BürgerInnenantrag an die Bezirksvertretung Wuppertal-Elberfeld

Wir hätten gerne unseren BürgerInnenantrag persönlich am 27.1.2016 am Holocaust-Gedenktag bei der BV-Sitzung vorgestellt. Da die Sitzung leider ausfällt, gehen wir schon mal in die Öffentlichkeit. Weitere Informationen und Unterschriftenlisten gibt es bei den Veranstaltungen zum Holocaust-Gedenktag am 26.1.2016

Gerzst-Treppe

 

Verein zur Erforschung der sozialen Bewegungen im Wuppertal e.V
www.gedenkbuch-wuppertal.de
www.wuppertaler-widerstand.de

Wir beantragen die Benennung der unbenannten Grünanlage links der Josefstraße in „Rita- und Izchok Gerszt-Park“ und regen gleichzeitig die Einrichtung eines Erinnerungsortes für jüdische WiderstandskämpferInnen aus Wuppertal ein. Deren Lebensgeschichten sollen auf Informationstafeln und auf einer speziellen Website dokumentiert werden.

Begründung:

Im Frühjahr 2016 jähren sich die Wuppertaler Gewerkschaftsprozesse zum 80. Mal. Zu Jahresbeginn 1935 hatte die Gestapo eine beispiellose Verhaftungsoperation gestartet. Von 1935 bis 1937 wurden in Wuppertal und Umgebung insgesamt mehr als 1.900 Menschen verhaftet und 649 Personen von ihnen in den sog. Wuppertaler Gewerkschaftsprozessen wegen Vorbereitung zum Hochverrat zum Teil zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. 17 Aktivisten verloren ihr Leben während der polizeilichen Voruntersuchung. Die sogenannten „Wuppertaler Gewerkschaftsprozesse“ erlangten eine große internationale Beachtung. Europaweit setzten sich über die Parteiengrenzen hinweg Unterstützer für die 1.900 verhafteten Wuppertaler Arbeiter ein. Der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB) und auch der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei im Exil (SOPADE) unterstützten die verhafteten Wuppertaler Arbeiter.
Nur wenig bekannt ist aber, dass sowohl in den Wuppertaler Widerstandsgruppen als auch im Exil zahlreiche jüdische WuppertalerInnen engagiert waren. Diese Menschen lebten und kämpften in doppelter Gefahr, bedroht als politische WiderstandskämpferInnen und als jüdische Menschen.
Besonders dramatisch ist das Schicksal der Familie Gerszt, die wir in diesem Gedenkjahr besonders würdigen wollen.
Den Standort für den neuen Erinnerungsort an der Josefstraße haben wir gezielt ausgewählt, weil die zu ehrenden Rita und Izchok Gerzst nur unweit mit ihrer Tochter Stephanie an der Reiterstraße lebten. Darüber hinaus wohnten viele der (zu ehrenden) jüdische Familien in Elberfeld im Viertel rund um die Synagoge in der Genügsamkeitstrasse.
Weitere im Park zu ehrende jüdische WiderstandskämpferInnen wären z.B. Richard und Rita Barmé, Helmut Hirsch, Rudolf Zuckermann, Leo Zuckermann, Max Löwenstein, Siegmund Löwenstein, Jankel Adler, Moritz Adler, Oswald Laufer, Jacob Gilberg und Alfred Benjamin.
Wir werden den 71. Jahrestag der Befreiung Wuppertals am 15. April 2016 erneut dazu nutzen, Angehörige der WiderstandskämpferInnen nach Wuppertal einzuladen. (siehe Programm von 2015http://www.wuppertaler-widerstand.de/flyer_gedenkfeier.pdf )
Eingeladen werden u.a. Stephanie Gerszt aus den USA unddie Familie Barmé-Wihl (Boston u. St. Louis/ USA .
Es wäre natürlich schön, wenn bis dahin eine Benennung der Grünanlage möglich wäre.

