Beim Schreiben und Lesen keine Stunde Null

Dwinger, Kirst, Josef Martin Bauer und die „Landser“-Hefte contra Anna Seghers und Thomas Mann: Von der deutsch-deutschen Nachkriegsliteratur und deren Rezeption handelt unser Buch des Monats Juni.

Es war nun mal so: Eine knappe Hälfte der in der beginnenden Bundesrepublik verliehenen Literaturpreise ging an Autoren der so genannten Inneren Emigration, zu der – das gehört festgehalten – auch sehr honorige Leute zählten, ein gleich großer Prozentsatz der in der DDR zwischen 1945 und 1957 geehrten Schriftsteller hatte Deutschland verlassen müssen, oder ihre Bücher waren verbrannt worden.

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Die Hans Werner Richter, Andersch, Böll, Lenz und Grass hatten einen schweren Stand. Christian Adam hat beim Blick auf den Buchmarkt „harte Brüche, tiefe Einschnitte, aber auch viele Kontinuitäten über die vermeintlichen Zäsuren 1933 und 1945 hinweg“ festgestellt: „Unter 16 Büchern, die bis Anfang der sechziger Jahre in Westdeutschland jeweils über eine Million Gesamtauflage erreichten, finden sich nur zwei Werke von Emigranten – von Thomas Mann und von Erich Maria Remarque“ (Seite 17). Konjunktur hatten dagegen Autoren gebundener Werke und von Heftchen, wie sie im Vorspann dieser Rezension genannt sind.

Paradebeispiel: Josef Maria Bauers „So weit die Füße tragen“, diese erfolgreiche verfilmte frühe reality soap und eine Geschichte, die sich, „so wie sie im Roman erzählt wird, nie zugetragen haben kann“ (S. 146). Er war Starautor und Kriegsberichterstatter („Hinterhältige, kaltblütige Asiaten“, Faksimile auf S. 149), wie es auf ihre Weise die ebenfalls reüssierenden Edwin Erich Dwinger und Heinz G. Konsalik waren. Sie befanden sich in Obhut von Reinhard Gehlen und seiner berüchtigten „Organisation Gehlen“ oder des angeblich „aus dem Nichts“ hochkatapultierten Verlegers Joseph Caspar Witsch, dem unter den deutschen Buchmachern die „wichtigste Rolle“ innerhalb des Kongresses für kulturelle Freiheit zukam (S. 221). Übrigens sind die Verlage Galiani und Kiepenheuer & Witsch heutzutage „verheiratet“ (www.galiani.de/verlag/verlagsgeschichte.html).

Adam durchleuchtet auch den „Konsalik des Ostens“, Harry Thürk, der allerdings „an vielen Stellen entscheidend andere Akzente“ setzte als der unterhaltungsliterarische Mainstream im Westen: Bei ihm ist, auf den Weltkrieg II bezogen, „die Schuldfrage kein Tabu, sondern eindeutig geklärt“ (S. 93). Eine gewisse „Holzschnitthaftigkeit“ glaubt Adam ihm zur Last legen zu müssen (S. 91). Mit seinem „Gaukler“ (eine Viertelmillion Auflage in den ersten sechs Monaten) ging er auf eine von der DKP organisierte Lesereise durch die alte BRD (S. 209).

Wer sich über Nachkriegszeit und Kalten Krieg und seine kulturpolitischen Implikationen informieren möchte, ist mit Adams Werk sehr gut bedient. Und flott geschrieben ist es überdies.

MATTHIAS DOHMEN

 

Christian Adam, Der Traum vom Jahre Null. Autoren, Bestseller, Leser: Die Neuordnung der Bücherwelt in Ost und West nach 1945, Berlin: Galiani 2016, ISBN 978-3-86971-122-5, 441 S., Euro 28,00, www.galiani.de.

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