„Ich bin die, die mit Marx und Moses erzogen worden ist.“

Holocaust-Gedenktag: Zeitzeugen-Veranstaltung mit der niederländischen Widerstandskämpferin und Holocaust-Überlebenden Mirjam Ohringer.

26. Januar 2016 19:00 Uhr CityKirche Wuppertal-Elberfeld, Kirchplatz

Mirjam Ohringer wurde 1924 als Kind jüdischer Immigranten in Amsterdam geboren. Ihre Eltern waren in der Arbeiterbewegung aktiv; von ihrer Großmutter lernte sie Deutsch, von ihrem Vater Jiddisch und die Grundlagen des Marxismus. Während des Zweiten Weltkriegs war sie der ständigen Gefahr ausgesetzt, in eines der NS-Vernichtungslager deportiert und dort ermordet zu werden. Dennoch beteiligte sie sich unerschrocken an den Aktivitäten des niederländischen Widerstands: Bereits als 14-Jährige sammelte sie Geld für illegale Flüchtlinge aus Deutschland, schrieb heimlich Nachrichten ab, verteilte Flugblätter und leistete Kurierdienste.

VeranstalterInnen: Verein zur Erforschung der sozialen Bewegungen im Wuppertal, Regionalbüro Arbeit und Leben DGB/VHS Berg-Mark, SJD- Falken KV Wuppertal.

 

Mirjam Ohringer mit ihrem VaterMirjam Ohringer mit ihrem Vater

 

 

Quelle:

Ich bin die mit Marx und Moses“ Mirjam Ohringer – Geschichte einer couragierten Frau

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Von Sybille Krafft

Krafft: Sie haben über sich einmal gesagt: „Ich bin die mit Marx und Moses.“

Ohringer: Nein, das muss ich ein bisschen korrigieren: Ich bin die, die mit Marx und Moses erzogen worden ist.

Krafft: Was heißt das genau?

Ohringer: Das heißt, dass ich die Auffassungen über eine gerechtere Welt von Marx und die Gesetze für ein gerechteres Zusammenleben von Moses vermittelt bekommen habe. Meine Eltern waren als Kinder sehr fromm erzogen worden. Als erwachsene Menschen haben sie dann aber der Religion den Rücken zugekehrt und sich dem Sozialismus zugewandt. Denn es ging um eine gerechtere Welt für alle Menschen, egal welcher Religionszugehörigkeit; das war ihnen wichtig. Und genau das haben sie dann eben auch mir beigebracht.
Krafft: Ihre Eltern kamen ja beide aus dem ehemaligen Galizien.

Ohringer: Nun, Galizien gibt es ja heute noch, nur gehörte es damals eben zu Österreich.

Krafft: Ihr Vater ist während des Ersten Weltkriegs mit 17 Jahren nach Holland geflohen, damit er nicht an diesem Krieg teilnehmen musste. Nach Holland kam er sozusagen als Staatenloser und lernte dann Ihre Mutter kennen.

Ohringer: Nein, meine Mutter lernte er erst kennen, als er nach dem Krieg nach Deutschland ging, um dort Verwandte von sich zu suchen. Dort traf er dann die Familie meiner Mutter, die aus demselben kleinen Ort in Galizien stammte. Als er dann wieder in die Niederlande zurückgegangen ist, ging sie mit ihm mit.

Krafft: Und dann sind Sie auf die Welt gekommen, am 26. Oktober 1924. Sie sind in Amsterdam auf die Welt gekommen, dort aufgewachsen und leben heute immer noch in Amsterdam. Warum können Sie so gut Deutsch?

Ohringer: Die Familie meiner Mutter war noch vor dem Ersten Weltkrieg aus Galizien nach Deutschland ausgewandert und lebte dann in Hagen in Westfalen.
Der Grund, warum sie ausgewandert waren, war der, dass es dort in diesem kleinen Städtchen nur eine kleine Grundschule gegeben hatte. Wenn man also wollte, dass die Kinder etwas mehr lernen, dann hätte man genug Geld haben müssen, um sie in eine andere Stadt zu schicken. Das Geld war aber genau das, was fehlte, denn meine Großeltern waren sehr arm. Sie waren fromm, anständig und sehr arm.

Krafft: Das heißt, Sie haben dann mit Ihrer Großmutter Deutsch gesprochen?

Ohringer: Nein. Ich bin jedes Jahr mit meiner Mutter zum Pessachfest nach Deutschland gefahren. Dort gab es dann immer ein großes Familientreffen.
Die Kinder ihrer Geschwister sprachen selbstverständlich Deutsch, was bedeutete, dass ich mit ihnen ebenfalls Deutsch sprechen musste. Und ich habe zu Hause mit den Nachbarskindern im Hof gespielt, die ebenfalls Deutsch sprachen. So habe ich Deutsch gelernt, denn in der Familie meiner Großmutter in Deutschland sprach man eigentlich Jiddisch – das ich dort ebenfalls gelernt habe.

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