Interview mit Dietmar Bell: Teil 3

Nathalie Eckstein (15), Schülerin des Gymnasiums Bayreuther Straße fragt weiter. Gibt es ein Entkommen aus der Schuldenkrise? Wer bezahlt die Renten? Wieso bekommt Greenpeace keine Antworten? Muß Wahlwerbung so platt sein?

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NE: Wuppertal ist hoch verschuldet, das lässt sich nicht leugnen und es ist auch kein Entkommen aus dem Teufelskreis zu erkennen…

DB: „Das stimmt nicht! Definitiv Widerspruch! Der Weg aus dem Teufelskreis führt über einen kommunalen Entschuldungsfond. Die Einnahmen der Städte müssen verbreitert werden, dafür gibt es verschiedene Diskussionsansätze, und wir müssen die Aufbau-Ost-Förderung in eine Förderung für verschuldete Städte umwidmen. Vor der Weltwirtschaftskrise hatten wir in Wuppertal ein strukturelles Defizit von 125 Millionen Euro. 70 Millionen Euro davon waren Schuldzinsen. Für die zusätzlichen Leistungen der Unterkunft im Rahmen der Hartz IV – Gesetzgebung  bezahlen wir 9 Millionen und für den Aufbau-Ost 25 Millionen. Wenn Sie das zusammenrechnen, kommen Sie auf 104 Millionen, die durch politische Entscheidungen rasch geändert werden könnten. Bliebe also noch eine Restsumme von 21 Millionen, die eingespart werden müsste. Unser derzeitiges Konzept sieht schon Einsparungen von 42 Millionen Euro vor. Das heißt, es gibt die Wege aus den Schulden heraus.
Die SPD hat mit Bündnis 90/Die Grünen und der Unterstützung der NRW- Bank ein durchgerechnetes Konzept für die Entschuldung im Landtag eingebracht. Das würde das Land ohne Tilgung 450 Millionen Euro im Jahr kosten. Alleine das von der Regierung aufgelegte Wachstums- und Beschleunigungsgesetz, das Ende des Jahres verabschiedet worden ist, kostet das Land Nordrhein-Westfahlen 800 Millionen jährlich. Geld ist also da, es kommt nur darauf an wo die politischen Prioritäten liegen. Die Frage also lautet: Entlaste ich Hoteliers und reiche Erben oder will ich dass die Städte wieder Luft zum Atmen haben. Fatalismus hilft hier nicht weiter, denn wie Sie sehen: da geht noch was.“

NE: Die Gesellschaft altert zunehmend. Wie sollen denn die immer weniger werdenden jungen Menschen die wachsende Anzahl von Rentnerinnen und Rentnern mit immer mehr Geld versorgen?

DB: „ Die Rentenproblematik ist ein schwieriges Thema. Ist unser System leistungsstark genug, um den demographischen Wandel auszugleichen? Die Bundesregierungen der letzten Jahre haben Korrekturen im Rentensystem vorgenommen, die einen demographischen Faktor haben. Das führt dazu, dass das Rentenniveau meiner Generation deutlich unter dem der jetzigen Rentnergeneration liegen wird.

Das größte Problem für unser Rentensystem liegt darin, dass zur Zeit die Gefahr besteht, in einen Billiglohn-Staat zu rutschen. Wir haben eine Ausweitung von prekärer Arbeit, immer mehr Befristungen, schlechte Arbeitsbedingungen und eine Ausweitung von Praktika, was für Sie, als junger Mensch eine schwierige Situation ist. Wir haben eine extreme Ausweitung von Zeitarbeit und einen Niedriglohnsektor, der dazu führt, dass heute jeder 5. Antrag auf Leistungen nach Hartz IV von Menschen gestellt wird, die Vollzeit beschäftigt sind. Ein Rentensystem, dass auf einem Umlagesystem aufbaut, kann so nicht mehr funktionieren. Das heißt, wir müssen dringend in der Frage der Lohngerechtigkeit und der Frage Abbau von prekärer Arbeit vorankommen. Wir brauchen gesetzliche Mindestlöhne, und wenn man nicht will dass die Sozialabgaben weiter steigen – weiter eine Umschichtung der Steuergelder in das Rentensystem. Bereits heute werden mehr als 100 Milliarden Euro in das Rentensystem gesteckt.

Wir haben eine Bundesregierung, die Steuern massiv senken will, und gleichzeitig eine Schuldenbremse ins Grundgesetz genommen hat. Das wird dazu führen, dass die Ausgaben der Bundesregierung in den nächsten Jahren dramatisch eingeschränkt werden müssen. Das wird in keinem Fall ohne Leistungskürzungen von statten gehen können. Wir brauchen eine ehrliche Debatte darüber. Wir brauchen Steuern, die nach Leistungsfähigkeit eingestuft sind. Aber ich warte jetzt erst mal gelassen ab, wie der Demographiefaktor im Rentensystem wirkt. Ich persönlich bin guten Mutes, dass die Rentenversicherung in der Frage derzeit ziemlich gut aufgestellt ist.“

NE: Die SPD argumentiert klar für einen Ausstieg aus der Atomenergie und kommt damit den Grundsätzen der Grünen erstaunlich nahe. Wollen Sie mit den Grünen zusammenarbeiten?

DB: „Wir streben in Nordrhein-Westfahlen eine rot-grüne Regierung an, dafür kämpfen wir, dafür trete ich auch ganz offensiv ein, und der Ausstieg aus der Atomenergie ist ja auch schon lange Teil unsere Programms.

