Historismus 1 – Der Klassizismus

Vornehme Schlichtheit, Rückgriff auf die griechisch-römische Antike - Der Klassizismus (1789 bis 1830)

Hauptbahnhof Man mag sich darüber streiten, ob der Klassizismus ein eigener Stil ist oder ob er den ersten Teil des Historismus darstellt. Der sehr geschätzte Kunsthistoriker und Denkmalschützer Professor Gottfried Kiesow tendierte dazu, dass der Klassizismus bereits zum Historismus gehört! Er kam einerseits von England und Nordeuropa und andererseits von Frankreich her zu uns nach Deutschland.

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In den protestantisch dominierten Staaten des Nordens, besonders in England, galt das Barock als Baustil des Katholizismus und der Gegenreformation, womit man möglichst wenig in Zusammenhang gebracht werden wollte. So gab es dort schon im 17. Jhd., also lange vor dem eigentlichen Klassizismus, eine Symbiose aus Renaissance und Klassizismus, den sogenannten Palladianismus! Benannt nach dem oberitalienischen Baumeister Andrea Palladio, der im 16. Jhd. als Architekt in Venedig wirkte, und schon zur Renaissance-Zeit die römische Antike neu interpretierte und in seine Bauwerke mit einbezog. Wir sehen hier wieder einmal, wie normal und häufig Rückgriffe in der Architekturgeschichte sind, auch wenn uns zeitgenössische Architekten gerne etwas anderes vormachen wollen. Aber das ist eine ganz andere Geschichte! Der Palladianismus ist heute besonders in England, den Vereinigten Staaten von Amerika, in Skandinavien und in einigen Teilen Norddeutschlands, in Anhalt sowie in den Niederlanden anzutreffen.

Der zweite Weg des Klassizismus zu uns nach Deutschland verlief, wie erwähnt, über Frankreich und steht im Zusammenhang mit der Französischen Revolution von 1789. Gleichwohl hatte es bereits unter König Ludwig XV. eine Art „Rokoko-Klassizismus“ gegeben, den „Louise-seize“. Das schwere französische Barock galt bei unseren westlichen Nachbarn und Anhängern der Revolution als Synonym für die Sonnenkönige. Dessen überreichen Zierrates war man überdrüssig, ebenso die mit ihm verbundene Dekadenz und den Absolutismus. Man fand in den Stadtstaaten der griechischen Antike das demokratische Idealbild für das Volk; deren antike Bauweise habe: „Edle Einfalt und stille Größe!“. Also wählte man diese als perfektes und stilvolles Gegenstück zum barocken Absolutismus aus. Und so musste nicht nur Louis XVI. seinen Kopf lassen, sondern es entwickelte sich auch ein neuer vermeintlich „republikanischer“ Baustil: der Klassizismus! Der Rückgriff auf die griechische Antike stellte also damals gleichzeitig einen Rückgriff auf die Demokratie dar. Allerdings ist das ein sehr idealisiert konstruierter Gedanke, denn die frz. Revolution verlief schließlich alles andere als demokratisch; viel mehr war sie blutrünstig, ideologisch verblendet und somit selber diktatorisch! „Die Revolution frisst ihre Kinder!“ Erst Kaiser Napoléon 1er vermochte es die Wogen der Revolution zu glätten, er ordnete die Verhältnisse, übernahm zwar Teile der neuen Haltung, aber münzte sie imperial um. Das heißt; die Revolution wurde in Form gefasst und auch der neue Baustil, der Klassizismus, nahm etwas dekorativere Züge an. Diese Phase des Klassizismus nennt man „Empire“. Geschichte wiederholt sich! Aus der römischen Republik, die sich einst ebenfalls auf die griechischen Stadtstaaten bezog, wurde irgendwann das Römische Imperium mit einem Kaiser (Cäsaren) an der Spitze.

