„Es ist höchste Zeit, dass sich die Bürger mehr einmischen.“

Soll man die Verantwortung für die Wuppertaler Finanzen alleine den Politikern und der Stadtverwaltung überlassen? Nein, findet das Kompetenznetz Bürgerhaushalt. In njuuz erklärt dessen Koordinator Dieter Hofmann, worum es den Initiatoren geht.

kompetenznetzwerk

Herr Hofmann, was ist ein Bürgerhaushalt?

Josh Lerner von der New School for Social Research in New York beschrieb das Bürgerhaushaltsverfahren kürzlich auf einer Konferenz in Berlin als Instrument, um den Wandel zu gestalten: „Wandel ist eine inhärente Eigenschaft des Bürgerhaushaltes, er inspiriert Menschen, etwas zum Guten zu verändern. Deshalb muss ein Bürgerhaushalt nicht perfekt sein: beginnen Sie einfach und verbessern Sie ihren Haushalt Jahr für Jahr.“ Dass wir in unserer Stadt vieles verändern müssen, wird wohl kaum jemand bestreiten. Ebenso wenig, dass die Bürger an diesem Veränderungsprozess beteiligt werden müssen.

Gibt es positive Beispiele für einen solchen Bürgerhaushalt aus anderen Städten?

Es gibt viele positive Beispiele für Bürgerhaushalte auf der ganzen Welt, aber es gibt meines Wissens kein Vorbild für ein Bürgerhaushaltsverfahren, wie wir es aktuell entwickeln und durchführen. Lassen Sie mich das an einem Beispiel deutlich machen: Der Kölner Bürgerhaushalt kostet 300.000.- Euro und die Bürger dürfen bei ca. 0,1% des kommunalen Haushalts der Stadt mitreden. Entscheiden dürfen sie nichts. Unser Verfahren kostet die Stadt Wuppertal bis jetzt 0.- Euro und die Wuppertaler dürfen bei 100% des Haushalts mitreden.

Wer engagiert sich in Ihrem Projekt?

Das ist eine bunte Mischung aus Jungen und Alten, organisierten und unorganisierten Bürgern. Auch Wissenschaftler und Fachleute von außerhalb sind dabei. An der ersten öffentlichen Veranstaltung in der Färberei nahmen ca. 150 Bürger teil. Viele Bürger beteiligen sich über die neuen Medien, indem sie uns Fragen oder Vorschläge zuschicken, die dann in unsere Arbeit einfließen.

Wer ist aus Ihrer Sicht verantwortlich dafür, dass Wuppertal sich derart verschuldet hat?

Die Entscheidungsträger der Stadt Wuppertal, des Landes Nordrhein-Westfalen und der Bundesrepublik Deutschland. In einer repräsentativen Demokratie ist die Politik einerseits dafür da, ideelle Orientierung zu bieten, und andererseits Lösungen für gesellschaftliche Probleme zu erarbeiten und dafür politische Mehrheiten zu organisieren. Dieses Verfahren scheint seit geraumer Zeit aufgrund einer dysfunktionalen Zuordnung von Aufgaben und Kompetenzen zwischen Bund, Ländern und Kommunen außer Tritt geraten zu sein. Zwei exemplarische Beispiele: Im Landtag und im Bundestag werden Gesetze beschlossen, deren Lasten man den Kommunen aufbürdet, ohne sie finanziell angemessen dafür auszustatten. Kommunalpolitiker wiederum akzeptieren großzügige Zuschüsse für Vorzeigeprojekte, um sich zu profilieren, obwohl die Mittel für die Folgekosten im Haushalt nicht vorhanden sind.

Verantwortlich für die Fehlentwicklung sind aber auch die Bürger, die diesem Treiben zuschauen und sich immer wieder mit unrealistischen Wachstumsversprechen vertrösten lassen, anstatt eine verantwortliche und nachhaltige Politik einzufordern, die unserer Stadt eine echte Zukunftsperspektive bietet. Es kann sich also niemand von Verantwortung freisprechen.

Was sind ihre wichtigsten Ziele?

Wir wollen mehr Transparenz im Haushaltsgeschehen schaffen. Die Bürger müssen verstehen, welche Folgen die Haushaltsentscheidungen haben. Die Politiker müssen ihre Entscheidungen begründen. Die Verwaltung muss bürgerorientierter werden. Die Probleme, die sich in unserer Stadt angehäuft haben, sind so groß, dass sie nur teilweise hier bewältigt werden können. „Wuppertal wehrt sich“ kümmert sich um die stadtexternen Handlungsebenen Land und Bund. Das Kompetenznetz Bürgerhaushalt will die Bürger in den stadtinternen Problemlösungsprozess einbeziehen. Damit erreichen wir bessere und nachhaltigere Lösungen. Der erste Schritt dahin ist der öffentliche Diskurs.

Wir leben in einer parlamentarischen Demokratie. Bürgerbeteiligung ist die Ausnahme. Machen Sie nicht eigentlich die Arbeit der gewählten Mitglieder des Stadtrates? Anders gefragt: Trauen Sie es den Kommunalpolitikern nicht zu, den Job zu machen, für den sie gewählt wurden?

