„Das Fundament des Miteinanders ist die gegenseitige Wertschätzung“

Können Stadtverwaltung und Wuppertalbewegung ihren Streit überwinden und gemeinsam die Nordbahntrasse realisieren? Interview mit der Mediatorin Barbara Maria Ostermann.


Dipl.-Psychologin Barbara Maria Ostermann studierte in Marburg und Rom. Sie arbeitet als beratende Wirtschaftspsychologin und Mediatorin in der Wirtschaft und im öffentlichen Raum. Der Sitz ihrer Praxis ist in Schloss Lüntenbeck in Wuppertal.

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Mediation ist die konstruktive Konfliktlösung mit Hilfe einer neutralen, dritten Person, bei der win-win-Lösungen angestrebt werden. Aus einer Mediation sollen alle Parteien zufrieden heraus gehen. Ausgangspunkt ist die Erkenntnis, dass Konfliktpartner fähig sind, die für sie akzeptable Lösung gemeinsam zu finden. (Quelle: Homepage Frau Ostermann)


Alle Beteiligten müssen sich immer wieder sagen: Wir bauen für alle Bürger.Mediatorin Ostermann: "Alle Beteiligten müssen sich immer wieder sagen: Wir bauen für alle Bürger."

Frau Ostermann, wie arbeitet ein Mediator?

Der Mediator ist nicht parteiisch, sondern neutral. Er steuert den Prozess vom grimmigen Zueinanderschauen hin zu einem tragfähigen Kompromiss. Man sieht sich nicht die unterschiedlichen Positionen an, sondern die gemeinsamen Interessen, die dahinterstehen. Dazu bedarf es bestimmter Frage- und Moderationstechniken.

Wo klemmt es im Verhältnis von Stadt und Wuppertalbewegung?

Was ich in Wuppertal vermisse, ist die gegenseitige Anerkennung des Engagements beider Konfliktparteien: es wäre schön, wenn die Wuppertalbewegung die Leistungen der Stadtverwaltung und wenn die Stadtverwaltung die Leistungen der Wuppertalbewegungen anerkennen würde.

Das heißt, der Schwarze Peter ist nicht nur auf einer Seite – bei der Stadt oder der Wuppertalbewegung?

Nein, Respekt ist immer etwas Wechselseitiges – und einer der Grundlagen der Mediation.

Beide Parteien sollten sich immer wieder vor Augen halten, dass sie ein gemeinsames Ziel haben, nämlich die Nordbahntrasse für die Bürger Wuppertals zu bauen. Beide Seiten nehmen doch für sich in Anspruch, für den Bürger zu arbeiten. Aber es macht den Eindruck, dass dieser gar nicht mehr im Vordergrund steht. Die eigentlich Zielperson, nämlich der Bürger würden vielleicht doch sagen: „Hauptsache, die Trasse kommt und Finanzierung, Nutzbarkeit und Sicherheit stimmen“.

Es geht nicht um die verletzten Gefühle der Wuppertalbewegung oder der Stadt, sondern einzig und allein um die Frage, wie das Projekt für den Bürger realisiert werden kann.

"Beide Parteien sollten sich immer wieder vor Augen halten, dass sie ein gemeinsames Ziel haben, nämlich die Nordbahntrasse für die Bürger Wuppertals zu bauen.""Beide Parteien sollten sich immer wieder vor Augen halten, dass sie ein gemeinsames Ziel haben, nämlich die Nordbahntrasse für die Bürger Wuppertals zu bauen."

Der Bürger kommt in der Debatte kaum noch vor?

Ich war als Mediatorin beim U-Bahn-Bau in Bonn involviert, da gab es anfangs ähnliche Missverständnisse. Alle Beteiligten müssen sich immer wieder sagen: Wir bauen für alle Bürger.

Was heißt das konkret?

Ich würde alle bisher Beteiligten und noch zusätzliche Bürger einladen. Ein Expertenrat sollte Maßstäbe aufstellen wie z.B. Wirtschaftlichkeit oder Naturschutz. Die Bürger würden in Kleingruppen bestimmte Teile der Trasse diskutieren.