In Deutschland gab es auch einzelne Vorkämpfer für diese neue Art der Baukunst. Zum einen war es der Architekt Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff, der ein Anhänger des Palladianismus war, zum anderen der Stendaler Humanist Johann Joachim Winckelmann. Von ihm stammt der Ausspruch: „Der einzige Weg für uns, groß, ja, wenn es möglich ist, unnachahmlich zu werden, ist die Nachahmung der Alten.“ (Heute wird „das Alte“ immer mit Stillstand oder gar Rückschritt gleichgesetzt, damals galt es als Fortschritt!) Durch die von England herüberschwappende Industrialisierung, aber zuvor auch schon durch die Begeisterung an der „Englischen Gartenbaukunst“ – siehe Schloss und Park von Wörlitz bei Dessau – und „dank“ des Expansionwillens der Franzosen, hielt der Klassizismus im großen Stile Einzug nach Deutschland. Eine besondere Ausprägung gab es in Kassel durch den dort regierenden Bruder Napoléons 1er – dem sog. König von Westfalen – Jérome. Nach den Befreiungskriegen entwickelte sich der Klassizismus zum allgemein gültigen Baustil der damaligen Zeit. Die preußische Hauptstadt Berlin erhielt ihren Spitznamen „Spree-Athen“ und sogar die „Ruhmeshalle der Teutschen“, die Walhalla bei Donaustauf (Regensburg), hat man nicht etwa in germanischer Bauweise, sondern in griechisch-antiken Formen ausgeführt. Auch München wurde im großen Maß durch den Klassizismus verändert. Bekannteste Baumeister dieser Baukunst in Deutschland waren Karl Friedrich Schinkel und Leo von Klenze.

In Wuppertal ist der Hauptbahnhof ein Musterbeispiel für ein öffentliches Gebäude des Klassizismus. Das Empfangsgebäude mit dem mächtigen Portikus, getragen von korinthischen Säulen wurde zwar erst von 1846 bis 1848 durch die Architekten Ebeling und Hauptner errichtet, ist aber dennoch ganz klar ein Exempel des Klassizismus. Es stellt eines der ältesten Bahnhofgebäude dieser Größenordnung in Deutschland dar. In Verbindung mit der gründerzeitlichen Eisenbahndirektion der „Bergisch-Märkischen-Eisenbahn-Gesellschaft“ (später Kgl. Eisenbahndirektion, Reichsbahndirektion und Bundesbahndirektion) sowie der Villa des Eisenbahnpräsidenten (die leider nicht mehr existiert), sprach man bei diesem Dreier-Ensemble von der „Elberfelder Akropolis“. Wir bemerken in der Namensgebung die deutliche Herkunft des Klassizismus aus der griechischen Antike! Die „Elberfelder Akropolis“ bildete mit dem Stadttheater, der Badeanstalt, dem Hotel Kaiserhof, dem Schwebebahnhof Döppersberg, dem Schmuckplatz bestehend aus Park und Reiterstandbild und zwei prächtigen Bauten des gründerzeitlichen Historismus, welche die Alte Freiheit flankierten, ein äußerst prächtiges und urbanes Eingangstor zur Elberfelder Stadtmitte. Es hatte die Ausmaße einer kleinen Residenzstadt und konnte locker mit Schmuckplätzen anderer Großstädte mithalten! Der 2. Weltkrieg sowie der Wuppertaler Stadtbaudezernent Professor Friedrich Hetzelt haben dieses prächtige Ensemble leider nahezu vollständig vernichtet. Geblieben ist der Hauptbahnhof, allerdings mit einem Vorbau aus den 1960er-Jahren, die Eisenbahndirektion und das rechte gründerzeitliche Haus (ehem. Bankhaus Wichelhaus), welches jedoch gänzlich seines Stuckes und seiner Attribute beraubt wurde. Es wird derzeit renoviert, leider aber der purifizierte Zustand beibehalten und somit manifestiert. Im Rahmen des „Neuer-Döppersberg-Projektes“ wird ein ganz kleiner Teil der alten Herrlichkeit wiederhergestellt werden. Inzwischen ist der architektonische Sündenfall des o. e. Bahnhofsvorbaus gottlob wieder Geschichte und auch die Bundesallee wird tiefer gelegt werden, so dass in Zukunft die freie Sicht auf die „Elberfelder Akropolis“ wieder begreifbar wird. Selbstverständlich ist das Bahnhofsgebäude nicht der einzige Bau des Klassizismus in Wuppertal, aber der bedeutendste!

Am kommenden Freitag folgt der dritte Teil der Serie, dort möchten wir die bedeutendste klassizistische Kirche Wuppertals vorstellen. Wer weiteres Interesse an zahlreichen Fotos und Texten aus Wuppertal hat, findet uns übrigens auch auf Facebook unter: Stadtbild Deutschland e. V. Wuppertal.

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