Nur mit mehr ÖPNV wird die Stadt der Zukunft lebenswert

In den letzten sieben Tagen wurden gleich zwei Studien vorgestellt, die sich mit der Zukunft des ÖPNV beschäftigen. Die Ergebnisse beider Studien wollen wir an dieser Stelle kurz vorstellen und mit der Situation in Wuppertal in Bezug bringen.

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Die erste Studie auf die hier eingangen werden soll, ist die der ÖPNV-Zukunftskommission, „Zukunft des ÖPNV in NRW Weichenstellung für 2020 / 2050“, die von der NRW-Landesregierung eingesetzt wurde und nun dem NRW-Verkehrsminister ihre Erkenntnisse vorgelegt hat (wir berichteten). Die Langfassung ist hier als PDF abrufbar.

In der Zusammenfassung stellen die Forscher fest:

„Die Sicherung von Mobilität für die Bürger kann angesichts der Rahmenbedingungen und absehbaren Entwicklungen künftig nur durch eine Ausweitung des ÖPNV erreicht werden. Nur so sind gleichzeitig Klima- und Umweltschutzziele, wirtschaftliche Ziele und soziale Ziele zu erfüllen und in Einklang mit den finanziellen Möglichkeiten zu bringen. Dies setzt ein attraktives und optimiertes Leistungsangebot im ÖPNV voraus, das eine 50- bis 100%-ige Steigerung der ÖPNV-Verkehrsleistung ermöglicht, die von der Kommission für nötig gehalten wird. All dies kann nur bei klarer politischer Priorisierung des ÖPNV realisiert werden.“

(S. 10)

Hierfür sind – das ist ja leider gerade am Beispiel Wuppertal deutlich zu beobachten – eine angemessen Finanzierung, eine Ende der Benachteiligung NRWs bei den Regionalisierungsmitteln des Bundes und das Erschließen neuer Einnahmequellen nötig. Das Land wird aufgefordert, „Kommunen, Verkehrsunternehmen und die Wirtschaft zu einer Ausschöpfung ihrer jeweiligen Handlungsmöglichkeiten im Mobilitätsmanagement zu bewegen, um so zu einer Stärkung der Effizienz und Verträglichkeit des Verkehrs über kommunikative und organisatorische Maßnahmen zu gelangen.“

Die Forscher weisen darauf hin, dass der ÖPNV bereits heute ein wichtiger Standort- und Wirtschaftsfaktor ist, der Arbeitsplätze generiert, einmal durch die Verkehrsunternehmen selbst, aber auch durch Unternehmen, die sich aufgrund einer qualitativ hochwertigen ÖPNV-Anbindung niederlassen. Hier droht Wuppertal den Anschluss zu verlieren, denn eine weitere, angekündigte Kürzung des ÖPNV geht zulasten der Attraktivität der Stadt. Durch seine Umweltfreundlichkeit ist der ÖPNV ein volkswirtschaftlich sparsames Verkehrsmittel, was in der Debatte über das betriebswirtschaftliche Defizit gerne übersehen wird.

Mit Blick auf die Zukunft erwarten die Forscher folgende Herausforderungen für den ÖPNV durch:

  • den demografischen Wandel. Die Gesellschaft altert, was zu mehr ÖPNV-Nutzern führt und ein Sinken der Schülerzahlen, was besonders auf dem Land zu sinkenden ÖPNV-Nutzern führt.
  • Gehobene Ansprüche. Es wird mehr Anforderungen an Barrierefreiheit geben.
  • Wertewandel im städtischen Raum. Vor allem junge Erwachsen verzichten auf das eigene Auto, nutzen moderne Kommunikationsmittel
  • engere Finanzspielräume, sowohl bei der öffentlichen, als auch der privaten Hand, (z.B. durch Energiekosten, Schuldenbremse)
  • Sanierungsstau bei der Infrastruktur. (Was die Wuppertaler Schwebebahn zum Glück hinter sich hat)

Daraus ergeben sich unterschiedliche Forderungen an den ÖPNV: Dieser muss sich von einem reinen Nahverkehrsdienstleister zu einem kompletten Mobilitätsdienstleister entwickeln und nicht nur Bus und Bahn anbieten, sondern auch Fahrradverleih, Car-Sharing, Fahrgemeinschaftsplattformen, die alle „multimodal“ und möglichst einfach genutzt werden sollen. Um auf all seine Herausforderungen reagieren zu können, braucht der ÖPNV in NRW – niemand könnte es besser beweisen als Wuppertal – ein neues Finanzierungsmodell. Mit dazu gehört auch, dass das Land seine Förderpolitik ändert und nicht „aus der einen Kasse eine bessere Autostraße in eine Gemeinde finanziert wird, während aus der anderen Kasse eine bessere Schienenstrecke in die Kommune bezahlt wird.“ (S.35)

