09.11.2020

Eine Erzählung gegen das Vergessen

Lesestoff (2): Eine anrührende Story über einen Hund und gleichzeitig ein Dokument der Freundschaft über Grenzen hinweg.

„Diese Geschichte ist wahr. Alles ist wirklich so gewesen“, steht als eine Art Untertitel auf Seite 9. Notiert hat sie der langjährige Leiter des Presseamtes der Stadt Wuppertal, Vorantreiber und maßgeblicher Initiator der „Junior-Universität“ und „Erfinder“ der „kommunalen Außenpolitik“, in deren Rahmen er die Städtepartnerschaften der bergischen Metropole vorantrieb.

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Aber fangen wir vorne an.

„Als meine Geschwister und ich klein waren, hatten wir einen wunderbaren Hund.“ So lautet der erste Satz der Erzählung. Sie spielt am Ende des Zweiten Weltkriegs und in den – wie man die Zeit nach Niederlage und Befreiung gern nennt – „Wirren“ der Nachkriegszeit: „Wir wurden Flüchtlinge. Friedrich und seine blaue Decke waren immer dabei. Damit wir überleben konnten, bin ich immer wieder viele Kilometer von einem Bauernhof zum anderen gelaufen, begleitet und beschützt von Friedrich. Ich bettelte um Essen oder tauschte das Letzte, was wir noch von früher hatten, gegen das, was die Bauern zu geben bereit waren“ (S. 16).

An der letzten Station der Odyssee duldet der Vermieter keinen Hund, der also zwangsweise in ein Tierheim abgegeben wird. Als die Familie sich ein wenig berappeln kann und auch das Geld zusammengespart hat, um Friedrich auszulösen, kommen die Emmissäre zu spät: „Ein Tierarzt hatte ihn einen Tag vorher eingeschläfert. Er hatte nicht mehr gefressen und war sehr krank geworden. Aus Kummer“ (S. 17).

We cried bitterly, heißt es, ins Englische übersetzt, am Ende. Nous avons amecrement pleuré. Horko sme plakali. Lloramos amargamente. Gorzko plakalismy. Eine Sprache fehlt hier, weil es dem Rezensenten nicht gelungen ist, Buchstaben in der Sprache zu finden und wiederzugeben, wie sie in Israel verwendet werden.

Die Partnerstädte Wuppertals sind South Tyneside, St. Étienne, Beer Sheva, Košice, Matagalpa und Legnica. Kommunen in Ländern, mit denen Deutschland im Krieg lag, die es überfiel oder dessen Bewohner nach der grausamen NS-Lehre nicht mehr leben dürften. Sie alle können Friedrichs Geschichte jetzt lesen, und zwar ohne Wörterbuch.

Eine Geschichte, die anrührend ist, aber die Schwelle zur Rührseligkeit nicht überschreitet, die authentisch ist und die sich tausende Male am Tag rund um den Erdball abspielt bis, könnte man denken, zum Jüngsten Tag oder jenem Einschnitt der Geschichte, an dem die Utopie eines umfassenden Friedens und einer globalen Gerechtigkeit Wirklichkeit wird. Von Thomas Morus über Immanuel Kant bis zum Barmer Kaufmannssohn, Kapitalisten und sozialistischen Theoretiker Friedrich Engels haben nicht die Dümmsten der Dummen ihre Gedanken auf die Organisation einer humanen Welt gerichtet.

Einfache Wahrheiten.

MATTHIAS DOHMEN

Ernst-Andreas Ziegler, Friedrich und die blaue Decke. Eine wahre Geschichte, Wuppertal: Nordpark 2020, ISBN 978-3-943940-63-3, 75 S., Euro 10,50, www.nordpark-verlag.de.

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