Buch der Woche: Syrien im Bürgerkrieg

Die beeindruckende Solidaritätsaktion am Sonntag in der Oper rückt einmal mehr die Weltkulturerbestätten der Unesco im geschichtsträchtigen südlichen Mesopotamien in den Blickpunkt.

An den bürgerkriegs- und kriegsartigen Auseinandersetzungen zwischen der Zentralmacht in Damaskus und den sogenannten Rebellen sind vor allem die USA und deren Nato-Partner Türkei beteiligt, daneben Saudiarabien, Katar und der Iran sowie als Verbündeter Baschar al-Assads das Russland Putins. Unermessliche Schätze der Geschichte der Menschheit gehen zugrunde in einem Land, das bis zum Ausbruch der Kämpfe „eine Brückenfunktion zwischen dem Orient und Europa, insbesondere mit der Verbreitung des Christentums“ übernahm (Seite 8).

Mit der Geschichte dieses Landes beschäftigt sich der von Mamoun Fansa herausgegebene Band über die „Sechs Weltkulturerbe-Stätten in den Wirren des Bürgerkriegs“ (Untertitel). Fansa war bis 2011 Leitender Direktor des Landesmuseum Natur und Mensch in Oldenburg, das durch zahlreiche Asien-Ausstellungen hervorgetreten ist.

Die großflächigen Zerstörungen, schreibt er, stellen „einen Verlust nicht nur für Syrien und den Nahen Osten, sondern auch für die Geschichte der Menschheit dar“ (Seite 79). Zwar existieren eine Reihe internationaler Abkommen zum Schutz bedeutender Bau- und Kunstwerke bei bewaffneten Konflikten, doch scheint deren Wirkung begrenzt zu sein. „Die Soldaten und die Offiziere der syrischen Armee wurden in der Regel in ihrer Ausbildung über die rechtlichen Bestimmungen bezüglich des Kulturerbes aufgeklärt. Die Rebellen, die teilweise nicht ausgebildet und eventuell auch aus anderen Ländern eingeschleust sind, wurden auf diese Art von Kulturschutz nicht vorbereitet“ (Seite 80).

Zentrale Objekte des mehrfach angegriffenen Nationalmuseums sind – unzureichend – mit Sandsäcken geschützt oder in den Zentralbanken von Aleppo geschützt, doch zeugen die auf rund 150 Farbaufnahmen dokumentierten zerstörten und teilweise zerstörten Objekte von einem kulturhistorischen Kahlschlag ohnegleichen quer durch Syrien.

In einzelnen Kapiteln beschäftigen sich Kenner der Materie mit der Altstadt von Damaskus, mit Palmyra, der Stadt an der Seidenstraße, mit Bosra oder den „Toten Städten“ Nordsyriens. Und Aleppo, der ältesten Stadt der Welt, die von Julia Gonnella vorgestellt wird, die von 1996 bis 2012 den islamischen Teil der Ausgrabungen auf der dortigen Zitadelle geleitet hat. Sie zählt die Zerstörungen beispielsweise an der Großen Moschee mit ihrem „berühmten, jetzt so tragisch zerstörten Minarett“ und allgemein der Altstadt „zu den wahrhaft großen Tragödien der heutigen Welt“ (Seite 39). Mit dem unermesslichen Leid von Zerstörung, Tod und Vertreibung ist auch ein kultureller Aderlass monströsen Ausmaßes verbunden.

MATTHIAS DOHMEN

Mamoun Fansa (Hrsg.), Syrien. Sechs Weltkulturerbe-Stätten in den Wirren des Bürgerkriegs, Mainz: Nünnerich-Asmus 2014, ISBN 978-3-943904-74-1, 128 S., Euro 29,90, www.na-verlag.de.Titelbild_Syrien_klein

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