Ausgehend von ihrer Analyse haben die Forscher ein Leitbild für den ÖPNV entwickelt, dessen Kern lautet,

[…] dass Mobilität ein Grundbedürfnis von Menschen und eine Voraussetzung für die Teilnahme an wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Aktivitäten ist. Das entscheidende Kernelement von Mobilität ist dabei die Tatsache, dass Ortsveränderungen dazu dienen, menschliche Bedürfnisse zu befriedigen, also einerseits Zwecke am Zielort wie zum Beispiel Einkaufen, Arbeiten, Freizeitgestaltung oder soziale Begegnungen zu realisieren und andererseits beim Unterwegssein u.a. Entspannung und Selbstverwirklichung zu ermöglichen.[…]

Die Verkehrserschließung durch den ÖPNV sowie den Rad- und Fußverkehr ist wichtige Voraussetzung für eine zukunftsfähige Mobilität: Es kommt darauf an, dass die Bedürfnisse, die Ortsveränderungen erfordern, mit wenig finanziellen Ressourcen, wenig Umweltschädigung, wenig sozialen Verwerfungen, wenig Aufwand abgedeckt werden können. Der ÖPNV kann diese Anforderungen gut erfüllen.“ (S.36)

Am Ende der Studie stehen zwei klare Empfehlungen an die Landesregierung:

  • „Zur Erfüllung der politisch beschlossenen Ziele – Sicherstellung von Mobilität, Umweltentlastung und Bezahlbarbeit des ÖPNV – muss sich das Verkehrssystem in Richtung einer Stärkung und deutlichen quantitativen Erweiterung von ÖPNV und Nahmobilität entwickeln. Letztlich bedeutet das auch eine spürbare Verlagerung von Verkehr zum ÖPNV. Die Landesregierung soll die merkliche Erhöhung der ÖPNV-Verkehrsleistung (Nachfrage) um 50 bis 100 Prozent gegenüber heute und eine selbstverständliche Multi- und Intermodalität im Personenverkehr als wesentliche Eckpunkte aufgreifen.
  • Dem ÖPNV, aber auch dem Fußgänger- und Fahrradverkehr sind Priorität in der Verkehrspolitik einzuräumen im Hinblick auf Planung, Umsetzung und Finanzierung. Parallelförderung von ÖPNV und MIV muss zugunsten des ÖPNV abgebaut werden. Für den ÖPNV müssen, abgeleitet aus der Vision der Kommission, konkrete quantitative und qualitative Ziele im Rahmen einer Verkehrswende gesetzt werden.“(S.49)

Leider bleibt die Studie in Kapitel zu neuen Finanzierungsinstrumenten und Prinzipien eher vage.

Die zweite Studie, die wir hier vorstellen, trägt den Titel „Neue Mobilität für die Stadt der Zukunft“ und wurde von der Mercator Stiftung in Auftrag gegeben. Sie ist hier zu finden. Die zentrale Frage lautet: „Wie kann zukünftige urbane Mobilität aussehen, die auf die Besonderheiten der Stadtstruktur eingeht und zugleich die unterschiedlichen Lebensstile der Bewohner berücksichtigt?“

Im Prolog wird das Dilemma kommunaler Verkehrspolitik sehr anschaulich dargestellt: Es ist die Mentalität, die uns im Wege steht. Große Katastrophen wie Fukushima wecken in uns den Wunsch etwas zu ändern, doch der einzelne hält sich und sein Verhalten für nicht wichtig (oder nicht mächtig) genug, weil er glaubt, es hätte keinen Einfluss auf den Klimawandel. In den letzten 25 Jahren hat sich beim Verkehr in Sachen Treibhausgase nichts Positives getan, im Gegenteil, die Emissionen wuchsen um 28%, während die der Industrie (-32%), der Energieerzeugung (-16%) und der Haushalte (-24%) sanken.

Hier muss, so die Forscher, dringend etwas geändert werden, doch dabei stehen wir uns in unseren verschiedenen Rollen als Verkehrsteilnehmer selbst im Weg.

„Einerseits ist es schwer, als Stadtbewohner lieb gewonnene Gewohnheiten scheinbarer automobiler Freiheit zu ändern, wenn man schon immer morgens mit dem eigenen Auto in den Stau und zur Arbeit gefahren ist, man schon immer die Brötchen beim Bäcker um die Ecke mit dem Auto geholt hat… Andererseits beschweren wir uns, wenn wir keinen Parkplatz bekommen, wenn uns als Fußgänger ein Auto auf dem Geh- oder Radweg den Weg versperrt, das Radfahren auf der Straße subjektiv immer gefährlicher wird, wenn die Lebensqualität in der Stadt zugunsten des Autos immer weiter eingeschränkt ist.“(S.18)

Auch die Studie der Mercator-Stiftung stellt einen Mentalitätswandel fest, weg von der automobilen Freiheit, hin zu mehr Stadtqualität. Stadtplätze sollen beispielweise nicht mehr nur große Verkehrdrehkreuze sein.