Mit freundlichen Grüßen

Verein zur Erforschung der sozialen Bewegungen im Wuppertal e.V

 

Zur Biographie von Izchok and Rita Gerszt

Izchok Gerszt wurde am 16. Oktober 1901 in Brzeziny bei Lodz geboren. Der gelernte Schneider war in Polen im sozialistisch-jüdischen „Bund“ organisiert gewesen. 1920 wanderte er nach Deutschland aus, weil er sich dem Wehrdienst in Polen entziehen wollte. Nach Darstellung des OLG in Hamm war Gerszt seitdem staatenlos. In Deutschland arbeitete er zunächst in der Landwirtschaft, dann als Schneider. 1925 machte er ein selbstständiges Schneidergeschäft auf, später arbeitete er mit Leo Kirsch zusammen. Seit 1933 war er als Reisender bei der Firma Wollberg & Co. beschäftigt.1

In Wuppertal war Gerszt gemeinsam mit seiner Frau Rita der KPD beigetreten und im jüdischen Arbeiterkulturverein aktiv.2 Bis 1933 war er u.a. im Vorstand des jüdischen Arbeiter-Kultur- Vereins an der Klotzbahn engagiert. Dort traf sich der Teil der (ost)jüdischen Community, die Lohnschneider und kleinen Selbstständigen aus dem Umkreis des Textil-Zentrums in der Hofaue, die sich der organisierten Arbeiterbewegung zugehörig fühlten. Zusammen mit den Wuppertaler Widerstandskämpfern Ewald Funke, Jukiel Gilberg, Karl Ibach und Friedrich Senger und anderen arbeitete Yzchok Gerszt seit 1931 im AM-Apparat der KPD und hatte u.a. Kontakte zu antinazistischen Polizeibeamten aufgebaut. Nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten organisierte er zusammen mit seiner Frau Rita Gerszt Geldsammlungen bei jüdischen Sympathisanten der Arbeiterbewegung zur Finanzierung der illegalen Arbeit und Treffs für die illegale Arbeit. Izchok Gerszt wurde im Zuge der 3. Verhaftungswelle der „Wuppertaler Gewerkschaftsprozesse“ (www.gewerkschaftsprozesse.de) am 30. Juni 1936 verhaftet.
Durch die Aussagen von Mitgefangenen erfuhr die Gestapo von der „Zersetzungsarbeit“ und von den geheimen Finanzierungen des AM-Apparates. Diese Widerstandstätigkeit ahndete das OLG mit hohen Strafen. „Der Angeklagte verdient eine empfindliche Strafe. Er gehört zu den Ostjuden, die sich nach dem Kriege in Deutschland breit gemacht haben. Die Elemente müssen, wenn sie sich gegen den Staat betätigen, mit harten Strafen belegt werden.“3 Gerszt wurde zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt, die er in den Zuchthäusern Herford und Siegburg absaß. Kurz vor dem Ende der Strafhaft urteilte der Leiter der Vollzugsanstalt Siegburg am 9. Mai 1940: „G. hat sich während seiner Strafverbüßung im Allgemeinen einwandfrei geführt. Er ist Jude und wird als solcher immer ein Staatsfeind bleiben. Seine Ausweisung ist veranlasst.“4 Die verfügte „Ausweisung“ war in Wahrheit die Deportation nach Auschwitz.5 Dort starb er, so die amtliche Bescheinigung, am 13. Januar 1945, nur wenige Tage vor der Befreiung von Auschwitz durch die Rote Armee. Andere Quellen berichten, dass er einige Tage später auf dem Todesmarsch erschossen worden ist.6

