Das ist doch unser Geld!

Unter diesem Leitsatz veranstaltete die Heinrich Böll Stiftung in der "Alten Feuerwache" an der Gathe vergangene Woche eine gut besuchte Diskussionsveranstaltung zum Thema Bürgerhaushalte und deren Spielräume in überschuldeten Kommunen.

Hoher Handlungsdruck
Die Lage der Kommunen sei inzwischen so prekär, dass ein hoher Handlungsdruck bestehe, so begann Jutta Velte Vorstand der Heinrich Böll Stiftung vergangen Donnerstag ihre Eingangsrede in der „Alten Feuerwache“ an der Gathe. Wuppertal liege mit 1.334 Mio Euro Liquiditätskrediten an vierter Stelle der höchtsverschuldeten Kommunen in NRW und sei daher als „guter“ Veranstaltungsort ausgewählt worden. Mit ihr auf dem Podium: Regierungspräsidentin Anne Lütkes, Initiator des „Kompetenznetzwerks Bürgerhaushalt“ Dieter Hofmann, Reiner Daams Sprecher der Grünen in Solingen und Florian Böttcher von der TU Kaiserslautern, Autor eines Gutachtens zum Thema „Rückgewinnung kommunaler Finanzautonomie in NRW“.

Insolvenzrecht für Kommunen?
Böttcher begann sein Impulsreferat mit einer Reihe von unangenehmen Zahlen. 20% der bundesdeutschen kommunalen Liquiditätskredite werden in NRW vergeben. Mit 6.000 Euro Schulden pro Einwohner führt Oberhausen die Riege der verschuldeten Kommunen an, gefolgt von Hagen mit 4.692 Euro und Remscheid mit 4.249 Euro. Jeder Wuppertaler steht immerhin noch mit 3.789 Euro bei den Banken in der Kreide. Damit liegt die bergische Großstadt an vierter Stelle. Nachbarkommune Solingen belegt mit 2.468 Euro die achte Stelle. Die Gründe für die hohe Überschuldung listet Böttcher in 4 Punkten:
– zu hohe Altschulden
– unzureichende Finanzausstattung
– unzureichende Kommunalaufsicht
– schlechte Haushaltsführung.
Als Schuldentreiber definiert Böttcher die ständig ansteigenden Sozialausgaben, die in manchen Jahren bei den hoch verschuldeten Kommunen über 50% der Haushaltsausgaben liegen. Durch die exponentiell ansteigende Schuldenlast – Stichwort Zineszins – tendierten die Chancen der Kommunen aus eigener Kraft einen ausgeglichenen Haushalt zu erlangen gegen Null. Bund wie Land seien in der Pflicht die Konsolidierungsanstrengungen der Kommunen finanziell zu unterstützen. „Manchmal gehen wir sogar so weit, dass wir darüber nachdenken, dass Insolvenzrecht für Kommunen einzuführen“, sagt er und betont damit noch einmal wie dramatisch die Lage einiger Kommunen eigentlich ist.

Kommunale Selbstverwaltung ist möglich
Regierungspräsidentin Anne Lütkes, Nachfolgerin von Jürgen Büssow gibt sich eher tatkräftig. „Kreativität sei gefragt“. Die Nachfolgering von Jürgen Büssow, der in der Vergangenheit besonders mit seinem eher zweifelhaften Lob für Wuppertals „mutige“ Entscheidung die Schließung seines Schauspielhauses in das Haushaltssicherungskonzept zu schreiben, aufgefallen war, sieht sich als kommunale Finanzaufsicht auf Augenhöhe. Lütkes versteht sich als Beraterin, die bei der Erstellung der Haushaltspläne unterstützt. Sie möchte Gestaltungsspielräume ausloten und den Stadtkämmerern für den Ausgleich Ihres Haushaltes mehr Zeit lassen: statt in 4 Jahren, wie die Gemeindefinanzordnung bisher vorsieht, möchte sie eine 10 Jahresfrist für den städtischen Haushaltsausgleich einräumen. Und: „Es kann nicht sein, dass eine Kommune nicht mehr ausbilden darf – das wäre keine nachhaltige Haushaltsführung!“ Sie fordert langfristige Planung und keine nur auf kurze Sicht erfolgreiche Sparmaßnahmen. Schließlich sei in allen Entscheidungen die im Stadtrat getroffen werden Transparenz vonnöten. Der Bürger müsse verstehen, warum in seiner Stadt welche Entscheidungen getroffen werden. Als vorbildhaft nennt sie den Bürgerhaushalt in Köln (2007) und lobt Solingen. Beide Städte haben Internetportale eingerichtet, in denen Fragen zu den geplanten Sparmaßnahmen offen diskutiert werden konnten. Die daraus resultierenden Vorschläge und deren Einarbeitung in die Beschlussfassung des Rates wurden dokumentiert und den Bürgern vorgelegt. „Transparenz im Umgang sei essentiell. Sie habe zwar kein Patentrezept für die Lösung der Probleme, es sei eine Menge Kreativität vonnöten, um aus der Krise herauszukommen, aber kommunale Selbstverwaltung sei nach wie vor möglich“, stellt sie abschließend fest.

