„Kultur ist kein Luxus“

Martina Steimer, die man an dieser Stelle nicht vorzustellen braucht, hat für den Bonner "Generalanzeiger" einen Artikel geschrieben, den wir mit freundlicher Genehmigung der Autorin und der ehemals hauptstädtischen Tageszeitung hier wiedergeben. Er erschien am 24. April.

„Und was machen Sie tagsüber?“ – diese immer wieder als Running Gag kolportierte Frage an Kulturschaffende hat in Zeiten der Corona-Kontaktsperre plötzlich einen bitteren Beigeschmack bekommen. Die Theater und Konzertsäle leer, die Clubs und Musikkneipen geschlossen und die Museen und Bibliotheken in tiefer Ruhe. Da erübrigt sich die eingangs gestellte Frage – die meisten Künstler machen im Moment dasselbe wie sonst auch: Sie versuchen zu überleben. Und uns allen damit einen bedeutenden Anteil an Lebensqualität zu erhalten.
Kultur spiegelt die Welt, schafft Visionen, blickt über den Tellerrand und verbindet Menschen. In Krisenzeiten ist das wichtiger denn je, weil das auch unser soziales Miteinander stärkt.Denn Kultur hilft zu uns allen zu überleben – oder was hätten Sie seit Mitte März gemacht, gäbe es keine Bücher, keine Filme und keine Musik?
Umso ignoranter und arroganter die Aussagen der Wortführer der Krise, der Politiker und Virologen, die aus ihren Elfenbeintürmen Attribute wie „nicht systemrelevant“ oder „verzichtbar“ in die zu einem nicht unbedeutenden Teil prekär lebende Gruppe der Kleinkünstler, Musiker, Veranstalter und kleinen Agenturen schleudern und dabei schon lange die realen Verhältnisse der Bürger aus den Augen verloren haben. Wer unter Kultur nur noch die Bayreuther Festspiele oder Großevents in der „Elpi“ assoziiert, der hat auch nicht begriffen, dass eine gesunde Gesellschaft nicht nur am individuellen Blutbild zu erkennen ist. Und wer wie Markus Söder angesichts des schönen Frühlingswetters vor allem die geschlossenen Biergärten beklagt, nicht geöffnete Theater und Konzerthäuser aber mit keinem Wort erwähnt, drückt damit vor allem ein Interesse an Trink-Kultur, nicht aber am Schicksal unzähliger Kulturschaffender aus.
Vorrangig ist, dass man Kunst und Kultur nicht auch noch zum Spielball der „Märkte“ macht. Damit hat die Politik schon das Gesundheitswesen und die Altenpflege an den Rand des Erträglichen gebracht, und die Corona-Krise ist – nicht nur bei uns – auch ganz massiv das Drama der kaputtgesparten Krankenhäuser und abgewanderten Ärzte und Pflegekräfte, die dem Druck nicht mehr standgehalten haben.
Aber passiert so etwas auch gerade im Kulturbereich, wo vor allem die kleinen, steuerlich nicht bedeutsamen freien Theater und Künstler, die jahrelang das urbane Leben bunt und wild und unangepasst gemacht haben, unter existenziellen Druck geraten? Im Moment sieht es so aus, dass kaum ein Bundesland den dringenden Bedürfnissen und Nöten dieser Akteure etwas anbietet, sondern nur auf ALG II verweist – eine Schande für Menschen, die immer aus eigener Kraft ihr Leben fristen konnten und nun völlig unverschuldet in diese Lage gekommen sind.
Während über den größeren Betrieben neben Kurzarbeitergeld noch als Soforthilfe etwas „Helikoptergeld“ ausgeschüttet wird, welches erst einmal über ein oder zwei Monate hinweghilft, wird auf Bundesebene im Eilverfahren ein neues Gesetz durchgepeitscht, das es ermöglicht, Tickets für ausgefallene Veranstaltungen in Gutscheine umzuwandeln anstatt sie zu erstatten, womit vor allem die marktbeherrschenden milliardenschweren Konzerne ihre Liquidität weiterhin stabil halten.
Und die Kleinen, der Humus der Branche? Keine Möglichkeit, sich ein zinsloses Darlehen auf noch kommende Leistungen zu verschaffen. Keine Soforthilfe, weil sie keine Betriebskosten haben – wer von der Hand in den Mund lebt, nennt selten einen Fuhrpark, persönliche Referenten und Geschäftsräume in 1A-Lage sein Eigen.
In welcher Welt wollen wir leben, wenn wir wieder mehr miteinander teilen als die penibel auf Distanz getaktete Einkaufsschlange bei Aldi? Der momentan verordnete soziale Abstand und das Abtauchen in eine weitgehend mediale und digitale Welt nimmt uns Wärme und Vertrauen, worauf wir als fühlende Geschöpfe jedoch angewiesen sind. Kultur hat dieses positive Gefühl immer gestärkt – oder kennen Sie viele Emotionen, die so berauschend sind wie mit anderen Menschen einem wunderbaren Konzert zu lauschen, gemeinsam zu singen und zu tanzen, zu lachen und ergriffen zu weinen, wenn Rhett Butler mit den epochalen Worten „Frankly, my dear, I don’t give a damn“ seinen Hut nimmt?
