Der Ghosttufter von Wuppertal

Fünf Jahre hat Wolrad Specht daran gearbeitet. Jetzt ist er fertig - der von Hand getuftete Teppich für Jeff Koons - US-amerikanischer Künstler aus New York. Nach einer Kollage von Albert Oehlen hat der Wuppertaler den 2,50 x 4,10 m großen Teppich Faden für Faden in Handarbeit hergestellt.

Wolrad Specht begeisterte sich schon in seiner Jugend für Textilien und Muster. So hat er schon für seine Schwestern Seidenkopftücher mit Fischmotiven bedruckt. Es waren die Porträts seiner Fische aus dem Aquarium, die er mit einem Linolschnitt auf der Seide verewigte. Bei Rudolf Schoofs und Gerwald Kafka studierte er an der Werkkunstschule Wuppertal schließlich Textildesign. Kafka war es dann auch, der ihn zum „Teppichtuften“ brachte.

Wolrad Specht entfernt den letzten widerspenstigen Faden

Tufting ist ein maschinelles Verfahren, es kam Ende der 50-iger Jahre aus Amerika nach Europa. Der Teppich wird dabei nicht geknotet, sondern die Fäden werden mit Druckluft in ein Grundgewebe geschossen. Für diese Technik wird nicht mehr als ein Rahmen, eine Pistole und Druckluft benötigt – Geräte die einfach und preisgünstig zu beschaffen waren. So gründete Wolrad Specht mit Frauke Kafka – der Frau Gerwald Kafkas – sofort nach dem Studium „Magma Textildesign“. Bis 1990 stellte „Magma“ Wohnraumteppiche her. Dann übernahm Frauke Kafka die Weberei „Mardey“ in Langerfeld und gründete dort das inzwischen als „Bänderei Kafka“ legendäre Museum für Bandweberei. Eine Erfolgsgeschichte und ein Kleinod Wuppertals – denn bis heute werden dort Bänder in traditioneller Handwerkstechnik auf original Maschinen aus der Jahrhundertwende hergestellt.

Das Kunstwerk

Wolrad Specht hingegen blieb dem Tufting von Hand treu und wurde Teppichkünstler. In jenen Tagen entstand sein erster Teppich nach einer Kollage Albert Oehlens. Oehlen, inzwischen Professor an der Kunstakademie Düsseldorf, gehörte damals zur Künstlergruppe der „Neuen Wilden“, die den Kunstbetrieb in den 80-igern heftig in Aufruhr versetzte. Mit diesem ersten Teppich verschaffte sich Specht den Eintritt zur künstlerischen Avantgarde. Seither hat Specht Vorlagen zahlreicher namhafter Künstler wie Rosemarie Trockel oder Martin Kippenberger umgesetzt, und immer wieder Teppiche nach Vorlagen Albert Oehlens getuftet. Mit einem Teppich für Benedikt Taschen, ein Kölner Verleger, machte Specht im Jahr 2000 einen Qualitätssprung in seiner Arbeit. Die computergenerierte Vorlage von Albert Oehlen verlangte die Darstellung von Transparenz. Nach vielen Tests ist ihm auch das gelungen.

Cicciolina und Jeff Koons - Das Hochzeitsfoto

Das Motiv an dem er die Arbeit gerade beendet hat, ist 1992 schon einmal verkauft worden, damals jedoch, ohne dass Specht den Käufer kannte. Ein Berliner Galerist fungierte als Zwischenhändler. Erst die Großmutter aus Thüringen entdeckte den Käufer auf seinem Hochzeitsfoto in der Zeitschrift Cosmopolitan. Es waren Cicciolina und Jeff Koons. Vor fünf Jahren hat Jeff Koons den Teppich zum zweiten Mal bestellt.

Die Vorlage

Älter und anspruchsvoller geworden, was die Umsetzung seiner Vorlagen angeht, hat sich Specht erneut auf den Weg begeben. Seither hat er jeden Tag 5 Jahre lang, 7 Stunden stehend an seinem Werk gearbeitet. Dabei sind die Beine angeschwollen, und die Knie begannen zu schmerzen. Inzwischen nutzt er keine Pistole mehr, das ist ihm zu ungenau. Er steckt Faden für Faden einzeln und von Hand in das Gewebe, um der Vorlage so nah wie möglich zu kommen. Selbst feine Sprühkleberspuren kann er jetzt abbilden. Langsam mm für mm, Tag für Tag wächst der Teppich. Will Specht schnell sein, skatet er zum Ausgleich, oder nimmt an Marathonläufen teil – denn Ausdauer hat er ja. Specht versteht sich als Kunsthandwerker, nicht als Künstler und nennt sich spaßeshalber „Ghosttufter von Wuppertal“. Vor ein paar Wochen hat er seine Arbeit abgeschlossen. Nahezu unsichtbar knüpft er zur Kennzeichnung des Teppichs am rechten Rand seine Signatur ein. Dass ein solcher Teppich 100.000 Euro kostet, nimmt nicht Wunder und ist bei fünf Jahren Arbeit viel zu preisgünstig. Wolrad Specht weiss das, aber sein Idealismus und sein Perfektionsdrang nimmt jede Strapaze in Kauf. Und das Ergebnis lohnt die Mühe. Ein Kunstwerk ist entstanden, von weicher und feiner Textur. Die Farben sind delikat und die Abbildung ungeheuer plastisch. Dagegen wirkt die Vorlage – Albert Oehlens Kollage – arm und klein. Bazon Brock hat das Phänomen bei einer Präsentation eines der Teppiche von Wolrad Specht einmal so beschrieben: „Die Realisation adelt die Vorlage.“

Wolrad Specht vor seiner Werkstatt

Nun liegen die fünf Jahre Arbeit vor spontan erschienenen Besuchern auf dem Boden. Die Aura, die Perfektion der Arbeit ist so ungeheuer, dass keiner der Anwesenden wagt, den Teppich zu betreten. Heute hat die Kunstspedition angekündigt, dass der Teppich in den nächsten Tagen abgeholt wird. Wolrad Specht fühlt sich ganz leicht, die Schmerzen in Knien und Beinen sind verschwunden.

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