Offener Brief zur Gedenktafel Burgholz

Zur Sitzung der „Kommission für eine Kultur des Erinnerns“ möchten wir uns auch zu der neuen Textversion für die Burgholz-Gedenktafel äußern.

 

Leider sind unsere Kritikpunkte aus unserem letzten Schreiben nicht vollständig berücksichtigt worden und es sind bei der Neubearbeitung weitere Fehler und Ungenauigkeiten eingebaut worden. (http://www.wuppertaler-widerstand.de/aktuelles/stellungnahme-zum-gedenktafelentwurf-fuer-die-opfer-im-burgholz)

Es wäre schön, wenn auf einer (hoffentlich) öffentlich finanzierten Gedenktafel auch der aktuelle Forschungsstand Berücksichtigung findet.

Vielleicht können Sie unsere Anmerkungen auch den Mitgliedern der Kommision zur Kenntnis bringen.

Mit freundlichen Grüßen

Lieselotte Bhatia
Stephan Stracke

 

 

 

Abgeänderter Vorschlag für einen Text für die Gedenktafel für die Opfer im Burgholz:

Anfang März 1945 setzten amerikanische Truppen bei Remagen über den Rhein. Innerhalb weniger Tage brach die Westfront zusammen. In dieser Phase sinnlosen Widerstandes kam es zu einer Reihe von Kriegsverbrechen, verübt durch SS, Wehrmacht und Polizei – so auch an diesem Ort: 24 Sowjetrussen und sechs Sowjetrussinnen mussten im Morgengrauen an einer zuvor ausgehobenen Grube neben dem Polizeischießplatz Burgholz niederknien. Es waren während des Überfalls auf die Sowjetunion zwangsrekrutierte sogenannte „Ostarbeiter“. Sie wurden von mehreren Polizeibeamten mit Genickschuss hingerichtet und verscharrt. Nur einer, Peter Diedrich, verweigerte die Mitwirkung. Zuvor gab es tagelange Verhöre und Misshandlungen. Man warf den Gefangenen vor, als kriminelle Bande Überfälle verübt zu haben. Ein im Polizeipräsidium Wuppertal hastig einberufenes, sogenanntes „Standgericht“ fällte die Unrechtsurteile. Man wollte den Anschein der Legalität wahren. Die Leichen wurden im August 1945 von der French War Crimes Mission aufgefunden. Die Opfer wurden auf dem Friedhof der reformierten Kirchengemeinde in Wuppertal-Cronenberg würdig bestattet. Namentlich bekannt ist nur die ukrainische Lehrerin Helena Matrosova.
14 an der Exekution beteiligte Gestapo- und Kriminalpolizeibeamte aus Wuppertal und Düsseldorf wurden am 22. Januar 1948 und drei ranghöhere Verantwortliche am 20. Oktober 1948 in Hamburg von einem Britischen Militärgericht verurteilt. Einige der Hauptverantwortlichen hatten bereits 1945 Selbstmord verübt. Fünf der anfangs sechs Haupttäter, darunter zwei Polizisten, die sich freiwillig zur Exekution gemeldet hatten, wurden wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemäß alliiertem Kontrollratsgesetz Nr. 10 mit dem Tode bestraft. Die Übrigen erhielten zum Teil langjährige Haftstrafen.
Zahlreiche Gnadengesuche, u.a. des Kölner Erzbischofs, Josef Kardinal Frings, der das Urteil nach Prüfung durch Kölner Juristen als „äußerst hart“ bezeichnete und „Menschlichkeit“ und „Völkerversöhnung“ anmahnte, führten zu Strafmilderungen. Deutsche Justizbehörden entließen die Mittäter zwischen 1950 und 1952 aus der Haft. Die Haupttäter kamen zwischen 1953 und 1956 frei. Eine juristische und historische Aufarbeitung der NS Verbrechen in der Bundesrepublik Deutschland setzte erst zehn Jahre später ein.
Nähere Informationen, insbesondere zum Militärgerichtsverfahren von 1948, sind erhältlich über das Stadtarchiv Wuppertal, E-Mail: stadtarchiv@stadt.wuppertal.de.

 

Unsere Kritikpunkte:

1. Sowjetrussen
Die Opfer des Burgholz-Massakers waren ZwangsarbeiterInnen aus der Sowjetunion. Der nun gewählte Begriff „Sowjetrussen“ umfasst nicht die gesamte Opfergruppe, im Jahre 2017 sollte man z.B die ukrainische ZwangsarbeiterInnen nicht als Sowjetrussen bezeichnen.