Auch seine Frau Rita Gerszt, ebenfalls Mitglied der KPD, geboren am 20.08.1898 in Radom und die 1936 acht Monate alte Tochter Stephanie gerieten in die Mühlen der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik. Am 30. Juni 1939 verfasste sie ein Gesuch für die Freilassung ihres Ehemanns an den Generalstaatsanwalt in Hamm: „Ich habe zum 30.6.1939 meine Ausweisung aus dem deutschen Staatsgebiet erhalten und richte deshalb die flehentliche Bitte an Sie, meinem Mann den letzten Rest seiner Strafe zu erlassen, damit wir zusammen auswandern können und mein Kind den Vater wieder hat. […] Ich befinde mich in einer ganz verzweifelten Lage, und ich weiß nicht wohin ich mich mit meinem 3jährigen Kindchen ohne meinen Mann wenden könnte. Stattdessen besteht bei einer Freilassung meines Mannes die Möglichkeit von seinen Verwandten in USA die Bürgschaft zur Einreise nach dort zu erhalten. Hierzu liegt auch beim Amerikanischen Konsulat unter Nr. 3153 der poln. Quote die Registrierung vor.“7 Das Gnadengesuch wurde trotz „guter Führung“ im Zuchthaus Herford abgelehnt: „G. ist staatenloser Jude. Er hat noch mehr als 1 Jahr Strafe zu verbüßen.“8
Nach den Angaben aus der Wiedergutmachungsakte wurde Rita Gerszt 1939 für vier Wochen inhaftiert und floh daraufhin mit Tochter Stephanie nach Belgien. Stephanie Gerszt berichtete 2008: „Meine Mutter und ich verließen Deutschland mitten in der Nacht und überquerten zu Fuß die deutsch-niederländische Grenze mit Hilfe eines Guides. Nach einem längeren Aufenthalt in den Niederlanden fuhren wir mit dem Zug nach Brüssel, wo die Schwester meiner Mutter, Helen Mandelbaum, in einem kleinen Appartement mit ihrem Ehemann und den beiden Kindern lebte.“9 Da Belgien am 10. Mai 1940 von den Deutschen besetzt wurde und die Verfolgungsmaßnahmen gegen die jüdische Bevölkerung anliefen, organisierte Rita Gerszt mit Hilfe ihrer Schwester ein sicheres Versteck für sie selbst und ihre Tochter. Sie wollten sich nur noch von ihren Verwandten und Freunden in Brüssel verabschieden, als die Gestapo zuschlug. Rita Gerszt wurde festgenommen und abgeführt. Im Durcheinander der Razzia konnte das fünfjährige Kind aus der Wohnung laufen. Sie lief lange durch die Straßen von Brüssel und fand dann die Wohnung ihrer Tante wieder. Helen Mandelbaum wandte sich an eine jüdische Hilfsorganisation und fand für Stephanie Gerszt ein Versteck in einem Waisenhaus. Das „Comite de defense des juifs“ versteckte Stephanie unter falschen Namen in einem Waisenhaus in Forest. Den jüdischen Fluchthilfeorganisationen gelang es in diesen Jahren, Tausende von jüdischen Kindern dem Zugriff der Nazimörder zu entziehen.10 Stephanie Gerszt wurde mit zahlreichen anderen jüdischen Kindern von den alliierten Armeen 1944 befreit. Bei Kriegsende wurde sie für drei Monate in einem katholischen Kloster und anschließend in einem Waisenhaus untergebracht, das von einer jüdischen Organisation geleitet wurde, die die Einreise der jüdischen Waisenkinder nach Israel vorbereitete. Kurz vor der Abreise nach Israel intervenierte ein Onkel von Stephanie, George Gerszt, der in den USA lebte. Stephanie Gerszt erhielt die Einreiseerlaubnis in die USA und im Juni 1948 konnte sie in die USA einreisen.11
In ihren Wiedergutmachungsantrag vom 10. Januar 1967 schrieb sie u.a.: „Ich stand als Kind allein und verlassen in Belgien, und ich konnte nur durch die großzügige Hilfe von jüdischen Hilfsorganisationen mein Leben retten.“ Weitere Angaben konnte sie nicht machen, „da mein Erinnerungsvermögen durch die entsetzlichen Erlebnisse in meiner Jugend in einem sehr großen Ausmaße gelitten hat.“12
Rita Gerszt wurde nach der Verhaftung in Brüssel nach Deutschland gebracht und in Düsseldorf vom Sondergericht zu vier Monaten Gefängnis wegen angeblicher Devisenvergehen verurteilt. Vom 7. Juni 1940 bis zum 9. Oktober 1940 war sie im Gefängnis. Anschließend wurde sie in das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück transportiert.13 Nach amtlichen Angaben kommt sie am 30. Juni 1942 im Lager ums Leben. Das Gedenkbuch für die Opfer von Ravensbrück verzeichnet unter dem Namen Rita Gerozt ihren Tod am 29. Mai 1942 in der T 4-Vergasungsanstalt Bernburg.14 Rita Gerszt gehört zu den ca. 1.600 Ravensbrücker Häftlingen, die im Rahmen des systematischen Mordprogramms der Aktion „14 f 13“ mit Kohlenmonoxid vergast und verbrannt wurden.15 Von den etwa 14.000 Menschen, die in Bernburg verbrannt und vergast wurden, konnten 1947 nur 80 Urnen aufgefunden werden, die aber keinen Namen, sondern nur eine Nummer trugen. Auch für Rita Gerszt gibt es keine Grabstätte.