Im Bezug auf den ÖPNV wird festgestellt: „In Zukunft wird der ÖPNV im urbanen Mobilitätssystem eine wichtigere Rolle spielen müssen als dies bisher der Fall ist. Die Akzeptanz dafür ist besonders bei jenen Gruppen vorhanden, die heute schon von einem gut ausgebauten ÖPNV Netz profitieren können.“ (S.21) Eine wichtige Erkenntnis ist auch: „Besonders von den Innenstadtbewohnern wird das denkbare Konzept eines kostenlosen ÖPNV in der Innenstadt stark befürwortet, jeder zweite würde hierfür sogar auf sein eigenes Auto verzichten.“ (S.21)

Ebenso wie in der Studie der ÖPNV-Zukunftskommission wird hier dargelegt, dass die Zukunft der Nicht-Autobasierten-Mobilität multimodal ist, also je nach Zweck, Nutzergruppe und Ziel das Fahrrad, der Bus, die Eisenbahn, Car-Sharing, das Taxi oder die altbewährten Schusters Rappen genutzt werden. Besonders wichtig hierbei ist das „Nutzen-Statt-Besitzen-Prinzip“ der heranwachsenden Generation.

Für das Auto prognostizieren die Forscher ein Abschwächen der Bedeutung und des Anteils am Verkehr, hervorgerufen durch die steigenden Kosten für fossile Kraftstoffe, notwendigen Reduktionen der CO2-Emissionen und negativen Auswirkungen auf die Lebensqualität in der Stadt. Hinzu kommt, wie bereits erwähnt, dass das Auto als Statussymbol der jungen Generation ausgedient hat. Dennoch ist hier noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten, das autolose Leben scheint vielen Menschen heute unvorstellbar.

Der ÖPNV wird, so die Forscher, eine Grundvoraussetzung der Stadt der Zukunft sein. Ganz wichtig ist hierbei für die Diskussion:

„Eine aktuelle internationale Studie hat nachgewiesen, dass der Ausbau des ÖPNV auch wirtschaftliche Vorteile bringt: Wenn lokale Unternehmen und Geschäfte mit dem öffentlichen Nahverkehr erreichbar sind, dann entwickelt sich die Wirtschaft besser. […] Vor allem aber wird hervorgehoben, dass der Ausbau und die Qualität des öffentlichen Nahverkehrs für das wirtschaftliche Wohlergehen wichtiger sind als die Erhöhung der Verkehrsqualität für den motorisierten Individualverkehr. “(S.78)

Wuppertal ist also auf dem Weg in die falsche Richtung!

Weitere Vorteile des ÖPNV in Bezug auf die angestrebte Nachhaltigkeit des Verkehrs:

  • Verminderung des Flächenverbrauchs durch hohe Kapazität
  • Reduzierung von Treibhausgasen
  • Reduzierung von Lärmemissionen
  • Reduzierung des Flächenverbrauchs

Zum Schluss appellieren die Forscher:

„Es muss jetzt gehandelt werden, wenn wir bis 2030 eine tatsächlich nachhaltige Mobilität leben wollen. Jetzt werden die Weichen gestellt, denn die Stadt ist ein sehr träges und sich nur langsam veränderndes System. Um es anschaulich zu machen: Die heutigen autogerecht ausgebauten Straßennetze und die heute sichtbare Stadt mit allen ihren Eigenschaften sind mehr oder weniger das Ergebnis des Leitbildes der autogerechten Stadt. Das galt im Prinzip in den vergangenen 50 Jahren. Bis sich die Stadt entsprechend den heutigen Erkenntnissen verändert, vergehen weitere Jahrzehnte. Bis sich dieses Wissen bei den Entscheidungsträgern durchsetzt, werden wohl noch etliche Jahre vergehen – wenn nicht ab sofort mehr Mut und Durchsetzungskraft, mehr Einsicht für nachhaltiges Handeln in die Entscheidungsprozesse bei Politik, Fachverwaltung und beteiligten Institutionen einfließen.“ (S. 106)

In diesem Sinne lädt das Bündnis Unsere Stadtwerke am kommenden Dienstag, 10.9.2013, um 19 Uhr in die City-Kirche (Kirchplatz), um mit Dir/Ihnen über das Bürgerticket zu diskutieren. Die Vision dahinter ist ein solidarisch finanzierter Nahverkehr, der den Wuppertaler ÖPNV aus der Finanzierungsfalle befreit und handlungsfähig macht – damit wir auch in Wuppertal an der Stadt der Zukunft bauen können.

 

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