Buch der Woche: Der Briefwechsel von Willy Brandt und Helmut Schmidt

Eine Quellenedition von ungewöhnlicher Bedeutung. Mehr als 700 Schreiben aus über 35 Jahren umfasst das Buch, das Seite für Seite Schlaglichter auf zwei der bekanntesten deutschen Sozialdemokraten wirft.

Die beiden verband, schreibt Meik Woyke in seiner ausführlichen und substantiellen, knapp 80 Seiten umfassenden Einleitung, „eine Jahrzehnte lang währende Partnerschaft, deren Höhen und Tiefen in der wechselseitigen Korrespondenz facettenreich zum Ausdruck kommen. Zugleich hätten jedoch ihr Politikverständnis und auch ihr Führungsstil kaum unterschiedlicher sein können“ (Seite 7).

Der Emigrant und Widerständler, der Jüngere, und der Wehrmachtssoldat, der Ältere: Sie schätzten sich sehr, wenn auch die letzten Monate und Jahre bittere Schatten auf ihre Partnerschaft warf, wie vor allem Gunter Hofmann in seinem jetzt bei dtv wieder aufgelegten und auch von Woyke als Standardwerk angesehenen Werk über „Willy Brandt und Helmut Schmidt. Geschichte einer schwierigen Freundschaft“ herausgearbeitet hat. Hofmann beginnt mit dem SPD-Sonderparteitag 1983 in Köln, auf dem die so genannte Nachrüstung mit Pauken und Trompeten durchfiel.

Der Triumph des einen über den anderen? So einfach ist es nicht, auch wenn diese Debatte sie ohne Zweifel am weitesten auseinander führte. Der Briefwechsel gibt verlässlich darüber Auskunft, dass sich ihr Verhältnis – über die Jahrzehnte betrachtet – „häufig weniger antagonistisch und konfrontativ“ gestaltete, „als es in der Öffentlichkeit wahrgenommen oder von den Medien betrachtet wurde“ (S. 14).

Oftmals waren sie Rivalen, und persönliche Freunde waren sie nie. Doch respektierten sie einander, wussten, was „Staat und SPD“ von ihnen hatten. Der erste Brief, der in dem Band abgedruckt ist, stammt von Schmidt: Er informiert Brandt darüber, dass ihm ein „Schmutz-Pamphlet“ zugegangen sei, von dem er annehmen müsse, „dass auch Genossen an der Abfassung … nicht unbeteiligt“ gewesen seien (S. 91). Es war die Zeit, als Brandt kurz nach dem Krieg als Vaterlandsverräter denunziert wurde und beispielsweise sein Bericht über die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse unter dem Titel „Verbrecher und andere Deutsche“ gern in „Deutsche und andere Verbrecher“ umgedichtet wurde. Es sei niederträchtig, den SPD-Kanzlerkandidaten für die Bundestagswahl 1961 wegen seiner Herkunft und wegen seines Lebensweges zu verunglimpfen, befand Schmidt seinerzeit (S. 22 f.).

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Wer das schwergewichtige Werk in die Hand nimmt, so schrieb der FAZ-Rezensent Thomas Karlauf im Oktober diesen Jahres, werfe einen Blick ins Herz der deutschen Sozialdemokratie, wie er aufregender nicht sein könnte: „Die intellektuelle Höhe, auf der sich die Briefpartner bewegen, fasziniert dabei nicht weniger als die elementare politische Kraft, die bei diesem Aufeinandertreffen freigesetzt wird“ (www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/briefwechsel-der-spd-kanzler-kann-man-den-wegretuschieren-13858780.html).

Der Friedensnobelpreisträger Willy Brandt war von 1969 bis 1974 Bundeskanzler, Helmut Schmidt von 1974 bis 1982. Dr. Meik Woyke leitet seit 2009 das „Archiv für Sozialgeschichte“ und seit 2012 das Referat „Public History“ im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

MATTHIAS DOHMEN

 

Willy Brandt/Helmut Schmidt, Partner und Rivalen. Der Briefwechsel (1958-1992). Hrsgg. von Meik Woyke, Bonn: J. H. W. Dietz 2015 (= Willy-Brandt-Dokumente, 3), ISBN 978-3-8012-0445-7, 1101 S., Euro 39,90, www.dietz-verlag.de.

 

 

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