Wie eine Schule bankrott geht – der Blick in ein absurdes System

Inklusion ist ein Thema welches die Gemüter erregt. In Wuppertal führt die Umsetzung zum Bankrott einer gut funktionierenden Förderschule meint Barbara Maria Ostermann.

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Inklusion ist eine gute Idee. Lernbehinderte Schüler sollen wie alle anderen Kinder auch, Regelschulen besuchen dürfen und dort gemeinsam mit allen unterrichtet werden. Eltern dürfen zwar nach wie vor entscheiden, ob ihr Kind eine Förderschule besuchen soll, aber langfristig sollen immer mehr lernbehinderte Kinder auf normale Schulen gehen können. Dafür will das Land NRW die Voraussetzungen schaffen. Nun ist ein Streit darüber entbrannt, wer die Kosten dafür tragen soll. Leidtragende sind Schüler und Lehrerschaft, besonders dann, wenn die Umsetzung „kostenneutral“ erfolgen soll und wie Barbara Maria Ostermann meint, in Wuppertal zu absurden Ergebnissen führt.

Die Astrid-Lindgren Schule eine Förderschule in Vohwinkel wurde mit der „Schule für Kranke“ die als Regelschule gilt, schon 2011 zur Verbundschule. Die Lehrer der „Schule für Kranke“ haben die Aufgabe, langfristig Kranke an unterschiedlichen Orten zu unterrichten. Diese Aufgabe war noch irgendwie zu meistern. Jetzt jedoch soll der Verbund um eine weitere Schule in der Helmholtzstr. ergänzt werden. Durch die weit voneinander entfernt liegenden Orte und die unterschiedlichen Organisationsformen der einzelnen Schulen entsteht nun eine unzumutbare Belastung für alle Beteiligten, meint die Mutter eines Kindes, welches die Astrid-Lindgren Schule in Vohwinkel besucht. Hier ihr Brief im Wortlaut:

Moderne Folter
oder
wie eine Schule zum Bankrott kommt

Drei Förderschulen sollen „kostenneutral“ zusammengelegt werden – Europa verlangt die Umsetzung der „Inklusion“, NRW hat sie in kostenneutraler Form beschlossen und Wuppertal setzt sie auf dem Rücken von förderbedürftigen Kindern und Jugendlichen und deren Lehrer/innen in die Tat um. Der Artikel beschreibt, wie eine Schule ganz konkret über die Wupper geht.

Im Mittelalter gab es die Folter der Vierteilung. Eigentlich sollte man glauben, sie sei abgeschafft. Als Eltern, deren Kinder eine Förderschule besuchen, erleben wir hautnah, dass sie neuerdings wieder eingeführt wird, und zwar im Namen der Inklusion. So wurde heuer die Wuppertaler Astrid-Lindgren-Schule, ihres Zeichens nach bis 2011 eine Schule mit dem Förderschwerpunkt Lernen aufgefordert, gleich mit zwei anderen Schulen zu verschmelzen.

Bei Kindern mit einer Lernbehinderung liegt der IQ im Bereich zwischen 70 und 84. Diese Kinder haben langandauernde Beeinträchtigungen beim Lernen. Im Wuppertaler Westen sind es derzeit 120 Schüler/innen. Schon jetzt bildet die Astrid-Lindgren-Schule mit der „Schule für Kranke“ einen Verbund.

Unter der „Schule für Kranke“ darf man sich die eierlegende Wollmilchsau unter den Schulen vorstellen. Wenn ein Kind voraussichtlich länger als 4 Wochen im Krankenhaus sein muss, hat es ein Recht auf Beschulung durch die „Schule für Kranke“. Davon betroffen sind vor allem psychisch erkrankte Kinder, die sich in Tageskliniken aufhalten sowie Kinder mit schweren Erkrankungen, die im Krankenhaus liegen. Dabei kann es sich um einen Erstklässler genauso gut wie um einen Abiturienten handeln. Die „Schule für Kranke“ bevorratet sozusagen Know-how für alle 12 Schuljahre und für alle Schulformen. Hier mutiert der Lehrer zum elastischen Geist, wenn auch nur für eine Schülergruppe mit durchschnittlich 22 Schülern.

Zurück zur Vierteilung, nun ja, noch handelt es sich um eine Dreiteilung, aber wer weiß. Zu diesem Schulverbund aus Schülern mit einer Lernbehinderung und (psychisch) erkrankten Schülern soll jetzt noch eine Schule dazukommen, nämlich eine weitere Schule mit dem Förderschwerpunkt Lernen mit weiteren 140 Schülern. Alle drei Schulen und Einsatzorte – wie könnte es unpraktischer sein – befinden sich in unterschiedlichen Himmelsrichtungen und unterschiedlichen Stadtteilen. Hinzu kommen die Beschulungen von erkrankten Schülern im Krankenhaus. Durchschnittliche Fahrzeit von einer Schule zur anderen: 45-60 Minuten mit ÖPNV. Ein Weg versteht sich. Und für die Schulleitung pro Tag.

Bei Krankheitsvertretungen verbringt der Lehrer an sich mit dieser Dreiteilung viel Unterrichtszeit im Bus, Schwebebahn und zu Fuß auf der Straße, wenn er pendeln muss. Und der Schüler wartet auf seinen Ersatzlehrer. Und wartet. Und wartet. Eine Berechnung der Fahrzeiten auf die Unterrichtszeit gibt es selbstverständlich nicht.