Die Frage, wie zum Beispiel ein Tunnel saniert wird, sollte dann ausschließlich von den Experten beider Seiten und/oder den Bürgern gemeinsam diskutiert werden. Weder Oberbürgermeister und Stadtdirektor noch die Führung des Vereins sollten sich mit der Frage befassen, ob Spritzbeton oder Blechprofile besser geeignet sind. Deren Aufgabe ist es, den Bürgerwillen nach einer funktionierenden Nordbahntrasse umzusetzen.

Die Experten wissen also nicht, was die Bürger wollen?

Gerade weil man Experte ist, ist man oft nicht an den Bedürfnissen der Menschen dran. Man glaubt zu wissen, was die Menschen wollen, ohne sie gefragt zu haben. Durch Bürgerbeteiligung kommen häufig neue Bedürfnisse und Erkenntnisse zum Tragen. Mediation macht eine direkte Beteiligung möglich. Dadurch identifiziert man sich mit der Trasse und der Stadt noch mehr.

Aber sehen sich nicht bereits beide Parteien als Vertretung der Bürger? Die Wuppertalbewegung als große Bürgerinitiative und Herr Jung als vom Volk direkt gewählter Oberbürgermeister?

Das ist sicher so, aber es gibt noch viele weitere Beteiligte wie Anwohner zum Beispiel, die man einbeziehen könnte. Ein Anwohner würde vielleicht noch ganz andere Themen aufwerfen: z. B. „Wie hoch ist der Lärm oder mit wie viel zusätzlichem Hundedreck muss ich rechnen, wenn die Trasse in meiner unmittelbaren Umgebung kommt? Wie wird damit umgegangen?“

Stadtdirektor Dr. Slawig hat appelliert, das gemeinsame Projekt Nordbahntrasse nicht durch „kleinliches Gezänk“ zu beschädigen.

Es ist nicht wertschätzend, wenn er von „Gezänk“ spricht. In der Mediation gilt als erste Regel der wertschätzende Umgang miteinander. Ohne Respekt kann eine destruktive Auseinandersetzung nur schwer wieder zu einem sachlichen, konstruktiven Miteinander werden. Und darauf sollte es doch hinauslaufen, oder? Ohne Stadtverwaltung gibt es keine Trasse aber ohne Wuppertalbewegung gibt es sie genauso wenig. Stadt, Wuppertalbewegung und Bürger brauchen einander. Und das Fundament des Miteinanders ist die gegenseitige Wertschätzung.

Wie kann diese gegenseitige Wertschätzung aussehen?

Auf Seiten der Stadt würde ich mir mehr Bereitschaft wünschen, sich mit engagierten, auch kritischen Köpfen zu umgeben. Die Stadtverwaltung könnte auch dankbar sein für die Wuppertalbewegung. Schließlich profitieren doch alle davon, wenn sich Menschen ehrenamtlich engagieren. Das macht eine Stadt wie Wuppertal reicher. Die Stadt könnte die ehrenamtliche Arbeit der Menschen in der Bewegung wertschätzen, indem sie sie an den Entscheidungen beteiligt. Diese Beteiligung darf aber nicht nur formal sein.

Auf der anderen Seite könnte die Wuppertalbewegung anerkennen, dass die Stadt die Umsetzung der Trasse zu ihrer Aufgabe gemacht hat. Beide Seiten könnten sich gegenseitig als Bereicherung sehen und nicht als Konkurrenz.

Was passiert, wenn die Streithähne weiter auf die althergebrachte Weise miteinander umgehen?

Wenn es in Wuppertal so weiter geht, wird es immer mehr Verletzungen geben, die das Projekt immer weiter erschweren. Es ist doch schade, dass Dr. Gerhardt sich so aufreibt und seine Kreativität auf der Strecke bleibt.

Die Gefahr besteht, dass man sich in Detailfragen verliert, und der Bürgerwille gerät immer mehr in den Hintergrund. Aber der Bürger darf sich nicht abwenden von der Nordbahntrasse, denn so ein Projekt steht und fällt mit der Akzeptanz durch die Bevölkerung.

Ist der Streit um die Nordbahntrasse ein klassischer Fall für eine Mediation?

Absolut klassisch.

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Mit Frau Ostermann sprach Georg Sander

Foto Frau Ostermann: privat
Foto Tunnel: Grese/Wuppertalbewegung

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