Das „entjudete“ Regensburg

Unser Buch der Woche: Vom kleinen Verrat und der großen Enteignung handelt eine Arbeit, die die Ex-Wuppertalerin Waltraud Bierwirth im Verlag Friedrich Pustet vorgelegt hat.

113 Unternehmen waren es in Regensburg, die bis zur nationalsozialistischen Herrschaft jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern gehörten und die vor allem nach der Reichspogromnacht zwangsweise den Besitzer wechselten. Der Staat leistete in Gestalt des Finanzamtes entscheidende Beihilfe, mancher Betriebs- oder Geschäftsinhaber entledigte sich lästiger Konkurrenz, der man nach deren Verschickung in die Konzentrations- und Vernichtungslager praktischerweise nicht mehr unter die Augen kommen konnte.

 

 

Der großen Vernichtung ging der kleine Verrat voraus, wenn die jüdische Schülerin Lore Weiner vergeblich auf ihre Freundin wartet (Seite 23). Als 1912 die neue Synagoge mit Pomp eingeweiht wird, sind sie alle dabei, die sich später daran nicht mehr werden erinnern wollen: der Oberbürgermeister Otto Geßler, der bei der Vertreibung der SPD/KPD-Kabinette in Sachsen und Thüringen 1923 eine wichtige Rolle spielen wird, die Würdenträger der christlichen Kirchen und das Offizierkorps.

Bierwirth schildert detailreich und quellengesättigt, wie in Regensburg geschoben und geschachert wurde, damit die „richtigen“ Nazis günstig an das Eigentum der „Hebräer“ kamen. Der Staat kassierte kolossal mit, und Geldinstitut wie die örtliche Volksbank ließen sich ihre Dienste teuer bezahlen.

Das Buch enthält zahlreiche Fotos und auf S. 51 ein Faksimile eines Beitrages aus der „Bayerischen Ostwacht“ vom 31. Mai 1938, in dem Klage geführt wird, die „Mosessöhne“ fühlten sich „offenbar in Regensburg nach wie vor ganz wohl“. Ja, sie hätten „den Großmut, den man diesen Parasiten in der Behandlung hat angedeihen lassen, wirklich großzügig ausgenützt“.

Überschrift: „Nur 65 Juden weniger als 1933“. Offenkundig ein den 9. November vorbereitender Hetzartikel, mit dem auch die Journalisten ihren „Dienst“ an „Führer, Volk und Vaterland“ vollzogen.

Der Text ist sorgfältig gesetzt. Nichts fehlt, das man reklamieren könnte. Für denselben Verlag hat Bierwirth, die einige Jahre als Pressesprecherin der nordrhein-westfälischen IG Metall fungierte, ein Buch über den „Fall Maldaque“ geschrieben beziehungsweise das Tagebuch der links eingestellten Lehrerin veröffentlicht, deren Leben auch Ödön von Horváth zur Vorlage nahm, als er „Die Lehrerin von Regensburg“ schrieb.

MATTHIAS DOHMEN

 

Waltraud Bierwirth, „Die Firma ist entjudet“. Schandzeit in Regensburg 1933-1945, Regensburg: Pustet 2017, ISBN 978-3-7917-2862-9, 208 S., Euro 19,95, www.verlag-pustet.de.

 

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