Die Westdeutsche Zeitung veröffentlichte am 05.04.2006 die Ergebnisse einer Umfrage unter Wuppertaler Bürgern. 75% beurteilten die Aussichten des Wirtschaftsstandorts Wuppertal als schlecht und 67% waren der Ansicht, die Kommunalpolitiker seien den Herausforderungen der Zukunft nur schlecht gewachsen. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass sich nur noch etwas mehr als 44% der Wahlberechtigten der Stadt an der letzten Kommunalwahl beteiligten. Und anscheinend zu Recht. „Stadtrat ohne Macht“ titelte die WZ ihren Bericht über die konstituierende Sitzung des Stadtrates im Oktober 2009. Oberbürgermeister Jung habe zur Einleitung gesagt, die Selbstbestimmung der Kommune sei nicht mehr vorhanden.

Wir konstatieren also einerseits ein massives Glaubwürdigkeitsproblem der Kommunalpolitik und andererseits eine Aushöhlung der kommunalen Demokratie, die zumindest teilweise damit zusammenhängt, dass sich die Bürger in der Vergangenheit nicht genug in das politische Geschehen eingemischt haben. Der Politologe Wolfgang Fach spricht vom Verschwinden der Politik. Das, was wir heute sehen, meint Fach, sei ein Bild, das sich ein bisschen anlehne an Theater. Die realen Entscheidungen, die irgendwo gefällt werden, würden nicht mehr im Licht der Öffentlichkeit gefällt. Es ist also höchste Zeit, dass sich die Bürger mehr einmischen. Die Politik kann, diesen Prozess nur sehr bedingt anschieben, denn die Menschen sind zwar bereit, sich am politischen Prozess zu beteiligen, aber nicht an den Prozessen der Politik.

Ein Kommunalhaushalt ist ein komplexes Gebilde. Man braucht juristisches und verwaltungsinternes Wissen, um adäquate Vorschläge machen zu können. Können Sie auf Augenhöhe mit den Verantwortlichen im Rathaus verhandeln?

Olof Palme, der frühere schwedische Ministerpräsident sagte einmal, es sei eine Irrlehre, dass es Fragen gäbe, die für normale Menschen zu groß und zu kompliziert seien. Akzeptiere man einen solchen Gedanken, so habe man einen ersten Schritt in Richtung Technokratie, Expertenherrschaft, Oligarchie getan. (…) Die Politik sei zugänglich, beeinflussbar für jeden. Das sei der zentrale Punkt der Demokratie. Ein ehrenamtlicher Mitstreiter im Bürgerhaushaltsverfahren kann die Materie ebenso gut verstehen wie ein ehrenamtlicher Kommunalpolitiker.

Haben Sie das Gefühl, dass Politik und Verwaltung dankbar für Ihre Unterstützung sind? Oder wäre es den Verantwortlichen lieber, Sie würden sich nicht einmischen?

Warum sollten Politik und Verwaltung etwas dagegen haben, wenn sich Bürger für ihre Stadt interessieren und engagieren? Oberbürgermeister Jung verweist immer wieder gerne auf den Reichtum der Stadt, der ihr aus dem vielfältigen bürgerschaftlichen Engagement erwächst. Bürgerschaftliches Engagement ist nun mal nicht nur freiwillig, sondern auch eigensinnig. Viele unserer Mitstreiterinnen und Mitstreiter bringen ihr Wissen, ihre Zeit, ihre Leidenschaft und ihre Kreativität ein, um der Stadt wieder Handlungsspielräume und eine attraktive Zukunftsperspektive zu verschaffen. Ein Bürgerhaushalt ist im Übrigen nicht dafür da, dass die Bürger die unlösbaren Aufgaben von Politik und Verwaltung übernehmen, sondern dass Politik und Verwaltung die Bürger bei der Lösung ihrer Probleme unterstützen.

Wie kann man mehr über Ihre Arbeit erfahren? Wie kann man sich beim Bürgerhaushalt engagieren?

Unsere Webseite www.buergerhaushalt-wuppertal.de wird gerade aufgebaut. Immerhin findet man dort schon eine kurze Vorstellung unserer Arbeit sowie die ersten beiden Bürgeranfragen, die wir zu den Themenfeldern „politische Strategie & Finanzen“ und „Verwaltungsorganisation“ erarbeitet haben. Sobald die Antworten der Stadt eintreffen, werden wir diese natürlich auch dort einstellen und ein Diskussionsforum eröffnen. Jeder, der beim Bürgerhaushalt Wuppertal mitmachen will, kann über die Webseite Kontakt aufnehmen oder sich für unseren Newsletter registrieren. Die Themen, die wir aufgreifen, sind natürlich nicht exklusiv unsere Themen. Jeder ist herzlich eingeladen, diese und andere Themen, die für die Entwicklung unseres Gemeinwesens wichtig sind, aufzugreifen und mit Familie, Nachbarn, Kollegen oder Parteifreunden zu diskutieren und gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Je mehr und je öffentlicher wir alle diese Diskussionen führen, desto besser.

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Die Fragen stellte Georg Sander.

Foto: Kompetenznetz Bürgerhaushalt

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Kommentare

  1. Richard David Precht zum Thema politischer Stillstand und was die Bürger daran ändern können http://www.youtube.com/watch?v=7ThQAMU0qU0&feature=youtu.be

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