Weitere Informationen: http://www.gedenkbuch-wuppertal.de/de/person/gerszt-0

1 Vgl. Urteil Bruckner, S. 68.
2 Vgl. Widerstand in Wuppertal, S. 29, VVN-Archiv Wuppertal
3 Urteil Bruckner, S. 68.
4 Gestapoakte Izchok Gerszt, LAV NRW R, RW 58, Nr. 62972.
5 Von Siegburg wurde er zunächst ins KZ Sachsenhausen transportiert und dann weiter ins KZ Auschwitz gebracht.
6 Vgl. die Informationen aus der Ehrenliste der VVN Wuppertal und die mündlichen Hinweise an Helen Mandelbaum in Brüssel. (Hinweis Stephanie (Gerszt) Douglas-Furman, am 21.6.2008)
7 LAV NRW W, GSTAH, Nr. 9640.
8 Ebd.
9 Schriftl. Mitteilung von Stephanie (Gerszt) Douglas-Furman, Portland, USA vom 24.2.2008.
10 Vgl. Korte, Monika: Die Erinnerung bergen. Versteck und Rettung jüdischer Kinder im belgischen Nonnenkloster, in: Benz, Wolfgang/Körte, Monika (Hg.): Solidarität und Hilfe für Juden während der NS-Zeit. Band 4. Rettung im Holocaust. Bedingungen und Erfahrungen des Überlebens, Berlin 2001, S. 107-128; Brachfeld, Sylvain: Ze hebben het overleeft, Brüssel 1997; Klarsfeld, Serge/Steinberg, Maxime (Hg.): Die Endlösung der Judenfrage in Belgien. Dokumente, New York 1980; Tec, Nechama: A Historical Perspective: Tracing the History of the Hidden-Child Experience; Marks, Jane: The Hidden Children. The Secret Survivors of the Holocaust, New York 1993, S. 287; Strobl, Ingrid: Die Angst kam erst danach: Jüdische Frauen im Widerstand in Europa 1939-1945, Frankfurt a.M. 1998.
11 Vgl. Schriftl. Mitteilung von Stephanie (Gerszt) Douglas-Furman, Portland, USA vom 24.2.2008.
12 Wiedergutmachungsakte Stephanie Gerszt; StAW AfW, W-627456.
13 Freundlicher Hinweis von Monika Schnell, Archiv Gedenkstätte Ravensbrück: Rita Gerszts Namen mit Todesdatum 29.5.1942 findet sich auf einer handschriftlichen Liste mit 440 Verstorbenen (1941 bis 1945) aus den National Archives Washington (NARA) , RG 549 U.S. Army Europe, Cases Not Fried 000-50-11 Ravensbrück, Folder #6, Box 523. (Kopie im Archiv der Gedenkstätte Ravensbrück) Zur Person Rita Gerszt sind nur folgende Daten bekannt: politischer Häftling, Haft-Nr. Ravensbrück: 6537, Zugang in Ravensbrück: zwischen Mai bis Ende 1941, gestorben 29.5.42. Das Sterbedatum 30.6.1942 aus der Wiedergutmachungsakte, stammt wahrscheinlich aus einer Sterbeurkunde, die nicht vorliegt.
14 Vgl. Gedenkbuch für die Opfer des Konzentrationslagers Ravensbrück 1939-1945, Berlin 2005, S. 226.
15 Vgl. Schindler-Saefkow, Bärbel: 14 f 13 – Ravensbrück – Bernburg. Das Geheimnis um die Massenvernichtung in Bernburg, in: Gedenkbuch Ravensbrück – Bernburg. Vorläufiges Verzeichnis der Opfer des Konzentrationslagers Ravensbrück, die im Februar und März 1942 in Bernburg/Saale durch Gas ermordet wurden, Berlin – Fürstenberg/Havel Oktober 1998. Weitere Literatur: Apel, Linde: Jüdische Frauen im Konzentrationslager Ravensbrück 1939-1945, Berlin 2003, S. 296-318; Nationalsozialistische Massentötung durch Giftgas. Eine Dokumentation. Herausgegeben von Eugen Kogon, Hermann Langbein; Adalbert Rückerl, Frankfurt/Main 1989, S, 78 f.; Grode, Walter: Die „Sonderbehandlung 14 f 13“ in den Konzentrationslagern des Dritten Reiches. Ein Beitrag zur Dynamik faschistischer Vernichtungspolitik, Frankfurt am Main Bern New York 1987; Kühnrich, Heinz: Der KZ-Staat 1933 – 1945, Berlin 1980, S.86f.; Frauen KZ Ravensbrück Autorenkollektiv unter der Leitung von G. Zörner, Berlin 1982, S. 187; Hoffmann, Ute: Todesursache Angina, Dessau 1996, S.87f. Aus Sicht der Täter: Friedrich Mennecke. Innenansichten eines medizinischen Täters im Nationalsozialismus. Edition seiner Briefe 1935 – 1947, Bearbeitet von Peter Chroust, Band 1, Hamburg 1987.

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