Historismus 5 – Der Jugendstil

Jugendstil (Art nouveau) (1895 - 1925)

Holsteiner StraßeHolsteiner Straße

Parallel zum Späthistorismus entwickelte sich eine weitere Strömung innerhalb des Historismus; sie wurde „Art nouveau“ oder „Jugendstil“ genannt! Im Grunde ist der Jugendstil einerseits der eigenständigste Part des Historismus, denn er war kein Rückgriff auf einen Stil, den es schon einmal gegeben hätte, nicht einmal eine Neuinterpretation! Andererseits war er aber bereits ein Wegbereiter vom Historismus weg und hin zur klassischen Moderne, jedoch in seiner Reinform nie ein Teil dieser Moderne gewesen.

In München erschien ab 1896 die liberale illustrierte Wochenzeitung für Kunst und Leben, „Jugend“ genannt. Es war eine gesellschaftskritische Literaturzeitschrift der Verleger Georg Hirth und Fritz von Ostini; antiklerikal und eher links-liberal ausgerichtet. Man wählte oftmals florale Motive zur Gestaltung des Covers, diese Motive waren damals auch im Kunsthandwerk sehr beliebt. Den Namen „Jugendstil“ erhielt der Art nouveau in Deutschland und den Niederlanden von dieser Illustrierten.

München war neben Wien und Darmstadt ein Zentrum des Art nouveau (der neuen Kunst) im deutschsprachigen Raum, deren Verfechter eine Abspaltung (Sezession) von der aus ihrer Sicht ausufernden historisierenden Bauweise forderten. Ewig bloß Fassaden der Neorenaissance entstehen zu sehen, war ihnen ein Dorn im Auge. So suchte und fand man im „Art nouveau“ endlich erfrischende neue Formen: Typische Elemente des Jugendstils sind dekorativ geschwungene Linien sowie flächenhafte florale Ornamente. Symmetrien lehnte der Jugendstil eher ab, vor kamen sie dennoch. Besonders ausgeprägt war diese Form des Historismus in Österreich-Ungarn (Wien, Prag, Budapest), Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Spanien (Barcelona und Madrid) sowie in Russland (Moskau) und Lettland (Riga). Aber auch in Deutschland spielte er, trotz der Ablehnung Kaiser Wilhelms II (der weiterhin eher die Neo-Stile präferierte, außerdem lehnte er die links-liberale Strömung hinter der Münchner Wochenzeitung „Jugend“ ab), eine gewisse Rolle. Neben München, Darmstadt (Mathildenhöhe), Weimar und Bad Nauheim als bedeutende Städte des Jugendstils in Deutschland, ist in unserer Region die Stadt Hagen (insbesondere der Hohenhof mit der Gartenstadt Hohenhagen), Dank des Mäzen Karl Ernst Osthaus, ein kleines Zentrum dieser Strömung gewesen. Osthaus schwebte ursprünglich vor aus Hagen eine Stadt zu gestalten, die sich komplett dem Jugendstil verschreiben sollte, er wollte: „die Schönheit wieder zur herrschenden Macht im Leben“ machen. Zu diesem Thema hatten wir gestern auf unserer Facebook-Seite: Stadtbild Deutschland e. V. Wuppertal einen Artikel veröffentlicht. Joseph Maria Olbrich, Peter Behrens, Johannes Lauweriks oder Henry van de Velde sind die bekanntesten Architekten des Jugendstils in Deutschland und den Niederlanden. Aus Elberfeld stammte Heinrich Plange, der auch einige Bauwerke in dieser Stilrichtung konzipierte.

Hohenhof in Hagen Westf.Hohenhof in Hagen Westf.

Bedingt durch den verlorenen 1. Weltkrieg war diese Epoche in Deutschland schneller beendet als in anderen Ländern Europas. Kurz vor und nach dem Weltenbrand tauchten auch hier bereits einige Strukturen des modernen Neoklassizismus aber auch der expressionistischen Moderne auf, mit denen der Jugendstil sich zu verschmelzen begann. Zum Beispiel bei der Künstlerkolonie Worpswede oder mit der Böttcherstraße in Bremen. Der Art-Déco-Stil entwickelte sich ebenfalls aus dem „Art nouveau“ heraus und ist ein Teil der „Klassischen Moderne“. Die letzten Werke des Jugendstils aber sind die amorphen Phantasiekonstruktionen des katalanischen Baumeisters Antoni Gaudí i Cornet in Barcelona. Sein Hauptwerk, die 1882 begonnene Sühnekirche „Sagrada Família“, soll im Jahre 2026 vollendet sein. Interessant ist abschließend noch, dass sich der österreichische Künstler und Architekt Friedensreich Hundertwasser für seine Bauten, die zwischen 1982 und 2000 entstanden sind, von Gaudí hat inspirieren lassen. Sind Hundertwassers Bauten eine Art Post-Jugendstil gewesen?

Im damals recht kaisertreuen Wuppertal spielte der Jugendstil nie eine sonderlich große Rolle, man wollte Kaiser Wilhelm II. wohl nicht verärgern. Immerhin war dieser den Städten im Tal der Wupper sehr zugeneigt. Bis auf ein paar Schwebebahnstationen, einige Privathäuser und den Bahnhof Vohwinkel ist wenig Jugendstil in Reinform vorhanden. In der Holsteiner Straße im Elberfelder Quartier Ostersbaum befindet sich z. B. ein fünfgeschossiges Wohn- und Geschäftshaus aus dem Jahre 1903. Zwar ist die Aufteilung der Fassade relativ symmetrisch, was eher untypisch für den reinen Jugendstil ist, der reiche florale Dekor hingegen ist wiederum sehr typisch. Das Gebäude stellt somit ein schönes Baudenkmal des Jugendstils in unserer Stadt dar und steht seit 1993 unter Denkmalschutz. (siehe Foto oben rechts)

S.-Bhf. "Werther Brücke"S.-Bhf. „Werther Brücke“

Auch der Bahnhof „Werther Brücke“ in Barmen ist als eines der eindrucksvollsten Gebäude dieser Stilrichtung in unserer Stadt erhalten geblieben. Er wurde 1903 errichtet und jeweils 1985 und 2013 wegen Baufälligkeit nahezu identisch rekonstruiert. Von den drei noch historischen Schwebebahnhöfen (Landgericht, Völklinger Straße und Werther Brücke) ist Werther Brücke der schönste!

Am kommenden Freitag schildern wir auf „njuuz“ den Übergang vom Historismus zur Moderne (Expressionismus).

 

 

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