Ein freies Palästina am Hauptbahnhof

Ein Augenschein am Rande der Kundgebung „Gegen die Aggression in Gaza“

Sonnig und kalt ist es an diesem Samstagnachmittag in Wuppertal, langsam füllt sich der Platz vor dem Hauptbahnhof. Trotz des Bahnstreiks ist der Platz belebt, viele Menschen erledigen hier ihre Einkäufe. Die Discounter, der Drogeriemarkt und die Cafés sind gut besucht. Gleich beginnt hier eine Kundgebung unter dem Motto „Gegen die Aggression in Gaza“. 500 Teilnehmer sind laut Polizei angemeldet, im Internet wird zu einer „Großdemo“ aufgerufen.

Um 14 Uhr haben sich etwa 150 Teilnehmer versammelt, im Laufe der Kundgebung wächst die Menge auf schätzungsweise dreihundert an. Palästinensische Fahnen werden geschwenkt, nicht alle Teilnehmer tragen ein Palästinensertuch. Plakate wie „Stopp den Genozid“ oder „Ceasefire Now“ werden hochgehalten. Von der Ladefläche eines Kleintransporters eröffnet eine junge Frau die Kundgebung. Mit schneidender Stimme verliest sie die behördlichen Auflagen für die Demonstration, mal schnell, mal stockend. Aufgezählt werden die Losungen und Wörter, die nicht genannt oder ausgesprochen werden dürfen. In der Aufzählung finden sich unter anderem das Wort „Völkermord“ und der Slogan „From the river to the sea“. Diese Liste wird von einem Mann noch einmal ins Arabische übersetzt. Vereinzelte Buhrufe werden dabei laut, verstummen aber schnell. Die junge Frau beginnt ihre Rede, spricht davon, dass der israelische Ministerpräsident keine Zweistaatenlösung wolle. Aber wir wollen sie auch nicht, ruft sie laut mit ihrer immer noch schneidenden Stimme.

Ein mittelalter Mann am Rande der Kundgebung, nennen wir ihn Muhammed, zuckt mit den Schultern. Nicht klug, sagt er. Er wisse nicht, was an die Stelle der Zwei-Staaten-Lösung treten solle. Also sei das nicht klug, meint er und wiederholt: nicht klug.

Nicht klug findet das auch der Familienvater, nennen wir ihn Ali. Er ist mit seiner kleinen Tochter im Kinderwagen und seiner Frau im Auto angereist. Ali kommt aus Syrien, hat palästinensische Wurzeln und ist seit 2015 in Deutschland. Er hat hier eine Ausbildung gemacht und arbeitet in einer größeren Stadt im Rheinland. Er sei hier, weil die Palästinenser sonst kein Gehör fänden. Demonstrieren sei alles, was er für die palästinensische Sache tun könne. Er habe einen deutschen Pass; vielleicht wähle er in zwei Jahren die neue Partei von Sahra Wagenknecht. Schwierig sei es auch, einen Brief an seinen Abgeordneten zu schreiben. Schnell werde man verdächtigt und als Antisemit registriert. Dabei seien sowohl die Palästinenser als auch die Juden Semiten, schmunzelt Ali. Der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern lasse sich nicht so schnell lösen, erst einmal müsse es eine Zweistaatenlösung geben, dann könne man weitersehen.

Ein anderer junger Mann, nennen wir ihn Patrick, ist mit dem Zug aus Bonn gekommen. Schlaksig und mit freundlicher Stimme erklärt er seine Teilnahme an der Demonstration. Er komme aus Irland und die Iren hätten schon immer große Sympathien für die Palästinensern gehabt, erklärt er. Wie die Palästinenser seien auch die Iren kolonisiert worden und hätten sich von der englischen Kolonialmacht befreien müssen. Der Hass auf die Engländer sei zwar nicht mehr so stark wie früher, aber die Sympathie der Iren für die Palästinenser sei immer noch groß. Als mögliche Lösung des Konflikts schwebt ihm ein gemeinsames Parlament für Palästinenser und Israelis vor. Wie in Irland könnten dann beide Seiten gemeinsam über ihre Zukunft entscheiden. Er verstehe zwar die Deutschen mit ihrer schwierigen Geschichte, aber er die Sympathien der Iren lägen bei den Palästinensern.

Derweil gehen die Reden auf der Ladefläche des Kleintransporters weiter. Der Name Baerbock fällt, die Redner sprechen routiniert von Doppelmoral angesichts des Schicksals der Zivilbevölkerung in Gaza, fordern einen Waffenstillstand und verlangen mehr humanitäre Hilfe. Die Reden geben immer wieder Raum für Sprechchöre wie „Free Palestine“, „Revolution“ und „Palestine will be free“. Die Stimmung ist angespannt, eher trotzig als aggressiv. Die jungen Gesichter auf der Kundgebung zeigen Entschlossenheit für die palästinensische Sache, die der älteren Teilnehmer wirken eher besorgt. Eine einzelne israelische Flagge weht in der Ferne über der Versammlung am Busbahnhof. Sie wird kritisch beäugt, die Aufregung darüber hält sich in Grenzen und provoziert die Versammlung nicht.

Dann, nach einer Stunde, setzt sich die Versammlung in Bewegung. Eine Polizistin schätzt die Zahl der Versammelten auf weniger als 400; ein sonniger Tag in Wuppertal geht zu Ende. Es ist der Internationale Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust.

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