Buch des Monats: Atombomber über Remscheid

Brennende Stadt, schweigende Stadt, fragende Stadt: Veronika Wolfs bitterer Bericht über den Flugzeugabsturz 1988 in Remscheid ist unser Buch des Monats Februar.

Ein Politthriller, der seine Dramatik davon hat, dass er nicht kunstvoll erfunden ist: Es handelt sich um das überdies gut geschriebene Protokoll eines der größten Skandale der Bundesrepublik. Man legt den „Tatsachenroman über die Katastrophe des 8. Dezember 1988 in Remscheid“, wie es auf dem Umschlag heißt, nicht aus der Hand, bis man die fast 250 Seiten – von einer Liste der Toten bis zu einem Zitat des chinesischen Denkers Laotse – in sich hineingefressen hat.

Aktuelle Stellenangebote:

Obwohl 26 Jahre vergangen sind: Die Vorgänge in der Stockder (im Buch Stoller-) Straße an jenem Donnerstag, als ein Bomber der US-Air Force über Remscheid abstürzte (und wahrscheinlich von den eigenen Leutenabgeschossen wurde), sind bis auf den heutigen Tag nicht geklärt. Sieben Menschen sterben, über 50 Personen werden teilweise schwer verletzt, auf 350 Meter brennt ein ganzer Straßenzug. Ein Vietnam im Kleinformat: Die Spätfolgen werden höchst unzureichend erfasst. Eben schweigende Stadt, schweigendes Land NRW, schweigend überhaupt die Politik. Geschildert werden die Ereignisse aus der Perspektive einer engagierten Umweltaktivistin, Laura.

Generalstabsmäßig wurde vertuscht, abgewiegelt, manipuliert und verharmlost … oder sogar eingeschüchtert. Ein Landesminister lädt zum Gespräch: „Ich kann sie heute beruhigen – Sie sind nicht krank im Absturzgebiet. Wir haben Ihr Blut untersucht, Ihre Haut, wir haben die Krankheiten verglichen und ich kann Ihnen sagen, dass alles völlig in Ordnung ist.“ Großes Fragezeichen: „Laura sitzt wie angewurzelt. Hat sie das richtig gehört? Wieso 15 Erkrankte? … ‚Da stimmt etwas nicht, Her Minister. Es waren nicht 15, sondern 120 erkrankte Menschen, die sich beim Gesundheitsamt gemeldet hatten!‘ Laura platzt in die kleine Stille. Der Minister guckt kurz auf. Schaut dann wieder in seinen roten Aktendeckel. ‚Und noch etwas Gutes kann ich Ihnen mitteilen. Die Bodengutachter haben auch Ihre Böden auf Dioxin untersucht. Alles im grünen Bereich‘“ (S. 58). „Entwarnung: Besorgte Anwohner in Remscheid sind gesund!“, „berichten“ die Zeitungen, allen voran „Bild“ (S. 59).

Schließlich wird das „Volk“ mobilisiert. Laura erhält böse Briefe: Sie verunglimpfe die Stadt. Die Wirtschaft werde Schaden nehmen. Arbeitsplätze. Die Amerikaner seien Freunde. Alles Propaganda. Polemik. Sie solle sich um ihre Kinder kümmern.

Und Remscheid ist überall: „Die Amerikaner sind einsatzbereit. Die Air Force ist innerhalb von 15 Minuten mit nuklearen Waffen in der Luft … Dafür stehen auch auf dem Fliegerhorst Nörvenich die Maschinen mit Atomwaffen flugbereit“ (S. 115).

Sat1 hat das Buch vorgestellt, die WDR-Lokalzeit lud die Autorin ins Studio, und im Trierer Literaturcafé wurde ihr bescheinigt, auch sprachlich ein hohes Niveau einzuhalten. Abschluss und Neuanfang: Jetzt sollen die Betroffenen des Flugzeugabsturzes epidemiologisch untersucht werden. Ein großartiges Werk! Laura, du hast dich um deine Vaterstadt verdient gemacht.                                        MATTHIAS DOHMEN

Veronika Wolf, Schweigende Stadt. Über die Katastrophe des 8. Dezember 1988 in Remscheid, Remscheid: Selbstverlag 2014, ISBN 978-3-00-047485-9, 244 S., Euro 14,95, www.flugzeugabsturz-remscheid.de.

Schweigende Stadt - Veronika Wolf

Anmelden

Aktuelle Stellenangebote:

Kommentare

Neuen Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert