Wenn Autos um die Ecke sehen

An der Wuppertaler Universität wird an einer Technik geforscht, die es Autofahrern ermöglichen soll, Gefahrensituationen frühzeitig zu erkennen. Auf der Internationalen Automobilausstellung in Frankfurt werden jetzt die Ergebnisse präsentiert. Teil 2 der Serie "Automotive in Wuppertal" anlässlich der IAA

Kamen in Deutschland vor zwanzig Jahren jährlich noch mehr als 10.000 Menschen im Straßenverkehr ums Leben, waren es 2010 rund 3.700. Mit ein Grund dafür sind neben konstruktiven Verbesserungen der Fahrzeuge und der Senkung der Promillegrenze vor allem elektronische Helfer wie ESP, ABS und Airbag, die heute meist zur Serienausstattung von Neufahrzeugen gehören.

Doch natürlich ist jeder Verkehrstote einer zuviel, und so wird weiter an sicheren Autos geforscht. Fahrerassistenzsysteme melden es, wenn das Fahrzeug von der Fahrbahn abzukommen droht, sie können Verkehrszeichen „lesen“ und den Fahrer vor Personen oder Wild am Wegesrand warnen.

Abstandssysteme arbeiten meist mit Radar. Das Problem dabei: die benötigte Technik ist zu teuer, als dass sie serienmäßig in Klein- und Mittelklassewagen eingebaut werden könnte. Kamerabasierte Lösungen wären wesentlich kostengünstiger, sind aber noch Gegenstand intensiver Forschung.

Am Fachbereich „Elektrotechnik, Informationstechnik, Medientechnik“ der Bergischen Universität Wuppertal wird an der nächsten Generation kameragestützter Fahrerassistenzsysteme gearbeitet.

Eines von zwei Versuchsfahrzeugen zur Erprobung der neuen Technologie.

Prof. Dr. Ing. Anton Kummert, 1959 im bayerischen Amberg geboren und seit 1995 an der Bergischen Uni tätig, ist einer der beiden Leiter des Projektes „Active Safety Car“:  “Bei unserem Projekt geht es vor allem um Fußgängersicherheit. Mit Video kann man die Entfernung zu einem Objekt nicht messen. Um die dritte Dimension für den Computer zu erschließen, wird Tomographie eingesetzt.“

Computertomografie (CT) ist als bildgebendes Verfahren in der Radiologie entwickelt worden. Die Anwendung im Automobil ist Neuland und macht für Prof. Kummert den Reiz des „Active Safety Car“-Projekts aus: „Tomographie ist der besondere Kick, und der ist in Wuppertal entstanden. Wir überwinden damit die Beschränkungen der zweidimensionalen Kameraoptik.“

Prof. Dr. Anton Kummert (2.v.l.) mit Mitarbeitern des Projekts ‚Active Safety Car‘: „Tomographie ist der besondere Kick“

In der Medizin werden Körperregionen von mehreren Sensoren aufgenommen und es entstehen Aufnahmen aus verschiedenen Winkeln. Der Computer ermittelt aus den einzelnen Bildern eine dreidimensionale Darstellung. Im Fahrzeug entstehen die verschiedenen Blickwinkel durch die Bewegung des Autos. Eine Software errechnet aus den Bildern, die aus verschiedenen Perspektiven geschossen wurden, eine 3D-Ansicht als Voraussetzung für eine realistische Darstellung im Display bzw. zur genaueren Größen- und Distanzbestimmung. Für Prof. Kummert ist das jedoch nur der erste Schritt.

Was ihm vorschwebt, könnte man etwas flapsig mit „ich sehe was, was du nicht siehst“ umschreiben. Kummert spricht lieber von Car-to-Car-Kommunikation: „Ein Fahrzeug erkennt mit seiner Kamera ein Hindernis, zum Beispiel eine Person auf der Fahrbahn, und sendet diese Information an die Fahrzeuge in der Umgebung, die sich dem Hindernis nähern. Deren Fahrer sehen das Hindernis auf ihrem Display also auch dann, wenn es sich außerhalb ihres Sichtfelds befindet.“

Tomographie: Aus mehreren Aufnahmen aus verschiedenen Blickwinkeln errechnet die Software ein dreidimensionales Bild.

Damit Autos und Fahrer auf diese Weise „um die Ecke sehen“ können, ist noch einiges an Forschungsarbeit zu leisten. Vieles wurde im Rahmen des von der EU geförderten Projekts „Active Safety Car“ bereits erreicht. Ein Konsortium aus Bergischer Universität und mehreren lokalen Unternehmen wie Delphi, Riedel Communication und Ceteq waren in das Projekt involviert. Der Volkswagenkonzern ist als passiver Partner mit dabei, und bringt die Sicht eines Herstellers ein.

Die Wuppertaler Wirtschaftsförderung hat die Aktivitäten koordinierend unterstützt und auch den Messeauftritt auf der IAA in Frankfurt geplant. Dort wird das Konzept des „Active Safety Car“ am NRW-Gemeinschaftsstand der internationalen Fachwelt präsentiert. Ziel der Wuppertaler ist es, Automobilhersteller für ihr Know How zu begeistern und der serienmäßigen Anwendung einen Schritt näher zu kommen.

So kann High Tech aus Wuppertal vielleicht schon bald ihren Beitrag dazu leisten, dass weltweit weniger Menschen im Straßenverkehr zu Schaden kommen.

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Fotos: Bergische Universität Wuppertal, FB Elektrotechnik, Informationstechnik, Medientechnik
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Teil 1: „Der Automotive-Sektor ist die Leitindustrie für Wuppertal“
Teil 2: „Wenn Autos um die Ecke sehen“
Teil 3: „Autozulieferer Delphi: Zukunft serienmäßig“

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