Buch der Woche: Marion Meyers Pina-Bausch-Buch

Was für ein Leben! 36 Jahre hat sie ihre Compagnie zusammengehalten und sich nie beirren lassen, auch wenn bei den ersten Vorstellungen im Wuppertaler Opernhaus Tomaten flogen.

Die Choreographin bekam sogar Drohanrufe: „Das Publikum wollte die heile Welt von Schwanensee“, schreibt Marion Meyer auf Seite 13. Hartnäckig und verbissen, setzte sie sich schließlich durch. Am Ende standen ihr die Bühnen der Welt offen, die Bewunderung, die ihr zuflog, war schier grenzenlos, der Auszeichnungen konnte sie sich kaum erwehren, und dennoch blieb die geborene Solingerin den Bühnen und der Stadt Wuppertal treu – vielleicht auch, weil sie in Arno Wüstenhöfer den wohl wichtigsten Förderer gefunden hatte (S. 153), der sie als Generalintendant an sein Theater holte und in dessen Nähe sie auf dem evangelisch-reformierten Friedhof an der Krummacherstraße beerdigt liegt.

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Ihr Umgang mit Menschen war legendär. Im Alter von zwölf Jahren – der Vater war krank und musste zur Kur – schmiss sie die elterliche Kneipe und machte erste Bekanntschaft mit Leuten des nahe gelegenen Theaters. „Ich bin immer durch die Wirtschaft gestürmt und habe einen Handstand an der Wand gemacht oder so – ich weiß es nicht mehr, man erzählt das nur. Und die fanden, ich bin gelenkig und müsste mal ins Kinderballett“, erinnert sie sich später (zitiert auf S. 20).

Legendär wurde sie mit ihrer Fragetechnik, die ihre „offene Arbeit“ befeuert habe: „So konnte sie erste Material sammeln, bis sie genau wusste, wohin sich ein Stück entwickelte“ (S. 49). Am Ende eines solchen Prozesses „traf sie die erste Auswahl aus den von ihr notierten tausend Antworten, Geschichten, Bildern, Sätzen und ließ die Tänzer einzelne Sequenzen wiederholen, begann sie zu arrangieren, und trennte sich kurz vor der Premiere von einzelnen Szenen, wenn sie den Eindruck hatte, dass sie nicht mehr stimmten“ (S. 65). Pina selbst: „Ich arbeite nicht von vorn nach hinten, sondern mit kleinen Teilchen, die langsam größer werden, sich zusammensetzen und nach außen wachsen“ (zit. auf S. 67). Sie war radikal und ignorierte Hergebrachtes: An ihren Tänzerinnen und Tänzern interessierte sie deren Ausstrahlung, ihre Bühnenpräsenz und ihr Charme, kurz ihre Persönlichkeit. Die Brasilianerin Ruth Amarante sagte dazu in einem Film von Anne Linsel: „Es ist eine Liebesbeziehung, nicht nur eine Arbeitsbeziehung, die einen aber auch öfter mal leiden lässt“ (S. 132).

Einer ihrer größten Erfolge war das Stück „Kontakthof“, das, 1978 uraufgeführt, zuletzt 2011 über die Bühne ging. Akteure waren über-65-jährige … Laien (S. 57). Dies hat zahlreiche Choreographen beflügelt und Ensembles angeregt, von denen sich das aktuell mit zahlreichen Aufführungen präsente Seniorentanztheater Claudio li Mura am überzeugendsten präsentiert. Pina-monoka-titel-iAw.indd

Meyers Buch ist chronologisch aufgebaut und mit zahlreichen, oft großformatigen Fotos bestückt (großartig: Johannes Rau und Pina Bauch auf einer Karnevalssitzung, S. 198 f.), die Ernst-Wilhelm Bruchhaus zusammengestellt hat. Wie dem Rezensenten mitgeteilt, ist deine zweite aktualisierte Auflage in Vorbereitung, und die Weltrechte für die Übersetzung ins Englische sind unter Dach und Fach. Im Anhang finden sich Interviews mit Jo Ann Endicott, Dominique Mercy, Thusnelda Mercy und Jean-Laurent Sasportes sowie Bausch selbst, deren Lebensdaten, ein Verzeichnis der Stücke, Bibliographie und – sehr nützlich – ein Personenregister. Herz, was willst du mehr?

 

MATTHIAS DOHMEN

 

 

Marion Meyer, Pina Bausch. Tanz kann fast alles sein, Remscheid: Bergischer Verlag 2012 (= Bergische Monographie, 1), ISBN 978-3-943886-07-8, 223 S., Euro 19,80, www.bergischerverlag.de.

 

 

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