24.04.2015

Forensik: Wir sind schon da

Ein Kommentar über Egoismus, die Legitimität von Bürgerbewegungen und das Problem, wenn die Umsetzung von Grundrechten konkret wird. Text: Sophie Blasberg

140701_08Der brave Bürger ist mit einem neuen (alten) Aufreger versorgt: „Eine Forensik hier auf Lichtscheid … wo kommen wir denn da hin?“ Ihm sei vorsichtig beigebracht: Wir sind schon da! Wir sind eine Gesellschaft, die auch Gefangenen eine medizinische Versorgung garantiert und ihre Grundrechte achtet. Wir sind eine Gesellschaft, die die Wiedereingliederung von Gefangenen fördert. Zumindest auf dem Papier, seltener, wenn es konkret wird. Dann werden eifrig Transparente gemalt: Grundrechte ja – aber gern woanders. Das ist individuell sehr nachvollziehbar.

Bedenklich ist dagegen, dass Lokalpolitik und -presse sich ebenfalls auf eine weitgehend von sachlichen Argumenten befreite Diskussion einlassen. Die WZ zitiert Oberbürgermeister Peter Jung mit der Aussage „Notfalls stelle ich mich an die Spitze einer Bürgerbewegung.“ Wohlgemerkt gegen die Forensik. Derselbe OB sagte im talwaerts-Interview vor einigen Monaten, Bürgerbeteiligung habe Grenzen und gerate schnell zur egoistischen Vertretung des eigenen Interesses, ohne Blick auf die Bedürfnisse der Gemeinschaft. „Spätestens, wenn es um die Ansiedlung eines Kindergartens geht, stößt mein Verständnis an Grenzen“, stellte der OB fest.

Woran macht der OB aber fest, an die Spitze welcher Bürgerbewegung er sich stellt? Hängt die Legitimität von Bürgerbewegungen, Protesten und Beteiligung von den Forderungen und Zielen ab? Wo kommen wir denn da hin? Einzelinteressen sind richtig und wichtig, sie dürfen aber nicht zum Diktat werden. Nicht bei der Frage, ob eine Kita gebaut wird. Nicht bei der Frage, ob ein Flüchtlingsheim eröffnet wird. Und eben auch nicht bei der Frage, ob eine Forensik an einen bestimmten Standort kommt oder nicht. Hängt der Standort der Forensik am Ende davon ab, wo Politiker und Medien ihre Zielgruppen vermuten und von welchen Partikularinteressen sie sich instrumentalisieren lassen? Wo kommen wir denn da hin? Diese Fragen stellt sich auf Lichtscheid vermutlich niemand, aber auch hier ist offensichtlich die Antwort: Wir sind schon da.

Foto: Manfred Görgens

Der Artikel ist ein gekürzter Auszug aus der neuen Ausgabe der talwaerts, Wuppertals Wochenzeitung. Den vollständigen Artikel lesen Sie in der neuen Ausgabe, die immer freitags erscheint. Überall, wo es Zeitschriften gibt und unter www.talwaerts-zeitung.de

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