10.12.2025Matthias Dohmen
Ein lesenswertes Buch über 1000 Jahre Gennebreck
Zu Beginn zitiert sie Kurt Tucholsky. Dem großen Satiriker zufolge kommt im Lauf der Jahre nicht nur Vieles hinzu, sondern es geht auch Vieles verloren, „im guten und im bösen“. Geschichtsschreibung hält beides fest. Es hat schon vor Hockamp substantielle Untersuchungen zu dem westfälischen Gennebreck gegeben, das im Unterschied zu Nächstebreck Anfang der 1920er-Jahre nicht dem bergischen Barmen zugeordnet wurde und selbständig bleiben durfte. Die Autorin referiert gewissenhaft deren Ergebnisse und nimmt auch Beiträge von zwei Kollegen in ihr Buch auf (Adolf Grafs Beitrag über Milchwirtschaft im 20. Jahrhundert und Peter Kuhweides Kindheitserinnerungen rund um den Bahnhof Schee). Sie stützt sich als Erste auf Gennebreck-relevante Bestände des Stadtarchivs Sprockhövel. Dabei kommt dann auch das Wirken von Frauen nicht zu kurz. Wer weiß schon noch, dass die renommierte Schauspielerin Ursula von Reibnitz, die mit Rollen in Stücken von Bertolt Brecht, Schiller und Shakespeare bekannt wurde, fast zweieinhalb Jahrzehnte in Schee, Elberfelder Str. 46, gewohnt hat?

Hockamp spart auch die nationalsozialistische Zeit nicht aus und würdigt in diesem Zusammenhang das Wirken des gebürtigen Gennebreckers Otto Zänker. Aufrüstung schlägt Chancengleichheit: Lehrer wurden Soldaten, Schülerinnen und Schüler mussten Deckungsgräben ausheben und, statt zu lernen, Durchhaltebriefe an die Front schreiben. Nachher wollte es dann niemand gewesen sein.
Eine Fundgrube nicht nur für Gennebrecker: Hockamp hat etwa das Adressbuch des Ennepe-Ruhr-Kreises von 1955 „ausgeschlachtet“ und kam dabei auf fast einhundert Gewerbetreibende – von Bankwirkern über Klempner, Bäcker und Metzger bis hin zu 18 Kneipen und einer Kleinzeche. Für Wuppertaler interessant sind nicht zuletzt – Stichwort Einern – die vermutlich erste chemische Fabrik in der ganzen Region und die Geschichten um die bis in die aktuelle Zeit bedeutsame Familie Mittelsten Scheid, auch „Mittelsten Schee“ oder „Mittelstenscheid“ geschrieben.

Foto: Markus Matzel
Vor mehr als 20 Jahren hat Karin Hockamp, damals Leiterin des Stadtarchivs Sprockhövel, im Vereinshaus der Bürgergemeinschaft Herzkamp einen Vortrag über die Geschichte der ehemaligen Landgemeinde Gennebreck gehalten. Sie ist am Thema drangeblieben und hat Jahr um Jahr Ereignisse und Personen, Glück und Unglück, Kirchen- und Sozialgeschichtliches, die medizinische Versorgung und die Entwicklung der Sozialstruktur zusammengetragen. Und inklusive ausführlicher Chronik, Quellenverzeichnis und Literaturübersicht auf 211 Seiten anschaulich präsentiert.
MATTHIAS DOHMEN
Karin Hockamp, 1000 Jahre Gennebreck. Aus der Geschichte einer westfälischen Landgmeinde an der Grenze zum Bergischen Land. Mit Beträgen von Adolf Graf und Peter Kuhweide, Sprockhövel: Kunst- und Kulturinitiative Sprockhövel 2025, 211 S., ISBN 978-3-00-085139-1, 15,00 Euro.
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