgängerbreite von je 80 cm kumulieren sich Abstandsflächen der Fußgänger untereinander, zur Hausfassade und zur Fahrbahn auf 2,50 Meter. Weitere Zuschläge sind auf den Folien 16 und 17 aufgeführt.

Die Anordnung von Gehwegparken (ab Folie 21) mit 2,0 Meter breitem Parkstreifen kommt demnach erst infrage, wenn die Gehwegbreite mindestens 4,50 Meter beträgt. Das Recht der sicheren(!) Teilnahme am Verkehr für jedermann garantieren nicht nur Artikel 2 und 3 des Grundgesetzes. Insbesondere für Menschen mit Behinderungen ist diesen die Teilnehme am Verkehr in der allgemein üblichen Weise ohne besondere Erschwernis zu ermöglichen (BGG [7]).

Wenn die Wuppertaler Straßenverkehrsbehörde meint, Parkplätze auf Gehwegen seien wichtiger als die Belange der Fußgänger, dann müssen wie am Friedhof Bredtchen in der Hainstraße (Foto oben) neben den Fußgängern auch die obengenannten Rechtsvorschriften weichen [8]. Blinde können sich eher am fortlaufenden Bordstein orientieren als an einer wildwachsenden Hecke und fallen hier über parkende Fahrzeuge.

Auch an der Uellendahler Straße 4-26 [9] müssen sich Fußgänger verständigen, wer zuerst gehen darf und in Höhe der Hausnummer 245-251 [11] hat man 2017/8 nach einer Baustelle gleich die Parkmarkierungen entfernt und es seitdem Autofahrern überlassen, wie viel Gehwegbreite Fußgänger nutzen dürfen.

Anordnung eines Schaufenster-Schutzstreifens auf der Hainstraße in Mindestmaßen bei gleichzeitig angeordnetem Zeichen 295 (durchgezogene Mittellinie).

(B) Das Aufmalen eines Schutzstreifens auf der bergwärts führenden Hainstraße in der angeordneten Form dient mehr den Zwecken einer Schaufensterpolitik als der Verkehrssicherheit.

Schutzstreifen sollen wie alle Radverkehrsanlagen nur angeordnet werden, wenn sie ausreichend dimensioniert insbesondere die Sicherheit und Flüssigkeit des Radverkehrs garantieren. Dazu sehen die Richtlinien [12] bei Straßen von der Breite der Hainstraße den Verzicht auf eine Mittellinie (Leitlinie, Zeichen 340 StVO) vor, damit der Kraftfahrer nur bei Gegenverkehr gezwungen ist, „bei Bedarf“ auf den Schutzstreifen auszuweichen [14].

Aufgrund der mickrigen Restfahrbahn [13], der angeordneten Leitlinie, etlichen Mittelinseln oder gar die durchgezogene Linie (Zeichen 295 StVO, vgl. Bild 3 oben) ist der Autofahrer auf der Hainstraße aber permanent angetrieben oder gar gezwungen, den dem Radverkehr angedachten Schutzstreifen zu überfahren. Insbesondere Linienfahrzeuge müssen den Schutzstreifen auf ganzer Breite und Länge überfahren, so daß die Frage gestellt werden darf, ob dieser „Mobbingstreifen“ mitten im Öffnungsbereich der Autotüren den Kraft- vor dem Radverkehr schützen soll. Schließlich ist allgemein bekannt, daß Radfahrer, die zur Vermeidung der Kollision mit einer Autotür nicht innerhalb „ihrer“ Markierung fahren, gerne von einigen Kraftfahrern durch extra dichtes Überholen „bestraft“ werden.

Nebenbei hat man auf der Hainstraße „vergessen“, den Schutzstreifen in regelmäßigen Abständen mit dem Radsymbol zu kennzeichnen [14].

Quellen und Verweise
[1] Geht los: Wuppertal macht den Fußverkehrs-Check,
https://www.wuppertal.de/presse/meldungen/meldungen-2024/april/fussgaenger-check.php

[2] Bundesgesetzblatt 1956, Teil 1, Seite 328ff.

[3] https://dejure.org/gesetze/StVO

[4] Für Gehwege finden sich Vorgaben in den Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen RASt 06) sowie den Empfehlungen für Fußgängerverkehrsanlagen (EFA).
Diese können in der Universitätsbibliothek (Haspel) oder über Fernleihe jeder öffentlichen Bibliothek ausgeliehen werden.
Nach der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur StVO (VwV-StVO) darf Gehwegparken nur angeordnet, wenn ausreichend Raum für den Fußverkehr bleibt.
https://de.wikipedia.org/wiki/Richtlinien_f%C3%BCr_die_Anlage_von_Stadtstra%C3%9Fen
https://de.wikipedia.org/wiki/Empfehlungen_f%C3%BCr_Fu%C3%9Fg%C3%A4ngerverkehrsanlagen

[5] VO/0350/24, Zwischenbericht gesamtstädtisches Mobilitätskonzept – Maßnahmenkonzept,
https://ris.wuppertal.de/vo0050.asp?__kvonr=31530

[6] RASt 06. Eine Präsentation des Verkehrsclub Deutschland e.V.
http://vcd-bayern.de/texte/20140628_RASt.pdf

[7] Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) des Bundes
§ 4 Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind.
https://www.buzer.de/gesetz/1961/a27515.htm