Einen Vertretungslehrer für einen langzeiterkrankten Lehrer gibt es auch nur noch selten – denn die Landesregierung hat die Vertretungspauschale gekürzt.
Praktisch Bildung wie im Mittelalter.

Damit es noch komplizierter wird, haben alle drei Schulen auch unterschiedliche Organisationsstrukturen.

Und damit es auch richtig qualvoll für alle Beteiligten wird (so ganz nebenbei übrigens auch für die Kinder, die schon so reichlich benachteiligt sind: lernbehindert oder psychisch krank, manch einer erfahren in Schulversagen, ca. 1/4 unter der Armutsgrenze lebend und unter den lernbehinderten Schülern mindestens 45% mit Migrationshintergrund), sind auch für die Schulneugründung im Krankheitsfall von Lehrern weder Vertretungskräfte noch Fahrzeitenpauschalen noch mehr Sekretariatsstunden geplant. Diese liegen derzeit pro Standort bei 9 Stunden.

Ach, übrigens: Während der Ferienzeiten werden die Sekretärinnen nicht bezahlt. In dieser Zeit darf die Schulleitung die Aufgaben der Sekretärin zusätzlich übernehmen. Selbstverständlich darf die Schulleitung die Dreiteilung nur mit denselben 13 Leitungsstunden, die Konrektorin mit 7 Leitungsstunden in der Woche vollziehen, die sie auch vorher mit einer einzigen Schule gehabt haben. Mehrarbeit erfordert ja nicht etwa mehr Zeit. Nein, nein. Auch die Orgastunden (derzeit sind es 7 Stunden) für Lehrerrat, Gleichstellungsbeauftragte und Lehrkräfte mit besonderen schulischen Aufgaben, die dazu dienen, Schulbücher zu bestellen, Computerräume und Küchen aufzuräumen, etc. müssen sich dann die drei Kollegien an den 3 Standorten aufteilen – auch wenn sich die Organisation geradewegs verdoppelt und verdreifacht – oder doch schon vervierfachen hat?

Wir erinnern uns: Rein theoretisch haben Förderschüler einen ausgewiesenen erhöhten sonderpädagogischen Förder- und auch Lehrerbedarf.

Was sind die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zur besagten Vierteilung im Mittelalter? Im Unterschied zu den Menschen im Mittelalter ist der postmoderne Lehrer noch lebendig, wenn er aufgefordert wird, sich zu vierteilen. Allerdings nicht allzu lange.

Die erste Überlastungsanzeige aus September 2013 wurde einfach nicht von der Bezirksregierung Düsseldorf beantwortet. Die Schulkonferenz hat die Zusammenlegung der drei Schulen zwar abgelehnt, auch hier darf nicht mit Reaktionen gerechnet werden, denn die Schulkonferenz hat kein Mitspracherecht.

Andernorts im Städtekreis Aachen, in dem Schulleitungen die zehn Bürgermeister (also den Schulträger) schriftlich auf den Förderschullehrermangel in der Region aufmerksam machten, wurde der Schulrat suspendiert, die Lehrer bekamen eine formelle Missbilligung in ihre Akte wegen Petzens (Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht eines Beamten).

So körperlich, psychisch gequält und sozial mundtot gemacht konnte man im Mittelalter davon ausgehen, dass der Betroffene nicht mehr viel muckte.

In der heutigen Postmoderne hat die Schulleitung immerhin noch einen Weg mehr offen. Wenn der Rat im Februar 2014 die Zusammenlegung dreier Schulen beschließt – passend vor den NRW-Kommunalwahlen – ja, dann kann die Schulleitung noch den Bankrott verkünden. Bankrott heißt: Wir sind am Ende. Wahlweise wegen Personalmangels oder wegen Nichtmachbarkeit.

Die Hauptsponsoren der Förderschule im Wuppertaler Westen haben jetzt schon zu erkennen gegeben, dass sie kein System fördern, das nicht funktionieren wird und das jetzt schon nur noch mit Ach und Krach zusammen gehalten wird. Ein System übrigens, welches im letzten Schuljahr immerhin 50% der Abgänger (benachteiligte Jugendliche!) in Ausbildung (!) vermitteln konnte.

Barbara Maria Ostermann

 

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Kommentare

  1. Paul-Roemer sagt:

    Der Brief wirkt ein wenig wirr. Auch halte ich eine Diskreditierung der „Schule für Kranke“ für wenig sachgerecht.
    Die Förderschulen müssen als Organisationseinheit zusammengelegt werden, da weniger Kinder in die Förderschule gehen, dies schon seit Jahren. Es muss getan werden damit die Astrid-Lingren-Schule nicht geschlossen werden muss. Also eigentlich ein Lob an die Schulverwaltung, denn mit viel Augenmaß wird hier Inklusion abgefedert. Reisende Lehrerschaft lehne ich auch ab und dies ist als Unsinn auch allgemein bekannt. Mobilität und die Versetzung von Lehrern kann jedoch verlangt werden! Aus meiner Sicht ein Sturm im Wasserglas.
    Inklusion gelingend umzusetzten, gegen alle Lobbyisten, das ist die Herausforderung.

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