„Der Papst ist kaputt! Wer war das?“

Eine wirklich komische Oper: »Der Universums-Stulp« von Stephan Winkler, nach einem Roman von Eugen Egner in Wuppertal Von André Poloczek

„Der Universums-Stulp – Eine komische Oper nach dem gleichnamigen Roman von Eugen Egner“. So könnte man das Musiktheaterstück, das am vergangenen Freitag im Wuppertaler Opernhaus seine Uraufführung erlebte, durchaus bezeichnen.Eine großflächige Projektion auf der rückseitigen Fassade des Opernhauses will es anders und kündigt „eine musikalische Bildergeschichte in drei Heften“ an. Von Stephan Winkler. Dazu sieht man die Titelillustration des 1993 im Züricher Haffmans Verlag erschienen Romans. Und schon diese, natürlich vom Autor selbst stammende Zeichnung, bleibt nicht im Rahmen dessen, was man im Opernhaus einer mittleren Großstadt erwarten darf. Ein gewölbter Horizont und Krater lassen an eine Mondlandschaft denken. Eine Frauengestalt im Bildhintergrund trägt eine elektrifizierte schwarze Mähne. Der derangierte Protagonist in der Bildmitte, dem man seine Sinnkrise ansieht, hält mit ausgestreckten Armen ein von einem Buch zugedecktes kleines menschliches Wesen, das wiederum entschieden an einer ofenrohrähnlich gebogenen Haschpfeife saugt. Eine Rotweinflasche, ein Revolver und irgendwas Axtähnliches stecken im und an dem bordeauxroten Mantel des Mannes. Sein verwehtes, langes Haupthaar wirkt nicht frisiert.

Darin den Helden des Romans, den Dichter Traugott Neimann, zu sehen, fällt nicht schwer, wenngleich eine solche Szene im Roman nicht vorkommt.

 Galoppierende Handlung

Was dem im Laufe der äußerst handlungsreichen und zudem unerhört wechselvollen Geschichte passiert, soll hier nur skizzenhaft wiedergegeben werden: Um bei einem Fenstersturz nicht ums Leben zu kommen, muss der Dichter Traugott Neimann künftigem Drogenkonsum entsagen. Da aber Drogen bislang die Voraussetzung für sein künstlerisches Schaffen waren und der Verleger Bramm in Zürich auf die Fertigstellung des angekündigten Romans drängt, konsultiert der Dichter die vielgesichtige Thalia Fresluder in deren Universalhilfe-Institut. Doch Thalia erweist sich bei der Lösung des Kernproblems, nämlich der Fertigstellung des Romans, als ebenso wenig hilfreich wie Freund Valerian, der stellvertretend für Neimann stimulierende Mittel einnehmen soll.

Unter Missachtung – wohl aber in Kenntnis – der physikalischen Gesetze ersinnt Egner Maschinen (wie den nicht unproblematischen Ganghofer), und er ermöglicht seinem vielgestaltigen Romanpersonal, zu dem auch der Ex-Kinderstar Mona Zwanzig und die ehemalige Agentin des Innenministeriums, Vesika Güterbock, gehören, atemberaubende Reisen durch Zeit und Raum. Zeitlich geht es für Neimann in die Kindheit, räumlich geht es unter anderem in eine Imbissstube und nach China, an den Stadtrand von Peking, wo Enten böswillig in die Handlung eingreifen und wo Papst Leo XIII. Probstenloch einen Harem unterhält. Ein „brotaufstrichförmiges Tandem-Bewußtsein“ will erst einmal verdaut sein und eine Reise zum „Hugo-Ball-Dampfraketenbahnhof“ macht man nicht alle Tage. Aber es muss sein, schließlich gilt es, den Universums-Stulp zu verhindern.

Wahnsinn, wohin man blickt

All dies klingt nach Wahnsinn und tatsächlich wurden sowohl der Romantitel, wie einzelne Motive der „Sammlung Prinzhorn“, einer Zusammenstellung künstlerischer Arbeiten von Psychiatriepatienten entnommen. Egner weist in einem Romananhang darauf hin. Und Wahnsinn war auch Stephan Winklers Idee, diesen Stoff zu einer Oper zu verarbeiten. So irrwitzig jedenfalls, dass sogar der dem Wahn verpflichtete Autor anfänglich skeptisch war. Vielleicht war es auch wahnsinnig von Johannes Weigand, dem Opernintendanten der Wuppertaler Bühnen, der Uraufführung in seinem Haus zuzustimmen. Ein Wagnis war es auf jeden Fall. Obwohl Winkler mit dem Ensemble musikFabrik NRW –in diesem Fall unter der Leitung des Dirigenten Peter Rundel – schon einen Klangkörper für sein Projekt gewonnen hatte, der zu den führenden in der zeitgenössischen Musik zählt.