Behindertengleichstellungsgesetz Nordrhein-Westfalen – BGG NRW
§ 7 Barrierefreiheit in den Bereichen Anlagen und Verkehr
(1) Bauliche Anlagen, öffentliche Wege, Plätze, Straßen sowie öffentlich zugängliche Verkehrsanlagen und Beförderungsmittel sowie sonstige Anlagen im Sinne von § 4 Absatz 2 sind nach Maßgabe der geltenden Rechtsvorschriften barrierefrei zu gestalten.
https://recht.nrw.de/lmi/owa/br_bes_detail?sg=0&menu=0&bes_id=5216&anw_nr=2&aufgehoben=N&det_id=428909

[8] VO/0321/20, Einhaltung von Mindestmaßen bei Gehwegbreiten; hier Hainstraße
gegenüber 121-131
https://ris.wuppertal.de/getfile.asp?id=254818&type=do

[9] VO/0321/22, Uellendahler Straße – Rücknahme Gehwegparken
https://ris.wuppertal.de/vo0050.asp?__kvonr=27032

[10] VO/0026/13 Verkehrssituation Hardenbergstraße,
https://ris.wuppertal.de/vo0050.asp?__kvonr=14343

[11] VO/0208/18 Kontrollen der regelmäßigen Parkverstöße (Gehwegparken) an der Uellendahler Straße 245-251
https://ris.wuppertal.de/vo0050.asp?__kvonr=20183

[12] Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA 2010), mit Auflistung der einzuhaltenden Grundprinzipien;
https://de.wikipedia.org/wiki/Empfehlungen_f%C3%BCr_Radverkehrsanlagen

[13] Entgegen dem eigenen Radverkehrskonzept ist die Fahrgasse für den allgemeinen Verkehr der Hainstraße bergauf lediglich 2,25 m breit. Dies ist lt. ERA [12] das absolute Minimum und trägt wegen des Überholzwangs sicherlich nicht zur Sicherheit des Radverkehrs bei.

[14] Anlage 3 (zu § 42 Absatz 2 StVO), Richtzeichen, lfd. Nr. 22:
Zeichen 340 Ge- oder Verbot

1. Wer ein Fahrzeug führt, darf Leitlinien nicht überfahren, wenn dadurch der Verkehr gefährdet wird.

2. Wer ein Fahrzeug führt, darf auf der Fahrbahn durch Leitlinien markierte Schutzstreifen für den Radverkehr nur bei Bedarf überfahren, insbesondere um dem Gegenverkehr auszuweichen. Der Radverkehr darf dabei nicht gefährdet werden.

3. Auf durch Leitlinien markierten Schutzstreifen für den Radverkehr darf nicht gehalten werden. Satz 1 gilt nicht für Fahrräder und Elektrokleinstfahrzeuge im Sinne der eKFV.

Erläuterung

Der Schutzstreifen für den Radverkehr ist in regelmäßigen Abständen mit dem Sinnbild „Radverkehr“ auf der Fahrbahn gekennzeichnet.

Teil I der Serie: https://www.njuuz.de/home/politik/landrecht-bricht-bundesrecht-teil-1-stvo/

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Kommentare

  1. N. Bernhardt sagt:

    Maßgeblich für die Anordnung von Schutzstreifen ist der Nutzen für den Radverkehr. Und der ist auf der Hainstraße gleich Null. Wenn man stattdessen auf Leitlinie verzichtet, wäre auch die Bereitschaft größer, beim Überholen langsamer Radfahrer den gesetzlichen seitlichen Sicherhetsabstand einzuhalten.

    Die maximal zulässige Fahrzeugbreite von 2,55m bedingt durch die Außenspiegel ein Lichtraumprofil von 3,05 m. Damit kann man wohl kaum auf einem 2,25 m breiten Fahrgässchen fahren, ohne dabei gezwungenermaßen den Schutzstreifen mitzubenutzen.

    1. Susanne Zweig sagt:

      Sie wissen doch, dass der Schutzstreifen von breiten Fahrzeugen (Lkw, Linienbus) mitbenutzt werden darf. Die meisten Fahrzeuge sind aber Pkw und keine 2,55 m breit.

      Sie können mir schlecht erklären, dass ich auf 2,25 m nicht fahren kann, wenn ich genau das vor Kurzem gemacht habe.

  2. Susanne Zweig sagt:

    Ich verteidige die Verkehrsbehörde nur ungern, aber es gibt genau 2 Mittelinseln auf der gesamten Hainstraße, und dort ist der Schutzstreifen unterbrochen. Wo kein Schutzstreifen ist, kann man auch keinen überfahren. Auch sonst wird die Mindest-Restfahrbahnbreite von 2,25 m überall knapp aber vorschriftsmäßig eingehalten.
    Ich bin die Hainstraße noch kürzlich hochgefahren. An keiner Stelle war ich gezwungen, den Schutzstreifen mitzubenutzen. Die meisten Pkw-Kollegen machen das zwar einfach trotzdem, um ihren liebgewonnenen Gewohnheitsabstand zur Mittellinie nicht zu verlieren, müssen muss aber keiner.
    Auch einen „Überholzwang“ [13] gibt es auf der Hainstraße nicht. Den gibt es auf keiner Straße. Wenn der Platz zum Überholen nicht ausreicht, muss man das Überholen bleiben lassen. Punkt.
    Das Einzige, was die Schutzstreifen auf der Hainstraße (wie auch anderswo) überflüssig macht, ist die Tatsache, dass offensichtlich niemand ihre Einhaltung kontrolliert.

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