2. zwangsrekrutierte sogenannte „Ostarbeiter“
Da wir die genaue Zusammensetzung der Opfergruppe nicht kennen, wissen wir auch nichts über den konkreten Status der ZwangsarbeiterInnen. Es ist nicht sicher, ob alle Opfer z. B. zwangsrekrutiert wurden, es gab bis Anfang 1942 auch ArbeiterInnen aus der Sowjetunion, die angeworben wurden und erst später dem Zwangsregime der deutschen Arbeitsverwaltung unterworfen wurden.

3. Aus dem Obduktionsbericht, der im National Archives Kew archiviert ist, ergibt sich, dass 10 Frauen und 20 Männer getötet und aufgefunden wurden.

4. Es gab zunächst 6 Todesurteile. (Nachweise in der 1. Stellungnahme )

5. Nur einer der zum Tode verurteilten (Albermann) hatte sich freiwillig zur Exekution gemeldet. Der andere Täter (Karl Orsin) wurde in Hamburg nicht vor Gericht gestellt, weil er vor dem Prozess Selbstmord begangen hat.

6. In dieser Phase sinnlosen Widerstandes
Auf eine Gedenktafel für NS-Opfer gehört keine Bewertung, wann der Widerstand aus Sicht der Wehrmacht oder der Waffen-SS sinnlos wurde. Waren nach dieser Lesart die „Ardennenoffensive“, die blutigen Kämpfe um den Hürtgenwald, an der Rur und im Reichswald sinnvoll? Wir müssen nicht weiter ausführen, was dieser Satz aus der Perspektive der Alliierten bedeutet, die Deutschlands Befreiung vom Nationalsozialismus mit Tausenden von Kriegstoten noch in den letzten Monaten bis zum 8.Mai 1945 bezahlen mussten.

7.“hastig einberufenes sogenanntes Standgericht“
Am schwerwiegensten sind unsere Einwände zum Thema Standgericht.
Wie schon in unserer 1. Stellungnahme ausgeführt, ist die Behauptung, „ein hastig einberufenes Standgericht“ habe „die Unrechtsurteile“ gefällt, nicht belegbar.

a.) Es gibt in den Quellen keine Hinweise auf eine hastige Einberufung. Im Gegenteil: Die Verhaftungen und die daraus resultierenden Ermittlungen begannen am 20.1.1945. Anfang Februar 1945 wurde der Gestapobeamte Walldorf vom Gestapoleiter Hufenstuhl mit dem Ausheben einer Grube für die Exekution beauftragt. (Beleg: Eidesstattliche Erklärung von Lorenz Walldorf)
Der Leiter des Exekutionskommandos Karl Wilhelm Beine sagte aus: „Etwa gegen Anfang Februar 1945 war ich bei einer Konferenz zwischen dem Kriminalrat Hufenstuhl und dem Polizeipräsidenten Krahne zugegen. Es wurde besprochen, wo man 30 Russen erschiessen könnte, und man einigte sich, dass der Schiesstand Burgholz ein geeigneter Platz sei.“(Eidesstattliche Erklärung von Karl Wilhelm Beine) Die Täter hatten also genug Zeit. Das Massaker fand erst 4 Wochen später statt.

b.) Die Mär von einem Standgericht
Dass ein Standgericht die 30 ZwangsarbeiterInnen zum Tode verurteilt habe, ist eine reine Täterbehauptung, die die Täter entlasten sollte und die vor Gericht nicht bewiesen werden konnte.
Fest steht, dass die Täter im Burgholz-Case I von dem britischen Militärgericht in Hamburg wegen Teilnahme an einer rechtswidrigen Tötung verurteilt worden sind. Wäre ein reguläres Standgericht nachweisbar gewesen, wären die Täter wohl nicht verurteilt worden.
Der Versuch des Angeklagten Henschke bzw. seiner Anwälte im 2. Burgholz-Prozess, die Exekutionen im Burgholz als Ergebnis eines Standgerichts zu legitimieren, ist durchsichtig und als Verteidigungsstrategie auch aus anderen NS-Prozessen bekannt. Neben den Aussagen von Hans Henschke, von Werner Pohlmann, Arthur Peters und Hans Schmitz, die ein Gerichtsverfahren beabachtet haben wollen, und allesamt aus dem 2. Burgholz-Prozess stammen, gibt es aber auch zahlreiche Aussagen, die ein anderes Bild zeichnen:

Eidessstattliche Erklärung von Walter Albath vom 16.7.1947

„Ich weiß, dass in Wuppertal Anfang 1945 (etwa im Februar oder März) eine Bande von Russen durch Sonderbehandlung zum Tode verurteilt worden sind. Auf Grund meines Befehles vom 26. Januar 1945 kann das Urteil nur von dem zuständigen Gestapoleiter (in diesem Fall Hans Henschke von Düsseldorf) ausgesprochen worden sein.“

Eidesstattliche Erklärung von Willy Orlob (Häftling im Polizeigefängnis): „Soweit ich weiß, sind diese Russen nicht von einem Gericht abgeurteilt worden.

