Mit Brettspiel und Blumen ins Gefängnis

Von ihrem Wohnviertel aus kann Barbara Hükelheim auf die hohen Mauern der Justizvollzugsanstalt in Wuppertal-Vohwinkel blicken. Vor zwanzig Jahren waren dort auch Jugendliche inhaftiert, teils so alt wie ihre Kinder. Das ließ ihr keine Ruhe.

Wenn aus Barbara Hükelheims voll bepacktem schwarzem Rucksack ein Blumenstrauß ragt, wissen alle, dass sie mal wieder auf dem Weg zum Gefängnis ist. Im Gepäck hat sie Brett- und Kartenspiele, aber immer auch eine Tischdecke, Kerzen und Blumen. „Es ist mir wichtig, eine schöne Atmosphäre zu schaffen“, sagt sie. „Der Alltag im Knast ist oft trist genug. Aber es hat lange gedauert, bis ich die Dekoration mitbringen durfte.“

Nicht nur diejenigen, die ihr Leben hinter Gittern verbringen, brauchen viel Geduld. Auch alle, die sich um Strafgefangene kümmern, müssen einen langen Atem haben. Barbara Hükelheim hat diese Geduld. Seit 22 Jahren kommt sie einmal in der Woche für drei Stunden in die JVA Wuppertal-Vohwinkel, um mit einer Gruppe von zehn bis 12 Männern Zeit zu verbringen.

 
Spiele

Ob Brettspiele oder Puzzle – Barbara Hükelheim hat für jedes Gruppenmitglied etwas in ihrem Rucksack.

Ein Stück Familie im Knast

Als sie damals damit begann, waren es Jugendliche von 14 bis 21 Jahren. „Ich habe die Augen dieser Kinder hinter den Busscheiben gesehen, wenn sie auf dem Weg ins Gefängnis durch unser Wohnviertel fuhren“, erzählt die 62-jährige Ehrenamtliche. „Das ließ mir keine Ruhe.“ Sie wollte den Kindern und Jugendlichen, die ohne Familie hinter Gittern leben mussten, ein Stück Familie ersetzen.

Bevor sie selbst vier Kinder bekam, hatte Barbara Hükelheim ihre Berufsausbildung in Bethel begonnen und als Sozialarbeiterin abgeschlossen. Das öffnete ihr die Türen. Sie startete 1997 eine Spielgruppe, die sie auch weiterführte, als die Jugendstrafanstalt 2010 in den Wuppertaler Stadtteil Ronsdorf verlegt wurde. Seitdem betreut sie nur noch erwachsene Strafgefangene. Ein Prinzip war ihr von Anfang an wichtig: „Es wird niemand ausgeschlossen.“

 

Der kleine, leere Geschenkkarton ist häufig der „Türöffner“ für persönliche Gespräche mit den Gefangenen. Ihre Wünsche dürfen sie dort hineinlegen.

Mit Ruhe der Wut begegnen

Bis heute ist sie diesem Grundsatz treu geblieben. Mit viel Geduld begegnet sie Provokationen und Wutausbrüchen der Männer. Sie führt persönliche Gespräch, liest mit ihnen Texte, spielt Karten- oder Brettspiele. „Viele haben Schlimmes in ihrer Kindheit erlebt, sind geschlagen und weggesperrt worden“, erzählt sie. „Verschiedenste pädagogische Ansätze wurden schon an ihnen erprobt. Ich möchte ihnen einfach unvoreingenommen begegnen.“

Die Vollzugsbeamten hätten diese Einstellung für naiv gehalten, berichtet Barbara Hükelheim – und damit gerechnet, dass sie schon bald aufgibt. Stattdessen begann sie für eine schönere Gestaltung des kargen Aufenthaltsraumes zu kämpfen, in dem die Strafgefangenen eine andere Welt und andere Werte kennenlernen sollten. Eine Welt, in der sie „wie in einer intakten Familie ‚einfach sein können‘ mit all ihren Unzulänglichkeiten“. Schließlich änderten sich Menschen nur durch das gute Vor- und Miteinanderleben, ist Barbara Hükelheim überzeugt. Mittlerweile gibt es in dem Raum schönere Möbel, eine Küchenzeile und Geschirr, denn zu den dreistündigen wöchentlichen Treffen gehört auch ein gemeinsames Essen.

