Aus dem Hinterhalt

Lust und Liebe, Frust und Hiebe oder der Geruch von Fräulein Tückmantel sind Themen unseres Buchs der Woche, nämlich Karl Otto Mühls neuer Satirensammlung.

Der Altmeister aus dem Uellendahl lässt uns teilhaftig werden an den Erfahrungen, die ein Literat macht, der die „Wasserhauptverwaltung“ in einem günstigen Licht erscheinen lassen soll, dem aber „nicht deutlich gesagt“ wurde, „zu welchem Ereignis das Werk des Schriftstellers benötigt würde, und auch nicht, was darin am besten gesagt oder wenigstens versteckt zum Ausdruck gebracht werden sollte“ (Wassersuche, Seite 23). Mühl beschreibt die Höhen und die Ebenen künstlerischen Schaffens, er „kennt“ einen Dichter „und weiß daher, wie diese Prozesse in ihm ablaufen“ (Der Künstler und sein Werk, S. 102). Ja, er thematisiert mit reichlich Ironie „das erschreckende Unverständnis, das uns Schriftstellern immer wieder bei Rezensenten begegnet“ (Damenbauch, S. 30).

Vor allem aber lässt der im Schicksalsjahr 1923 geborene Dramatiker, Romanautor, Aphoristiker und Geschichtenerzähler, der sich selbst und von daher zu Recht auch andere gern auf die Schippe nimmt, den Leser an den Erfahrungen eines Seniors teilhaben etwa mit altersgerechter Ernährung.

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Insgesamt umfasst das von Torsten Krug sorgfältig lektorierte und von Barbara Meynen nicht minder sorgsam korrigierte Bändchen 23 Texte, und wer vorn zu lesen anfängt, stellt schnell fest, dass sich die Storys von Seite zu Seite steigern. Manches erinnert, wie der Mann ohne Kopf, bei dem es einen typisch Mühlschen Seitenhieb auf „Schönheitschirurgen mit Galgenvogelgesichtern“ gibt (S. 33), an Kurt Kusenberg.

Herrlich die Satire Es naht das Meer, es nah’n die Geusen, in der die Übernahme einer kleinen Fabrik durch niederländische Heuschrecken abgehandelt wird, übrigens der einzige Text, in dem Mühl auch politische Zeitkritik betreibt: Die Holländer erwähnen „nie den Krieg, der vor mehr als fünfzehn Jahren zu Ende gegangen war. Da sollte es ja zu Übergriffen von Seiten der Deutschen gekommen sein, ja, zu Deportationen von Juden. Mit Recht erwähnten die Gäste das nie. War ja auch richtig, wir waren es schließlich nicht gewesen, das waren die anderen, die vor uns, sagten viele, und da auch nur die echten Nazis“ (S. 56).

Das hat jeder schon erlebt, aber kaum einer so treffend zu Papier gebracht: Lauter freundliche Menschen lernt man an Hotlines kennen. Kostprobe gefällig? „Die Dame empfing mich am Telefon wie einen alten, privilegierten Freund“ (S. 65). Nur helfen tut einem so schnell niemand. Was „Eduard Zorn“ dem Präsidenten der Bundesärztekammer schreibt, soll hier nur angedeutet werden, geht es doch um die zahlungspflichtigen Zusatzangebote, mit denen der sowieso schon schockierte Patient zur Ader gelassen wird (Designer-Füllung, S. 74 ff.). Der Rezensent – um zum Schluss zu kommen – hat die Mühlschen Geschichten in einer Situation gelesen, in der ihn was auch immer gewaltig auf die Palme gebracht und die Geistesblitze, feinen Formulierungen und witzigen Einfälle wieder heruntergebracht haben. Seniorengerechtes Lesen: Danke, Karl Otto!

MATTHIAS DOHMEN

 

Karl Otto Mühl, Aus dem Hinterhalt. Satiren, Bochum: Brockmeyer 2016, ISBN 978-3-8196-1013-4, 124 S., Euro 11,90, www.brockmeyer-verlag.de.

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