Mehr Demokratie, mehr Enthierarchisierung
„Der Bürgerhaushalt muss weiter entwickelt werden“ fordert Dieter Hofmann – Initiator des „Kompetenznetzwerks Bürgerhaushalt“ und bleibt dem Auditorium das „Wie“ schuldig. Er verlangt von der Politik ideele Orientierung und die Erarbeitung von praktischen Lösungen für die Probleme der Bürgergesellschaft. „Die Schulden müssen abgeschrieben werden. Sonst zerfällt das demokratische Gemeinwesen.“ Außerdem sei insgesamt mehr Einbeziehung der Bürger, eine allgemeine Enthierarchisierung, mehr Demokratisierung notwendig. Die Entscheidungswege müssen sich ändern, damit die Kommunen einer sicheren Zukunft entgegen gehen können, so seine Meinung.

Es gab noch nie so viel Wissen um Kommunalpolitik in der Bevölkerung
Reiner Daams Specher der Grünen aus Solingen behauptet, Solingen habe keinen Bürgerhaushalt, aber es hätte noch nie so viel Transparenz und Wissen um Kommunalpolitik wie heute in Solingen gegeben. Er berichtet dass 80 Punkte des Haushaltssicherungskonzeptes von den Solingern im Rahmen des von der Stadt eingerichteten Internetportals offen diskutiert worden seien. Insgesamt haben sich 3.600 Bürger angemeldet und eine Vielzahl mitgelesen. Es sei inzwischen davon auszugehen, dass etwa 25% der Bürger Solingens sehr genau wüssten was „die da“ im Rathaus so entscheiden, meint er und wertet das Verfahren als einen großen Erfolg der Solinger Politik. Insgesamt wurden daraufhin Kürzungen von 45 Mio. Euro beschlossen. Ein Rechenschaftsbericht wurde gegenüber der Bevölkerung abgelegt. „Ein Bürgerhaushalt ist zwar eine teure Sache, gekostet habe das Ganze 20.000 Euro“ konstatiert er, „aber noch unter Büssow sei das Verfahren als sinnvolle Maßnahme genehmigt worden.“

Es ist genug Geld da, es muss nur richtig verteilt werden
Aus dem Publikum kamen schließlich die Forderung nach mehr Mitwirkung der Kommunen an politischen Entscheidungen in Land und Bund. Eine Idee, die sofort auf den größten Widerstand Lütkes stieß war, die Kommunalaufsicht als Schuzschild gegenüber dem Bund auszugestalten. „Im Rahmen ihres Amtes sei sie gehalten, die durch die Politik gesetzten Bedingungen zu erfüllen.“ „Dennoch sehe sie sich als unabhängig und überparteilich, nur dem Gesetz verpflichtet,“ lehnt sie einen weiteren Angriff ab, der ihr unterstellen will, sie befände sich in einer Falle und sei handlungsunfähig und abhängig. Forderungen an die Podiumsteilnehmer von Bürgern schon formulierte Leitlinien für einzelne Kommunen wahr- und dann vor allen Dingen ernst zu nehmen und dafür zu sorgen, dass insgesamt mehr Diskurs zugelassen wird, blieben unkommentiert. Boettchers launische Bemerkung: „Es ist genug Geld da. Es muss nur richtig verteilt werden“ geriet unversehens zum heftig beklatschten Schlusssatz einer Veranstaltung, die viele Punkte nebeneinander stellte, aber keinerlei Austausch zuliess. Das große Interesse am Thema und die vielen Stellungnahmen aus dem Publikum am Schluss machen einmal mehr deutlich, dass der von Köln und Solingen beschrittene Weg für mehr Bürgerbeteiligung ein richtiger Anfang sind, die aktuellen Probleme gemeinsam anzugehen. Das Interesse konstruktiv mitzureden, ist jedenfalls da.

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Kommentare

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