NE: Allerdings wurde Ihnen von Greenpeace eine Liste von Fragen gestellt und davon haben Sie keine beantwortet. Wie kommt das?

DB: „Ich bekomme zurzeit täglich vier bis fünf Fragebögen, und ich bin einfach nicht in der Lage, die alle abzuarbeiten. Das ist einfach die Realität. Sie werden zurzeit überschüttet mit Anfragen von Verbänden und wenn Sie keine Mitarbeiter haben, die diese für Sie entsprechend abarbeiten und Sie gleichzeitig noch Wahlkampf machen wollen, und nicht nur am PC sitzen wollen, dann müssen Sie sich irgendwann entscheiden, was wichtiger ist.“

NE: Hannelore Kraft wirbt mit den Werten „mutig, herzlich, gerecht“. Das erscheint mir als hohle Phrase, unter der ich mich nichts Konkretes vorstellen kann. Da der Wahlkampf auch durch Spendengelder finanziert wird, fände ich konkrete Informationen zu den Zielen und dem bisher Geleisteten der Kandidaten sinnvoll. Was halten Sie von der Idee?

DB: „Ich hab da nichts gegen einzuwenden. (lacht)“

NE: Wie stellen Sie sich denn einen besseren Wahlkampf vor?

DB: „Wahlkampf hat ja verschiedene Dinge zum Inhalt. Vor allen Dingen müssen Sie Menschen emotional erreichen. Das bekommen Sie auf Plakaten nicht mit komplexen Botschaften hin. Ich habe eine erfolgreiche Oberbürgermeister-Kampagne mit dem Slogan ‚Ich bin Bell‘ gemacht. Das ist sehr redundant. Weil die Aufmerksamkeit für Plakate nur sehr kurz ist, müssen die Botschaften sehr einfach und einprägsam sein. Hannelore Kraft will mit einer Plakatkampagne Werte vermitteln und das ist aus meiner Sicht durchaus ansprechend gelungen. Wenn Sie mehr über Inhalte wissen wollen, können Sie sich im Internet informieren. Sie können unsere Wahlprogramme herunterladen. Sie können uns als Kandidaten befragen. Es gibt genug Möglichkeiten, sich umfassend zu informieren.“

NE: Sie haben selber bei der Aktion „TatKraft“ bei der Wuppertaler Tafel mitgemacht. Wie viel hat Ihnen das für Ihr Leben und Ihre Politik gebracht?

DB: „Ich bin jemand, der ohnehin sehr stark mit sozialer Realität konfrontiert ist. Durch meinen Beruf berate ich viele Menschen, die in sozialen Problemlagen leben. Meine Arbeit in den Wuppertaler Betrieben erdet mich sehr.
Was mich bei der Wuppertaler Tafel beeindruckt hat, ist das hohe ehrenamtliche Engagement. Ich habe mittags mit einer älteren Frau Essen ausgeteilt, die jeden Tag mit dem ÖPNV, obwohl sie 85 ist, aus Solingen kommt, und dort Essen ausgibt. Jeden Tag. Das fand ich beeindruckend. Natürlich trifft es mich auch, zu sehen dass eine Reihe meiner Bekannten sich ihr Essen bei der Tafel abholt. Da wird Ihnen einfach noch mal bewusst, wie sehr Armut in der Gesellschaft dieser Stadt angekommen ist.“

NE: Denken Sie, dass soziale Einrichtungen wie diese mit solchen Aktionen nicht für den Wahlkampf instrumentalisiert werden?

DB: „Wir haben angefragt. Die Tafel hat mir geantwortet, sie freue sich, wenn ich komme. Wir können Sie ja nicht zwingen. Es gibt viele Einrichtungen, die uns gerne ihre Arbeit zeigen. Und eine solche Aktion gibt der Tafel die Möglichkeit, sich zu präsentieren und Lobbyarbeit für sich zu machen. Die Interessen sind also durchaus miteinander vereinbar.“

NE: Welche Werte prägen Sie?

DB: „Mich prägen die Werte, soziale Gerechtigkeit und Solidarität. Sie sind auch mein politischer Motor.“

NE: Was genau täten Sie im Landtag in Düsseldorf für unsere Stadt?

„Wir treten als Team an. Wenn es uns gelänge als solches auch in den Landtag einzuziehen, wollen wir uns die Aufgaben aufteilen. Für mich sind der wirtschaftliche Strukturwandel und die Frage Hochschulpolitik und Entschuldung der Stadt wichtige Schwerpunkte. Von meiner beruflichen Vita her, ist natürlich auch die Innenpolitik für mich interessant.“

NE: Ich bin mit 15 Jahren leider noch nicht wahlberechtigt. Ich bin politisch interessiert und würde meine Stimme bei wichtigen Entscheidungen wie der anstehenden Wahl gerne abgeben dürfen. Könnten Sie sich eine Sonderberechtigung in Fällen vorstellen?

DB: „Eine Sonderberechtigung könnte ich mir nicht vorstellen. Dafür müsste man einen Reifetest ablegen. Entweder es gibt ein Wahlrecht schon ab 16 für alle, oder keines. Der Aufwand Sonderberechtigungen auszustellen, wäre mir zu groß. Auch aus der gewerkschaftlichen Tradition heraus bin ich der Meinung: gleiches Recht für alle.“

Vielen Dank für das Interview.

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