 

Hinter den hohen Gefänngismauern herrschen strikte Regeln und eine klare Hierarchie.

Emotionen statt Distanz

In der eintönigen Welt des Gefängnisses, in der klare Regeln, Hierarchien und Distanz den Alltag bestimmen, ist Barbara Hükelheim mit ihrer Mütterlichkeit und Geduld ein emotionaler Kontrapunkt. „Jugendliche wollten mir schon einen Kurs schenken, in dem ich lerne, mich besser durchzusetzen“, lacht sie. Doch auf ihre leise Weise hat sie sich über all die Jahre bei den Gefangenen wie auch den Vollzugsbeamten Respekt verschafft. „Ich bin noch nie angegriffen worden“, betont sie. „Und wesentliche Dinge sind nie weggekommen.“

Sie schreibt das ihrer Ehrlichkeit und Offenheit zu. Sie erzählt den Strafgefangenen von ihrer Familie, den vier Kindern, von denen zwei das Downsyndrom haben. Anna ist schon mit 21 Jahren an einem Herzfehler gestorben. Den 27-jährigen Simon, der noch bei ihr und ihrem Mann lebt, nimmt sie regelmäßig mit in die JVA. „Er ist sehr beliebt, weil er jedem offen und vorurteilsfrei begegnet“, sagt sie.

 

Barbara Hükelheim hebt jeden Brief auf, den sie von den Gefangenen bekommt.

Wertschätzung durch Briefe und Geschenke

Das ehrenamtliche Engagement in der Straffälligenhilfe hat ihre gesamte Familie geprägt. Neben der Gruppe, die sie seit einiger Zeit gemeinsam mit einer weiteren ehrenamtlichen Pädagogin anbietet, engagiert sie sich in der Ausbildung weiterer freiwilliger Helfer. Sie bereitet besondere Gottesdienste mit vor, hält Vorträge in Kirchengemeinden und Schulen über ihre Tätigkeit im Gefängnis, nimmt an Fortbildungen und Supervisionen der Diakonie teil. Und sie hält Briefkontakt zu vielen Strafgefangenen, die verlegt oder entlassen wurden.

In ihrem Keller bewahrt sie alle Post und Geschenke auf, die sie im Laufe der Jahre erhalten hat. Darunter sind viele selbst gebastelte Holzspielsachen, Karten oder auch Schmuckstücke wie eine Kette aus Zahnbürstenstielen. „Einige Männer sind total gerührt, wenn ich sie bei einem erneuten Gefängnisaufenthalt wiedersehe und ihnen erzähle, dass ich ihre Geschenke noch habe.“

 

Viele Gefangene haben mit viel Liebe und Mühe Geschenke gebastelt. Damit zeigen sie ihre Dankbarkeit.

Geduldige Wegbegleiterin

Es gibt auch diejenigen, die nach ihrer Entlassung tatsächlich ein neues Leben beginnen. „Viele glauben nicht daran, dass das möglich ist“, sagt sie und erzählt die Geschichte eines ehemaligen Gefangenen, der fest davon überzeugt war, niemals eine Familie und einen Job zu finden, „weil ich so viel Dreck am Stecken habe“.

Heute arbeitet er in einem Imbiss, hat eine Frau und zwei Kinder und besucht Barbara Hükelheim jedes Jahr, wenn Flohmarkt in Vohwinkel ist. Dass diese Erfolgsgeschichten selten sind, hat die 62-jährige Ehrenamtliche nie davon abgehalten, jede Woche im Gefängnis zu sein. „Ich gehe zuverlässig und geduldig ein Stück des Weges mit den Menschen dort“, sagt sie. „Damit kann ich die Vergangenheit nicht ungeschehen machen, aber ich hoffe auf eine Wirkung – auch, wenn ich sie nicht direkt sehe.“

Quelle: Text und Fotos: Sabine Damaschke

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