Eidesstattliche Erklärung von Karl Orsin: „Mir wurde später erzählt, daß der Befehl zur Erschießung vom Reichssicherheitshauptamt gegeben worden ist.“

Eidesstattliche Erklärungvon Arthur Peters: „Am nächsten Morgen erklärte der Kriminalrat Hufenstuhl auf der Dienststelle, daß die von der Kriminalpolizei verhafteten Russen zum Tode verurteilt seien, und daß die Erschießung an diesem Morgen stattfinden sollte. Ich habe nicht gefragt, von wem diese Russen zum Tode verurteilt seien, habe aber angenommen, daß dieses Urteil vom Reichsicherheitshauptamt ausgesprochen war.“

Eidesstattliche Erklärung von Lorenz Waldorf: „Ein paar Tage später wurde uns Gestapobeamten durch Kriminalinspektor Koslowski amtlich mitgeteilt, daß es sich bei der Erschießung um eine rechtmäßige und ordnungsgemäßige Angelegenheit handele, und daß kein Beamter sich Sorgen zu machen Brauchte. Die Russen seien von Berlin, über die Gestapo-Leitstelle Düsseldorf zum Tode verurteilt.“

Eidesstattliche Erklärungvon Gertrud Nitze: (Aufseherin im Polizeigefängnis Wuppertal): „So viel ich weiß, hatten diese Russen keine Gerichtsverhandlung.“

Eidesstattliche Erklärung von Alfred Kessler: „Mir war klar, daß die Russen erschossen werden sollten. Ich hatte gehört, daß diese Russen durch den Generalstaatsanwalt in Lüttringhausen zum Tode verurteilt waren, weiß aber nicht mehr, ob ich dies vor oder nach der Erschießung gehört habe.“

Eidesstattliche Erklärung von Albert Michel: „Der Alte (Hufenstuhl) hat eben bekannt gegeben, daß diese Mörderbande zu Tode verurteilt worden ist. Er sagte nicht, von wem sie zu Tode verurteilt seien. Dann fuhren wir nach Burgholz.“

Eidesstattliche Erklärung von Paul Neuhaus: „Es wurde gesagt, daß es sich um eine russische Bande handelte, und ich war der Meinung, daß sie von der höchsten Gestapobehörde zum Tode verurteilt seien.“

Diese Aussagen verweisen in der Mehrheit darauf, dass die Gestapo in Düsseldorf bzw. das RSHA in Berlin verantwortlich für die Exekutionen im Burgholz war.
Das deckt sich übrigens auch mit historischen Forschungsstand. Hinrichtungen von „Ostarbeitern“ wie im Burgholz waren wie bei vielen anderen sog. Endphaseverbrechen Sache der aus Gestapo und Kripo bestehenden Sicherheitspolizei und wurden mit dem Instrument der „Sonderbehandlung“ legitimiert und ohne Gerichtsverfahren durchgeführt „Ostarbeiter“ waren aus Sicht des NS-Regimes nicht würdig von einem deutschen Gericht verurteilt zu werden. Sie wurden regelmäßig ohne Prozess und Urteil „sonderbehandelt“, d.h. ermordet.

Seit dem 26.1.1945 durften die Tötungen sogar dezentral angeordnet werden: Walter Albath hatte verkündet, dass die „Sonderbehandlung ausländischer Arbeiter bei der besonderen Lage im Wehrkreis VI auch ohne vorherige Genehmigung des Reichssicherheitshauptamtes durchzuführen“ sind. So kamen die Tötungsbefehle direkt ohne den Umweg nach Berlin ins Wuppertaler Polizeipräsidium von den Dienstvorgesetzten der Wuppertaler Gestapo und Kripo, vom Höheren SS- und Polizeiführer West Karl Gutenberger, vom Inspekteur der Sicherheitspolizei im Wehrkreis Walter Albath oder vom Leiter der Gestapo-Leitstelle Düsseldorf Hans Henschke.

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Kommentare

  1. Lilo Bhatia sagt:

    bitte nachtragen im Post: der Offene Brief richtet sich an den Oberbürgermeister Herrn Andreas Mucke (ist in allen posts nicht vermerkt)

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