Ein Glücksfall war es, dass sich die Kunststiftung NRW als großzügiger Finanzier anbot und 237.500,- Euro in das Projekt steckte. Die Stiftung hat sich die Förderung innovativer Kulturprojekte zur Aufgabe gemacht hat und feiert in diesem Jahr ihr 25jähriges Jubiläum.

Quatsch keine Opern! Warum nicht?

Wahnsinnig bedeutet keineswegs unzurechnungsfähig und Winkler ist sich der Wahl seiner Mittel wohl bewusst. So zeichnete er vorab das gesamte Libretto, gesprochen von vier Mitgliedern des Wuppertaler Bühnenensembles, auf und stimmte seine Kompositionen auf den Duktus der mitgeschnittenen Sprachaufnahmen ab. Die auf diese Weise entstandenen Tonfolgen sind weder atonal, noch melodiegeprägt, sie begleiten und stützen vielmehr die Gesangstexte, die nie arienhaft vorgetragen werden.

Auch bei der Instrumentierung bringt Winkler Unerhörtes auf die Bühne – etwa einen „Doppelschalltrichter“ bei den Blechblasinstrumenten; der ist auch für das Publikum sichtbar, zumal das dezent kostümierte Konzertensemble während der gesamten, annähernd zweieinhalbstündigen Inszenierung, auf der Bühne ist – nur phasenweise verdeckt von einem oder beiden der in den Bühnenraum abgesenkten gleichgroßen, weißen Kulissenquader. Geräusch- und Spracheinspielungen und der Einsatz von Mikrophonen ermöglichen es – bei lippensynchroner Mimik der Darsteller – immer wieder Irritationen zu erzeugen.

Irritierend, traumhaft, surreal, grotesk-phantastisch, all das ist die musikalische Bühnenversion des Universums-Stulps, dennoch versucht Thierry Bruehl in seiner Inszenierung nicht, die Bildästhetik der Egner-Cartoons aufzunehmen. Nicht wüst aussehende, gehörnte und grimassenhafte Figuren bevölkern die Szene. Auch die Kostüme von Wiebke Schlüter und die Raumausstattung von Tal Shachan setzten eher auf Farb- und Raumwirkung, denn auf bemühte Phantastik. Das ist gut so, denn die Vorlage ist kein Comic, keine Graphic Novel (die englischsprachige Bezeichnung für nicht humoristische Comics – in Abgrenzung zu Funnies). Die beiden absenkbaren Quader als „panels“, also Einzelbilder eines Comics, zu interpretieren, erscheint allerdings nicht zwingend.

Mag die Romanhandlung auch turbulent und grotesk sein, die Inszenierung ist es nicht. Nur da, wo sich die Handlung nicht mit althergebrachten Regiemitteln weitererzählen lässt – beim Fenstersturz etwa oder bei „Neimanns Flug durch die 099 Bestellnummern“ – werden mit Mitteln des Zeichentricks erstellte Videosequenzen projiziert und sie verfehlen ihre beabsichtigte Wirkung nicht.

Auch die Darsteller meistern ihre schwierige Aufgabe, die tonreichen Stücke zu interpretieren. Die Partitur umfasst über 600 Seiten. Wagners „Parsifal“ kommt hingegen schon mit 237 aus. Olaf Haye und Andreas Jankowitsch als Protagonisten wirken durchgängig überzeugend, wie auch die übrigen Solisten, bei denen allerdings Christian Sturm in der Rolle des Papstes und Uta Christina Georg, die Sängerin der Thalia Fresluder, brillieren.

So entstehen höchst eindrückliche und ungewohnte Momente eines innovativen Musiktheaters und an einem „Navigationstanz im Verlagsprogramm“ hat sich selbst Pina Bausch, die ihre Choreografien auf derselben Bühne umsetzte, nicht versucht. Doch während die frühen Arbeiten der Choreografin noch von Buh-Rufen und empörtem Türenschlagen begleitet wurden, zeigte sich das Wuppertaler Publikum von dieser sicherlich experimentellen und innovativen Inszenierung begeistert. Minutenlanger stehender Applaus wurde spendiert; vielleicht auch, weil man soeben den programmgemäßen aber gefürchteten Universums-Stulp mehr als nur lebend überstanden hatte.

 

 

Szenenfoto: Uwe StratmannSzenenfoto: Uwe Stratmann

Termine im Opernhaus Wuppertal

 

 

Donnerstag, 13. Februar 2014 | 19.30 Uhr

Samstag, 15. Februar 2014 | 19.30 Uhr

Freitag, 7. März 2014 | 19.30 Uhr

Sonntag, 30. März 2014 | 18.00 Uhr

 

 

 

 

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