Vor Monaten wurde ich gebeten, an einem Buch über „Sehnsuchtsorte“ in einer großen südeuropäischen Stadt mitzuwirken, die mir sehr vertraut ist. Damals hätte ich es nicht für möglich gehalten, dass sich heute mein Sehnsuchtsort verlagern würde: Es ist unser Theater, das Pantheon, das seit dem 13.3. bar jeder Künstler- und Publikumsfrequenz ist, und dessen inspirierendes Leben ich im Moment mehr vermisse als jeden Sandstrand und jede Touristenattraktion. Und ich sehe und höre an so vielen Stellen, von so vielen Menschen, dass es ihnen ähnlich geht und sie die Wiedereröffnung von Bibliotheken ungeduldiger erwarten als die von Boutiquen, die von Museen mehr als von Shopping-Malls und die von Konzerthallen mehr als von Kosmetikketten.
Aber niemand von uns weiß im Moment, wie lange der Kultursektor noch ruht oder nur mit massiven Beschränkungen wiederaufgenommen werden kann. Sicher ist nur der vielzitierte Satz, dass die Welt nach Corona eine andere sein wird. Vielleicht verschwinden Dinge die sowieso verzichtbar sind, was uns während der Zwangspause plötzlich klar wurde als wir es gar nicht vermisst haben, wöchentlich beim Textildiscounter neue Wegwerfmode zu shoppen? Vielleicht bleibt eine größere Rücksichtnahme und Fürsorge bestehen, die viele Menschen bereits jetzt für ihr Umfeld walten lassen? Vielleicht steigt die Wertschätzung für die schönen Künste, jetzt, wo etwas immer als selbstverständlich Angenommenes nicht mehr selbstverständlich ist, wo man nicht mehr jeden Abend die Wahl hat zwischen all den großartigen Angeboten des Kulturstandorts Deutschland?
Kultur lebt vor allem aber auch von Nähe. Können Sie sich ein Pantheon vorstellen, wo an jedem Tisch nur noch eine Person sitzt, dabei wird unsichtbar hinterm Mundschutz gelacht? Und auf den Bühnen der Welt können nur noch Darbietungen gezeigt werden, in denen die Künstler respektvollen Abstand zueinander halten…. Da wird von Romeo und Julia bis zur Katze auf dem heißen Blechdach erst mal alles uminszeniert, und auch Fritz und Hermann haben in der nächsten Session zwei getrennte Podien für den kleinsten Elferrat Deutschlands. Von den Einschränkungen für Clubs, Tanzschulen und Gesangsvereinen, um nur einige Betroffene zu nennen, ganz zu schweigen. Wenn das die Perspektive ist, wird es ein Sterben auf Zeit, denn so kreativ die Szene im Moment ist – Streams und Youtube-Videos sind kein Ersatz für ein Live-Erlebnis. Leere Theater schaffen kein Gemeinschaftsgefühl. Virtuelle Museumsführungen vermitteln nicht wirklich die ehrfurchtsgebietende Schönheit der Gemälde. Ein gutes Kulturerlebnis ist ein Geben und Nehmen – der Künstler, der sich auf der Bühne die Seele aus dem Leib spielt, und das Publikum, das sich davon einfangen lässt und daran wächst.
Ich wünsche mir, dass die Politik klare Ansagen macht, wie es weitergeht. Und wenn diese Zwangspause andauert, muss es dafür eine Lösung geben, die nicht nur den Platzhirschen der Branche das Überleben sichert. Auch wir Kleinen sind ein Wirtschaftsfaktor, und wir zahlen im Gegensatz zu vielen Großkonzernen sogar unsere Steuern in Deutschland! Auch wir beschäftigen viele, viele Menschen in unseren Betrieben – die sicher alle nicht reich werden, aber das wird auch bei Adidas oder Amazon höchstens eine verschwindend kleine Führungsschicht.
Auch wir sind es wert, dass man sich um uns kümmert und nicht solche peinlichen Statements zur Lage der Kulturbetriebe abgibt wie die Staatssekretärin für Kultur und Medien, Monika Grütters, im Morgenmagazin am 17.4.. Die Dame war mal die Hoffnungsträgerin der ganzen Szene, was sich in den letzten Tagen deutlich geändert und viele Betroffene zu Recht deprimiert hat.
Eines der besten Statements zur aktuellen Lage kam in dieser Woche dagegen von Gerhard Baum. Wir erinnern uns – der Mann war u.a. mal Innenminister, ist mittlerweile knapp 90 Jahre alt, und als ich um 1980 herum im Kulturgeschäft anfing, hatte ich ein unvergessliches Zusammentreffen mit ihm im Ministerium in Bonn. Bitte gebt der Kultur solche Fürsprecher in der Politik zurück, Menschen mit Visionen und Moral, mit Spaß an dem, was wir machen – selbst wenn sie manchmal sogar die Zielscheibe sind!
Die momentane Krise ist schlimm, aber die Zeit danach wird nicht einfacher, und wir können sie nur zusammen mit Ihnen, unserem Publikum, meistern. Die „Märkte“ werden es nicht richten, um einen vielzitierten Satz aus den letzten Wochen zu nutzen, nur wir selbst entscheiden über unsere Zukunft, und wir würden sie gerne mit Ihnen zusammen gestalten. Denn was jetzt verloren geht, ist unwiederbringlich dahin. Kultur ist kein Luxus!

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Kommentare

  1. jochen vogler sagt:

    danke, martina!

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